Neues Einbürgerungsrecht
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Neues Einbürgerungsrecht: So reagiert die migrantische Community

Ab sofort sollen Einbürgerungen schneller, aber auch strenger abgewickelt werden. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft ist jetzt in Deutschland möglich. So blicken Ausländer auf die Neuerungen im Staatsangehörigkeitsrecht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Mustafa Erciyas, türkischer Staatsbürger und seit 23 Jahren in Deutschland, 15 davon in München, wollte seine türkische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben. Doch jetzt darf er zwei Pässe haben. Für ihn war klar: Er stellt sofort den Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Für den Antrag musste er einen Einbürgerungstest nachweisen, ein Deutschzertifikat und Unterlagen, die belegen, dass er ein regelmäßiges Einkommen hat.

Alles kein Problem für den Verkehrsingenieur. Das sei aufwändig, aber machbar, sagt er. Wenn die Einbürgerungsurkunde kommt, dann fühlt er sich endlich gleichwertig und kann wählen gehen, in der Stadt, die jetzt seine Heimat ist und das ist für ihn sehr wichtig: "Mit der Wahl entscheiden Sie, wer OB wird, wie die Stadt aussieht und das können sie mitgestalten."

Mit der doppelten Staatsbürgerschaft zu mehr Rechten

Die doppelte Staatsbürgerschaft gilt für Deutsche, die im Ausland leben genauso wie für Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Viele Türken etwa, die hier geboren sind, haben noch einen türkischen Pass und konnten bislang nicht dort wählen, wo sie leben.

Mit dem neuen Einbürgerungsgesetz müssen Bewerber ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht mehr aufgeben. Manchmal sei es auch gar nicht möglich gewesen, aus der eigenen Staatsbürgerschaft entlassen zu werden, erklärt Willi Dräxler, Integrationsreferent der Caritas. Oder man musste Verluste hinnehmen, beispielsweise, dass man das Erbe der Eltern im Herkunftsland nicht mehr annehmen konnte oder dort nichts erwerben durfte.

Die Wohlfahrtsverbände begrüßen den Schritt deshalb. Wer wählen gehen könne, würde sich mehr als Teil der Gesellschaft sehen, so Dräxler. Zudem werde Deutschland damit attraktiver für Fachkräfte: "Wir wollen ja auch Fachkräfte anwerben. Und für die ist das natürlich durchaus attraktiver, wenn sie nicht ewig irgendwo rechtlos sind – also keine Bürgerrechte haben."

Die Reform soll Einbürgerungen leichter machen

Auch bei der Einbürgerung an sich ändern sich die Kriterien: Als Arif Abdullah Haidary 2015 als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan in Deutschland ankam, musste er noch acht Jahre warten, bis er die Einbürgerung beantragen durfte. Nun ist das schon nach fünf Jahren, in speziellen Fällen sogar nach drei Jahren möglich.

Arif Abdullah wünscht sich aber noch mehr Verbesserungen: Das neue Staatsangehörigkeitsrecht gewährt etwa Gastarbeitern, die bis zum 30. Juni 1974 nach Deutschland gekommen sind, Erleichterungen. Sie müssen keinen Deutschtest mehr vorweisen, keinen Einbürgerungstest machen. Der Nachweis mündlicher Sprachkenntnisse genügt. Diese Ausnahme wünscht sich der 24-Jährige auch für ältere geflüchtete Menschen, denen es nicht so leichtfalle, eine fremde Sprache zu lernen.

Behörden erwarten tausende Anträge

Schon vor dem heutigen Stichtag (27.6.2024) konnte die Einbürgerung nach dem neuen Gesetz beantragt werden – online. Die Behörden etwa in Nürnberg und München rechnen damit, dass sich die Anträge vervierfachen. Augsburg – hier leben rund 11.000 türkische Staatsangehörige – rechnet mit einer Verdreifachung der Einbürgerungsanträge.

Im Video: Staatsbürgerschaftsrecht - Große Nachfrage nach Doppelpass

Seit heute gilt das neue Staatsangehörigkeitsrecht.
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Seit heute gilt das neue Staatsangehörigkeitsrecht.

Hohes Interesse in türkischer Community

In der türkischen Community wird die Reform als längst überfällige Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechtes bewertet, die mehr Teilhabe ermögliche und Deutschland als Wirtschaftsstandort attraktiver mache, so der Vorstandssprecher der türkischen Gemeinde in Bayern, Vural Ünlü. Er schätzt, dass bis zu zwei Drittel der 200.000 anspruchsberechtigten Türken in Bayern das Einbürgerungsangebot annehmen und so künftig zwei Pässe haben.

Allerdings: Allein auf die Landeshauptstadt München wird so eine zusätzliche Belastung von etwa 20.000 Einbürgerungsverfahren zukommen. Die Bearbeitung sei teilweise komplex, heißt es von den zuständigen Ämtern. Schon jetzt gebe es – auch aus der Flüchtlingswelle 2015/16 resultierend – einen Rekord an Einbürgerungen. 36.103 waren es in Bayern im Jahr 2023 insgesamt, meldet das zuständige Bayerische Innenministerium, knapp 8000 mehr als im Jahr davor.

Viele Fragen zur Umsetzung in der Praxis

Wenn die Kapazitäten in den Ämtern nicht signifikant erhöht würden, könnten sich die Verfahren über mehrere Jahre hinziehen, so die Befürchtung von Vural Ünlü. Er hofft zudem auf die Kulanz der Ämter, wenn es um die Einordnung der Deutschkenntnisse gehe. Viele, gerade ältere Gastarbeiter hätten in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht dieselbe Chance gehabt, sich zu integrieren. Viele Angebote gab es damals noch nicht und gleichzeitig habe gerade diese Generation viel für den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland getan.

Voraussetzungen werden streng geprüft

Die Voraussetzungen für die Einbürgerung werden laut Bundesinnenministerium streng überprüft. Die Antragssteller müssen gute Deutschkenntnisse nachweisen und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sprich der Deutschen Verfassung. Wie genau das in der Praxis überprüft werden soll, scheint jedoch noch nicht ganz klar.

Neubürger werden auch, wie im Gesetz gefordert, auf mögliche antisemitische, rassistische Tendenzen befragt. Das sei absolut legitim, so der Vorstand der türkischen Gemeinde, Vural Ünlü. Die Frage sei, wie man solche Themen erforsche könne, wie man Gesinnung prüfe. Seine Hoffnung sei daher insgesamt: "Dass jetzt vor allem die Behörden das Personal aufstocken, bei Digitalisierungsinitiativen die Abläufe beschleunigen. Und dass die Einbürgerungsgespräche in einem fairen Rahmen ablaufen."

Mustafa Erciyas aus München, der nach 23 Jahren in Deutschland nun endlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hat, hofft jedenfalls, dass es nun schnell geht mit der Einbürgerungsurkunde. Zwölf bis 18 Monate sagt das Kreisverwaltungsreferat München, 15 bis 20 Monate das Ordnungsamt Augsburg. Das könnte dann schon knapp werden für die nächste Wahl. Denn im Herbst 2025 wählen die Deutschen den Bundestag.

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