Eine Pflegerin kümmert sich um einen alten Mann in dessen Villa. Er ist Witwer, hat keine Kinder. Nach seinem Tod taucht ein handgeschriebenes Testament auf: Die Pflegerin soll zum Dank ein Vermögen und den Nachlass eines Dichters erben. Doch Rechtsanwälte hegen Zweifel. Die Pflegerin hatte ihnen kurz vor dem Tod des Mannes Vollmachten vorgelegt. Sie vermuten Erbschleicherei und gehen zur Polizei. Es klingt wie in einem Hollywood-Film, doch diese Geschichte ist Realität und spielt in Passau.
Gutachter untersuchen Testament
Nachdem Niels Kampmann, Schwiegersohn des Dichters Hans Carossa, im Herbst 2021 gestorben ist, befasst sich inzwischen die Passauer Staatsanwaltschaft mit dem Fall. "Es bestehen Zweifel, dass das Testament von Kampmann selbst verfasst wurde", teilt sie mit. Deshalb wurden Ermittlungen wegen Urkundenfälschung eingeleitet und es wurde ein graphologisches Gutachten in Auftrag gegeben.
Der Gutachter soll herausfinden, ob die geschriebenen Worte dem Schriftbild von Kampmann entsprechen, oder ob die Zeilen aus anderer Hand stammen. Im Januar soll das Gutachten vorliegen. Auf dessen Grundlage wird die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie Anklage erhebt. Die Pflegerin hatte auch ihrerseits bereits ein Gutachten beauftragt und den Ermittlern übergeben. Dieses kam laut Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass das Testament echt sei. Die Pflegerin wollte sich auf BR-Anfrage nicht zu dem Fall äußern.
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Entscheidend: Weiß die Pflegekraft vom Erbe?
Doch können Pflegerinnen und Pfleger einfach so erben? Kurz gesagt: Ja, grundsätzlich schon. Knackpunkt ist die Frage: Weiß die Pflegekraft von dem Erbe, das auf sie wartet? Wenn ja, dann darf sie nicht erben. Das bayerische Pflege- und Wohnqualitätsgesetz verbietet es. Der Gesetzgeber will so verhindern, dass sich ein Heimbewohner, der ein Erbe in Aussicht stellt, eine Besserbehandlung gegenüber anderen Heimbewohnern verschafft. "Wenn ein Heimbewohner aber still und heimlich beim Notar war und ein Testament verfasste, in dem steht, dass seine Pflegekraft alles erben soll, dann darf sie das Erbe annehmen", erklärt Jan Bittler, Geschäftsführer der deutschen Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge.
Sonderfall mobile Pflegedienste
In dem Passauer Fall geht es aber nicht um ein Heim, sondern um einen mobilen Pflegedienst. Und deshalb gelten andere Regeln. "Ambulante Pflegedienste unterliegen in Bayern keinen ordnungsrechtlichen Vorgaben", teilt das Gesundheitsministerium auf BR-Nachfrage mit. Das heißt: Eine ambulante Pflegekraft - wie die Pflegerin aus Passau - darf auch dann erben, wenn sie es vorher wusste. Anders ist es in Hessen. Hier ist es unzulässig, einen ambulanten Pflegedienst-Mitarbeiter als Erben einzusetzen.
Erbrechtsexperte: "Das sind die schmutzigsten Prozesse"
Dass sich die Staatsanwaltschaft einschaltet, kommt sehr selten vor, sagt Erbrechts-Anwalt Jan Bittler: "Mein Eindruck ist, dass sich die Staatsanwaltschaft nicht gern für zivilrechtliche Probleme im Rahmen des Erbrechts missbrauchen lässt." In der Regel wird vor dem Zivilrichter gestritten, und es gilt: Die Person, die sich auf ein handschriftliches Testament beruft, muss beweisen, dass es echt ist. "Das sind die schmutzigsten Prozesse. Dagegen sind Scheidungen nichts", bilanziert der Experte für Erbrecht.
Erbe sorgt für Streit in Familien
Vor allem in Familien: Verwandte würden alle Register ziehen. "Das Argument ist dann oft: Zu dem Zeitpunkt war der Erblasser nicht mehr testierfähig. Dann geht es rund. Da werden neurologische Gutachten einer Alterserkrankung vorgelegt, dann wird erklärt, der Erblasser war dem Alkohol verfallen oder hatte Medikamente mit psychischen Nebenwirkungen eingenommen."
Dem schließt sich auch eine Passauer Anwältin an, die häufig als Nachlasspflegerin oder -verwalterin eingesetzt wird: "Sobald ein Testament vorliegt und eine fünfstellige Summe auf dem Konto ist, geht der Terror los." Streit sei die Regel, nicht die Ausnahme. Ihren Namen will sich nicht veröffentlicht sehen. Zu heikel sei das Thema. Innerfamiliäre Streitigkeiten kämen am häufigsten vor, wenn beispielsweise ein Kind ein Elternteil pflegt und dann mehr bekommen soll.
Pflegkräfte erben immer häufiger
Die beiden Erbrechts-Experten sehen einen Trend: Immer mehr Menschen vermachen am Ende ihres Lebens ihren Pflegerinnen oder Pflegern Geld und Häuser. Der Grund liegt auf der Hand: Menschen werden heute älter, sind im hohen Alter auf Pflege angewiesen und leben nicht mehr so oft mit der Familie zusammen. "Aus meiner Sicht kommt es zu häufig vor. Wobei ich nicht werten will. Es ist das gute Recht zu sagen: Der, der für mich da ist, dem gebe ich etwas. Die Frage ist immer: Haben es sich die Pfleger erschlichen oder haben sie es durch Freundlichkeit verdient? Die Frage ist schwer zu beantworten. Und deswegen gibt es auch keinen ordentlichen Paragrafen im Gesetz dazu", sagt Jan Bittler.
- Zur Übersicht: Aktuelle Nachrichten, Infos und Ratgeber aus der Pflege
Änderung im neuen Jahr
Etwas ändert sich aber in Kürze: Der Gesetzgeber verschärft die Regeln für Berufsbetreuer. Das sind Personen, die hauptberuflich als Vormund eingesetzt werden. Sie dürfen ab 1. Januar 2023 nicht mehr erben, andernfalls dürfen sie nicht mehr als Berufsbetreuer arbeiten. Für Jan Bittler ist das ein "schwaches Schwert". "Da kann man flapsig sagen: Einmal richtig geerbt, dann brauchst du auch keine Betreuung mehr machen."
Dichter-Erbe: Hat Freistaat Interesse?
Der Passauer Fall um das Erbe von Carossa-Schwiegersohn Niels Kampmann ist ungewöhnlich, weil keine Kinder um ihr Erbe streiten. In diesem Fall dürfte aber der Freistaat ein Interesse haben: und zwar an den Schriftstücken von Hans Carossa. Bis zu ihrem Tod im März 2021 hatte sich Tochter Eva Kampmann-Carossa darum gekümmert. Sie verstand es als ihre Lebensaufgabe, den dichterischen Nachlass zu bewahren. Posthum brachte sie Tagebücher und Briefe ihres Vaters heraus.
💡 Wer war Hans Carossa?
Schulen in Berlin, Landshut, Pilsting und Passau sind nach ihm benannt: Hans Carossa. Er wurde 1878 in Tölz geboren, studierte Medizin und übernahm zunächst die Arzt-Praxis des Vaters in Passau. Später widmete er sich ganz dem Schreiben, veröffentlichte Gedichte, autobiografische Beobachtungen und Erzählungen. In den 1920er- und 30er-Jahren galt er in Deutschland als einer der populärsten Schriftsteller. Er starb 1956 in Passau, wo er auch begraben wurde.
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