"Fühlt sich der Ministerpräsident durch den Podcast von zwei Personen, die sich über aktuelle Migrationspolitik unterhalten, so angegriffen, dass der nächste Schritt gleich ist, den erstmal runterzunehmen?", fragt Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Was war passiert?
"KontaktAufnahme" lautet die Podcast-Reihe (externer Link) des Bildungszentrums Nürnberg. Am 28. November ging die aktuelle Folge auf der Website des BZ online. Darin spricht Böhm über die Migrationspolitik in Deutschland und Bayern. Nur etwa eineinhalb Stunden nach der Veröffentlichung ist die Episode wieder offline. Warum? Böhm fragt bei der Redaktion nach: "Ich habe dann die Antwort bekommen, dass die Pressesprecherin von Markus Söder sich wohl bei der Stadt Nürnberg gemeldet habe und daraufhin der Podcast eben erstmal offline genommen wurde".
Gab es demnach eine "Kontaktaufnahme" der Bayerischen Staatsregierung mit der Stadt Nürnberg? Wurde in einem Telefonat eine Änderung oder gänzliche Entfernung des Podcasts verlangt?
Bildungszentrum verweist auf Neutralität
Das Bildungszentrum bestätigt diesen Vorwurf nicht. In einer ersten Antwort auf die Frage von BR24 hieß es am 2. Dezember, eine Anmoderation verstoße gegen das Neutralitätsgebot der Bildungseinrichtung. Deshalb sei der Podcast aus eigener Motivation offline genommen worden, angepasst und wieder eingestellt worden. Tags darauf, am 3. Dezember, war die Episode wieder verfügbar – allerdings mehr als zehn Minuten kürzer. So lange dauert keine Anmoderation.
Der Direktor am Bildungszentrum Nürnberg, Arne Zielinski, bestätigt BR24, dass weitere Stellen und auch Aussagen des Podcast-Gasts, Johanna Böhm, aus der Episode herausgeschnitten wurden. Eine Einflussnahme vonseiten der Bayerischen Staatsregierung habe er "bei sich" nicht gehabt, sagt Zielinski. Er habe sich den frisch veröffentlichten Podcast am Morgen des 3. Dezember angehört und daraufhin drei Inhalte "korrigieren" lassen.
Zankapfel Bezahlkarte für Asylbewerber
Die "korrigierten" Inhalte – besser: gestrichenen Inhalte – beziehen sich auch auf Tauschaktionen zur sogenannten Asylbewerber-Bezahlkarte. Diese war in Bayern im Juni dieses Jahres eingeführt worden, mit dem Ziel, die Bargeldzahlungen an Asylbewerber auf 50 Euro pro Monat zu begrenzen. Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert dies vehement. Einige Organisationen wollen Geflüchteten durch Tauschaktionen wieder zu mehr Bargeld verhelfen – ein Dorn im Auge der CSU.
Tauschaktion zu konfrontierend für Hörer?
Zwar ist in der neu hochgeladenen Version des Podcasts weiterhin das Gespräch zur Bezahlkarte zu hören. Der Teil zur Tauschaktion ist allerdings komplett verschwunden. BZ-Direktor Zielinski rechtfertigt die Streichungen mit dem sogenannten Beutelsbacher Konsens. Demnach dürfen in der politischen Bildung Schülerinnen und Schüler – in diesem Fall Hörerinnen und Hörer – nicht mit einseitigen Meinungen konfrontiert werden.
Die Darstellung der Tauschaktionen im Podcast stellte für den BZ-Direktor damit einen Verstoß gegen deren Neutralitätsgebot dar. Es sei ein "aktives Werben für eine Unterstützungspraxis für Flüchtlinge, die nach meinem Dafürhalten zumindest fragwürdig ist", sagte er BR24.
Flüchtlingsrat: "Kürzung ist Eingriff in Meinungsfreiheit"
Als der Podcast offline ging, machte sich Johanna Böhm ihrer Aussage nach Gedanken darüber, was im Gespräch gesagt wurde. War da etwas, das als problematisch angesehen werden kann? Böhm sagt Nein und beschreibt es als ein "informatives Gespräch". Die Kürzungen bewertet Böhm im Gespräch mit BR24 als "sehr schwerwiegenden Eingriff in die Meinungsfreiheit".
Die Meinungsfreiheit ist durch Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert. Nur wenn Meinungen gegen Gesetze verstoßen, kann eine nachträgliche Zensur unter Bedingungen erlaubt sein. Diese sieht Böhm in diesem Fall nicht. Insgesamt seien Gesprächsinhalte gestrichen worden, die sich gegen die Meinung der CSU richteten. Gleichzeitig sei in dem Podcast Kritik an der Ampel-Regierung weiter zu hören, so Böhm.
Stadt und Staatskanzlei widersprechen Darstellung
Die Stadt Nürnberg beantwortet die Fragen nach einer Einflussnahme bzw. Kontaktaufnahme durch die Staatskanzlei mit einem schlichten "Nein." Ein Telefonat zwischen einer Pressesprecherin von Markus Söder und der Nürnberger Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) habe es in dieser Angelegenheit nicht gegeben.
Die Staatskanzlei hält sich bei ihrer Antwort bedeckt. Ein Sprecher beantwortet mehrere Fragen von BR24 nach einer mutmaßlichen Einflussnahme sowie nach einem Kontakt zwischen den Einrichtungen mit einem einzigen Statement: "Die Zuständigkeit und Verantwortung für städtische Einrichtungen wie das Bildungszentrum liegt ausschließlich bei der Stadt Nürnberg. Es gab und gibt dazu keinerlei Anweisung der Staatskanzlei."
Faktenlage: Streichungen bleiben intransparent
Ob es einen politischen Eingriff auf die Meinungsfreiheit gegeben hat, lässt sich nicht zweifelsfrei bestätigen. Fakt ist, dass aus dem Podcast im Nachgang Gesprächsinhalte gelöscht wurden. Fakt ist auch, dass dies auf der Homepage nicht deutlich gemacht wurde. Es gibt keinen Verweis darauf, dass die Episode in gekürzter Form neu hochgeladen wurde.
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