Nasim Eshqi zeigt ihre pink lackierten Fingernägel. Sie sind ihr Markenzeichen und die Farbe steht für die Macht der Frauen..
Bildrechte: BR / Ulrike Nikola

The power of pink - das steht für die Macht der Frauen. Nasim Eshqi setzt sich für Frauen- und Menschenrechte im Iran und weltweit ein.

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21st Adventurer Award: Iranerin Nasim kämpft für die Freiheit

Vom Frankenjura Kletterfestival ging es für die iranische Profi-Kletterin Nasim Eshqi zur ISPO in München. Dort hat sie den 21st Century Adventurer Award bekommen. Denn laut Jury ist sie eine der inspirierendsten Abenteuerinnen unserer Zeit.

Über dieses Thema berichtet: Rucksackradio am .

Die Berge geben Nasim Eshqi viel Kraft. Diese Kraft braucht die iranische Profi-Kletterin nicht nur für schwere Routen am Fels, sondern auch um sich für Frauen- und Menschenrechte im Iran und weltweit einzusetzen. Der Klettersport bringe sie zum Blühen, sagt sie und strahlt. Früher ging es ihr vor allem um die Freiheit in den Bergen, die körperliche Anstrengung und immer höhere Schwierigkeitsgrade der Kletterrouten. Doch das alles änderte sich schlagartig, als im September 2022 der Tod von Mahsa Amini die Welt erschütterte. Die junge Frau war von der Sittenpolizei in Teheran festgenommen worden, weil ihr Kopftuch nicht züchtig genug saß. Auf der Polizeistation kollabierte sie und starb kurz darauf. Ein UN-Bericht macht den Iran für ihren Tod verantwortlich. Für Nasim Eshqi handelt es sich eindeutig um Mord.

Wendepunkt in Nasims Leben

Der Tag, an dem Mahsa Amini starb, ist ein Wendepunkt in Nasims Eshqis Leben. Denn sie konnte schmerzlich nachempfinden, was geschehen war. Auch Nasim war zuvor schon mehrmals von der Sittenpolizei festgenommen und in derselben Polizeistation verhört worden, weil das Kleid zu kurz oder das Kopftuch verrutscht waren. Auch sie wurde drangsaliert und bedroht. Auch sie hätte tot sein können. Als Nasim Eshqi dies bewusst wird, befindet sie sich im Spätsommer 2022 auf einer Kletterreise in Frankreich. Sie beschließt, nicht mehr in den Iran zurückzukehren. Denn das Leben erscheint ihr nutzlos, wenn sie einfach weitermachen würde wie zuvor. "Mein Geist wäre für die Menschheit nutzlos, wenn ich ihn nur fürs Sportklettern einsetzen würde", sagt Nasim Eshqi.

Niemand soll sagen, er habe nichts gewusst

Sie will nicht länger tatenlos zusehen, wie die Rechte von Frauen im Iran verletzt werden. Dass Frauen willkürlich verhaftet und getötet werden. Für Nasim Eshqi ist es der Beginn eines neuen Lebens, in dem sie öffentlich Stellung bezieht. Sie knüpft Netzwerke, tritt in den Medien auf, postet auf ihren sozialen Plattformen und schreibt ein Buch. Ihre Bekanntheit als gute Kletterin nutzt sie, um vielen Menschen von der Realität im Iran zu erzählen. Die 42-Jährige will den Frauen im Iran eine Stimme geben. Nasim Eshqi lebt mittlerweile in Italien und wird nicht müde, über Menschenrechte zu sprechen. Dass alle Menschen gleich sind, ob Frau oder Mann. dass allen Menschen dieselben Rechte zustehen – egal, wo auf der Welt. "Wir müssen den unterdrückten Menschen helfen", sagt sie. Jeder könne sich informieren und sein Wissen verbreiten. Niemand soll sagen können, er habe nichts gewusst.

Herzens-Projekt "Wenn Berge sprechen"

Die 42-Jährige will Wegbereiterin sein für Frauen und Männer, die nach ihr kommen. "Rise up for human rights" heißt die erste Kletterroute, die sie im französischen Chamonix in den Fels gebohrt hat. Sie gehört zu Nasims Herzens-Projekt: "Wenn Berge sprechen". Darin widmet sie ihre Routenerschließungen der weltweiten Menschenrechtsbewegung. Ihre zweite Route in den Dolomiten trägt mit Blick auf die Frauen im Iran den Namen "Women love feedom". Als Erstbegeherin mancher Kletterroute weiß sie, wie es ist, neue Wege einzuschlagen und Herausforderungen anzunehmen. Auch ihr Neustart in Europa ist nicht einfach. Es gibt viele bürokratische Hürden und es ärgert sie beispielsweise, dass sie in Italien nochmal eine Führerscheinprüfung ablegen muss, obwohl sie schon seit über zwanzig Jahren Auto fährt.

Verfolge deine Träume auch gegen Widerstände!

Nils Beste von Petzl, Bergsport-Ausrüster und Veranstalter des Frankenjura Kletterfestivals, hat Nasim Eshqi für einen Vortrag in Königstein in der Oberpfalz eingeladen. Denn gerade in Zeiten wie diesen kann oder sollte sich ein eigentlich unpolitisches Festival auch erlauben, ein wenig gesellschaftlich relevant zu sein – so die Begründung. Außerdem habe sie eine Botschaft: "Verfolge deine Träume auch gegen Widerstände!" Das sei auf das Klettern ebenso übertragbar wie auf ein Leben in Freiheit, sagt Beste: "Sie führt uns vor Augen, dass für uns Vieles selbstverständlich ist wie beispielweise frei zu reisen. Dass dies in anderen Ländern jedoch nicht immer möglich ist und auch nicht für alle Geschlechter."

Kein Zurück in die Heimat

Nasim Eshqi kann auf dem Frankenjura Kletterfestival kaum einen Schritt gehen, ohne dass sie Bekannte trifft. Denn in der Kletterszene kennt man sich. Manche haben aber nur aus den Medien von ihr erfahren und bitten um ein gemeinsames Foto", weil sie Nasims Mut bewundern. Sowohl ihren Mut steile Felswände zu bezwingen, als auch ihren Mut, ihre Stimme gegen die Herrscher des Irans zu erheben. Der Weg zurück in ihre Heimat ist ihr dadurch verwehrt. In diesem Tagen werden die Kandidaten für die Präsidentennachfolge im Iran benannt. Nasim Eshqi glaubt nicht, dass sich politisch so schnell etwas ändern werde. Sie ist aber zuversichtlich gestimmt, dass die jungen Menschen im Iran kritischer geworden sind und mehr hinterfragen. Bei Protestveranstaltungen halten junge Frauen Plakate hoch, auf denen sinngemäß steht: "Ihr könnt meinen Körper dominieren, aber nicht meinen Geist."

Wunsch nach Freiheit

In ihrer Jugend sei dies anders gewesen, sagt sie und erinnert sich an die mahnenden Worte der Eltern, sich dem Regime und der Religion zu beugen. Stattdessen tobte sich Nasim Eshqi beim Sport aus, feierte schon als Jugendliche große Erfolge beim Kickboxen. Nach der Schule studierte sie Sportwissenschaften, machte Siebenkampf, Schwimmen, Schießen und Ballsportarten. Erst als 23-Jährige begann Nasim mit Klettern, als sie beim Wandern in den Teheraner Bergen zufällig mit Kletterinnen spricht. Fernab der Großstadt und der Sittenpolizei finden sie dort eine sonst nicht mögliche Freiheit. Nasims Markenzeichen sind seit einigen Jahren die rosa Fingernägel, die sie nach Klettertagen neu lackieren muss. Das Rosa steht für "The Power of Pink": die Macht der Frauen und den Wunsch, sich überall frei bewegen zu können, nicht nur in den Bergen von Teheran.

Moderne Grenzgängerin und außergewöhnliche Frau

Im Rahmen der European Outdoor Film Tour ist Nasim Eshqi für den 21st Century Adventurer Award nominiert worden, der auf der ISPO in München verliehen wird. In der Begründung heißt es, sie sei eine moderne Grenzgängerin und außergewöhnliche Frau, die uns an der Überwindung mentaler, geografischer, körperlicher und ideologischer Barrieren, teilhaben lasse. Ihre politische Meinung stößt aber auch auf Widerstände, beispielsweise bei ihren beiden britischen Sponsoren, beides namhafte Sportartikelhersteller. Die Verträge wurden deshalb aufgelöst. Denn Nasim Eshqi ist nicht länger bereit, ihren Sport und ihre Überzeugungen voneinander zu trennen.

Für die mutigen Frauen im Iran

Nun ist die Profi-Kletterin auf der Suche nach einem neuen Sponsor, der ihre politische Botschaft mitträgt. Sie will kein reines Aushängeschild für ein Unternehmen sein, sondern sucht eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Auch da geht es um Gleichberechtigung. Den 21st Century Adventurer Award hat sie im Namen der mutigen Frauen im Iran entgegengenommen. Denn sie selber sei nur eine unbedeutende Figur, sagt sie bescheiden. Während sie dies sagt, liegt in ihrem Blick wieder dieses Strahlen und eine Kraft, die sie aus den Bergen zieht.

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