Kinder und Jugendliche, die bei psychischen Problemen professionelle Hilfe suchen, müssen lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Fast fünf Monate vergehen in Bayern im Schnitt, bis jemand in psychischer Not eine Therapie beginnen kann.
Kreis Kelheim bekommt neue Psychiatrie-Praxis
Ab Anfang des kommenden Jahres wird die Situation zumindest im niederbayerischen Kreis Kelheim etwas besser. Dort wird sich eine neue Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie niederlassen.
Die dafür notwendige Zulassung hat die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) einer Fachärztin ausgesprochen und dies dem BR bestätigt. Wo genau der Praxis-Standort sein wird, ist aktuell noch unklar. Zuerst hatte die Mittelbayerische Zeitung über die Pläne berichtet (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt).
Kelheim bisher "ein weißer Fleck"
Für die psychiatrische Gesundheitsversorgung sind die Bezirke zuständig. Tanja Hochegger, Chefin der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) am Bezirkskrankenhaus Landshut, teilt auf BR-Anfrage mit, sie begrüße die Entscheidung: "Wir freuen uns, wenn sich Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Niederbayern ansiedeln."
Die Niederlassung sei "extrem wichtig" und ein "riesiger Erfolg", sagt auch Franziska Neumeier, Geschäftsstellenleiterin des "Gesundheitsregion plus"-Netzwerks im Landkreis Kelheim. Das Netzwerk hatte den Prozess im Verbund mit anderen Akteuren in die Wege geleitet. Bisher sei Kelheim ein weißer Fleck gewesen mit Blick auf die Versorgung mit Kinder- und Jugendpsychiatrie, so Neumeier.
Viele Betroffene müssten aktuell oft nach Regensburg fahren und lange Wartezeiten in Kauf nehmen, um behandelt zu werden.
Mehr Fälle von Depressionen, Selbstverletzung, Essstörungen
Wichtig, betont Neumeier, sei der Schritt aber auch vor dem Hintergrund, dass der Behandlungsbedarf von Kindern und Jugendlichen nach Corona im Kreis Kelheim stark gestiegen sei. Das bestätigt auch Brigitta Hable, Leiterin der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern der Katholischen Jugendfürsorge in Kelheim.
Hatten sich 2021 noch 361 Menschen beraten lassen, lag die Fallzahl im vergangenen Jahr bei 480 – eine Steigerung um fast ein Drittel: "Wir spüren jetzt erst die Folgen der Pandemie. Immer mehr Kinder und Jugendliche kommen zu uns mit immer komplexeren, schwerwiegenderen Problemen", so Hable. Gerade im "Gefühlsbereich" hätten die Auffälligkeiten zugenommen. Damit meint sie etwa Depressionen, selbstverletzendes Verhalten oder Essstörungen.
2026 soll es in Weiden eine neue Klinik geben
Auch in der Oberpfalz stellen Verantwortliche diese Entwicklung fest. Die psychischen Belastungen hätten sich durch die Corona-Pandemie deutlich verschärft, sagt ein Sprecher der medbo Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die medbo betreibt für den Bezirk Oberpfalz in Regensburg, Amberg, Cham und Weiden verschiedene Angebote der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Am Standort in Regensburg gibt es neben dem ambulanten auch ein stationäres Angebot im Bezirksklinikum. Insgesamt werden in den verschiedenen Einrichtungen knapp 9.000 Kinder und Jugendliche versorgt.
Voraussichtlich 2026 soll unter dem medbo-Dach zudem in Weiden eine neue Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie eröffnen. Damit würden erstmalig auch 32 stationäre KJP-Betten in die nördliche Oberpfalz kommen, so der Sprecher. Die stationäre Versorgung in der Oberpfalz dürfte damit zunächst einmal ausreichend sein. Die ambulante Versorgung sei hingegen "angespannt", da es zu wenige Fachärzte gebe.
Statistik zeigt steigende Nachfrage nach psychiatrischen Angeboten
Laut dem Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) gibt es in der Oberpfalz 21 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene, angestellte und ermächtigte Mediziner. Davon sind allerdings allein 14 in der Stadt Regensburg ansässig. In Niederbayern gibt es bisher insgesamt 17 Fachärzte.
Wie wichtig solche Angebote sind, zeigt ein Blick in die Statistik: Im ersten bayerischen Psychiatriebericht des bayerischen Gesundheitsministeriums hieß es 2020, dass etwa jeder fünfte Heranwachsende psychische Auffälligkeiten zeige, nach Daten des Robert-Koch-Instituts deutschlandweit etwas mehr als 17 Prozent der Kinder und Jugendlichen.
Unter den gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten lag damals im Freistaat bei 278.000 Kindern und Jugendlichen eine Diagnose über eine psychische Erkrankung vor. In Niederbayern waren es knapp über 23.000 Fälle, in der Oberpfalz fast 22.000.
Schlechte Versorgungslage ein bayernweites Problem
Wegen Fachkräftemangels hatte erst vor drei Monaten die Kinder- und Jugendpsychiatrie-Ambulanz in Waldkirchen im Kreis Freyung-Grafenau schließen müssen. Bis hier ein neuer Arzt gefunden ist, werden die Mitarbeitenden auf die Bezirkskrankenhaus-Außenstellen in Passau und Zwiesel verteilt. Dorthin müssen dann auch die jungen Patientinnen und Patienten ausweichen.
Die schlechte Versorgungslage ist allerdings nicht nur ein Problem in Ostbayern. Anfang des Jahres wurde zum Beispiel in Coburg die Institutsambulanz der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters geschlossen. Hier läuft immerhin noch der Betrieb der Tagesklinik.
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