Im Brandschutt des NSU-Unterschlupfs fand sich ein Stadtplan von Nürnberg
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Im Brandschutt des NSU-Unterschlupfs fand sich ein Stadtplan von Nürnberg.

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NSU in Franken: Ausspähnotizen und Todeslisten

NSU in Franken: Ausspähnotizen und Todeslisten

In der konspirativen Wohnung der NSU-Terroristen in Zwickau fanden Ermittler eine gewaltige Datensammlung zu Anschriften in ganz Deutschland. Darunter auch viele Adressen in Mittel- und Oberfranken. Ermittler sehen diese teils als "Todeslisten".

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 1 am Morgen am .

A wie Ansbach, B wie Bamberg, C wie Coburg bis Z wie Zirndorf. Kaum ein Ort in der Region, der auf dieser immens langen Liste nicht auftaucht. Im Brandschutt des Zwickauer Wohnhauses, das Beate Zschäpe nach dem Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 in die Luft gejagt hatte, entdeckten die Ermittler neben Stadtplänen mit Markierungen, handschriftlichen Notizen und zwölf Waffen jede Menge elektronische Informationen. Ein gewaltiger Adressen-Satz kam zum Vorschein: Rund 10.000 Anschriften aus dem gesamten Bundesgebiet, auch von Politikern, Parteiorganisationen, Migrantenvereinen, israelitischen Kultusgemeinden. Als "10.000er Liste" ging der Fund in die Ermittlungsakten des Bundeskriminalamtes ein.

Anwälte vermuten NSU-Helfer in den Regionen

Anwälte, die die Hinterbliebenen der Mordserie vertreten, bezweifeln, dass nur Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Liste angefertigt haben. "Wir gehen davon aus, dass der NSU ein Netzwerk ist und noch viele weitere Mitglieder hatte", sagt der Nebenklagevertreter Sebastian Scharmer aus Berlin. Er fordert, endlich Licht in die Helferstrukturen zu bringen.

Auch in Franken könnten Unterstützer behilflich gewesen sein. Denn die Liste ist mehr als eine reine Adressen-Sammlung. Das gemeinsame Rechercheteam von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten hat die "10.000er Liste" nun erstmals umfänglich auswerten können. Bislang sind stets nur einige Details an die Öffentlichkeit gedrungen.

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Dönerimbiss, Flüchtlingsunterkünfte, Kommunisten-Büro

In Nürnberg etwa steht eine Asylunterkunft auf der Liste, versehen mit dem Zusatz: "Viele Häuser, sehr weit draußen, großes Gelände". Auch die Bemerkung über einen Imbiss-Stand im Nürnberger Stadtteil Schafhof hatte Aufsehen erregt: "Problem: Tankstelle nebenan, Türke aus Tankstelle geht in jeder freien Minute zum Reden rüber. Imbiß mit Vorraum". Der Verdacht liegt nahe: Womöglich hatten die Neonazi-Terroristen zuerst einen anderen Imbiss im Visier, ehe sie İsmail Yaşar am 9. Juni 2005 in seinem Verkaufsstand in der Scharrerstraße töteten.

Und es gibt noch weitere Objekte aus Nürnberg auf dieser Liste, versehen mit präzisen Hinweisen. So heißt es über eine Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Sandreuth: "Asylheim, Tür offen ohne Schloß, Keller zugänglich." Neben der Adresse einer weiteren Asylunterkunft im Stadtteil St. Peter steht: "Keine Hausnummer. Linkes Gebäude direkt vor Tunnel. Innenhof." Und bei der DKP, der Deutschen Kommunistischen Partei, die im Stadtteil Gärten hinter der Burg ein Büro betreibt, ist notiert: "EG, großes Fenster, normales Wohnhaus, Nazis verbieten." Das "Nazis verbieten" bezog sich womöglich auf ein Plakat im Schaufenster des Ladens.

Betroffene wissen nicht, dass sie auf der NSU-Liste stehen

Mehr als 50 Adressen aus Nürnberg stehen in der Liste, darunter neun Waffenhändler. Insgesamt findet sich fast kein solches Fachgeschäft in der Region, das den Rechtsterroristen entgangen wäre. Amberg oder Bamberg, Emskirchen, Erlangen, Leutershausen oder Rothenburg, nahezu jeder Waffenladen ist verzeichnet. Er habe keine Ahnung gehabt, dass er markiert worden war, sagt Waffen-Spezialist Hubert Greger aus Neumarkt in der Oberpfalz verblüfft, als er vom BR/NN Rechercheteam davon erfährt. Jedoch sei er gut gesichert, es sei unmöglich, sich bei ihm "etwas zu beschaffen".

Wie er wissen viele Menschen bis heute nicht, dass sie in den Fokus der Rechtsterroristen geraten waren. Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele und Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Chef des Bundesverfassungsgerichts, wurden erst vor kurzem über ihre Namen auf der Liste von Medien informiert und sind nun über die Sicherheitsbehörden empört.

"Man hat nicht immer nur Freunde, wenn man Abgeordnete ist"

Dagegen berichtet die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Verena Künstel-Wohlleben dem Rechercheteam, dass sie 2011 vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) persönlich in Kenntnis gesetzt worden sei. Künstel-Wohlleben wohnte in den 2000er Jahren in Röthenbach im Nürnberger Land und war Mitglied des Bundestags-Verteidigungsausschusses. Womöglich sei sie auf die Liste geraten, weil sie in Israel ein Krankenhaus betreut habe, mutmaßt sie selbst: "Man hat nicht immer nur Freunde, wenn man Abgeordnete ist."

Womöglich ist sie aber Opfer der offensichtlichen Praxis des NSU geworden, grundsätzlich alle Bundes- und Landtagsabgeordneten von Union und SPD mit Adressen zu vermerken. Der Name der Fürther CSU-Landtagsabgeordneten Petra Guttenberger findet sich ebenso auf der Liste wie der des Erlanger MdB Stefan Müller (CSU), von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) aus Erlangen und von der früheren Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) aus Nürnberg.

Auch jüdische Gemeinden und katholische Kirche auf der Liste

Auch der Bundeswehr-Fliegerhorst in Roth, die Bank of America in Bamberg, die Bundeswehr-Kaserne in Bayreuth oder die ehemalige Kaserne der amerikanischen Streitkräfte in der Fürther Südstadt sind genannt. Dazu die islamischen und türkischen Kulturvereine in der Region, viele Flüchtlingsberatungsstellen und die Adressen der Israelitischen Kultusgemeinden in Fürth, Nürnberg und Erlangen sowie der Landesverband Deutscher Sinti und Roma mit Sitz in Nürnberg. Auch die diversen Dienststellen der katholischen Kirche in Bamberg sind auf der Liste aufgeführt, das Ordinariat gleich mehrfach unter verschiedenen, teils falschen Bezeichnungen.

NSU-Opfer war in der Datei "Killer" aufgeführt

Wie gefährlich war die Situation für die Betroffenen? Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln, das die Liste vom Bundeskriminalamt (BKA) zugestellt bekam, schreibt im November 2011 an alle Landesämter in einer Aktennotiz, die dem Rechercheteam vorliegt: "Nach erster Einschätzung des BKA, die vom BfV geteilt wird, handelt es sich um eine Materialsammlung. Hinweise auf konkrete Planungen zu den jeweiligen Adressen liegen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vor." Womöglich kannten die Sicherheitsbehörden da noch nicht das gesamte Material.

Denn erst vier Monate später, im März 2012, sichtete das BKA einen weiteren dieser Datenträger. Darauf befand sich ein Ordner mit der Bezeichnung "Killer" und ein Unterordner "Datenbank Aktion wichtig!!!". Unter dem Dateinamen "nürn.bmp" entdeckten die Ermittler elektronische Kartenausschnitte aus den Nürnberger Stadtteilen St. Johannis, Altstadt/St. Lorenz, Gostenhof und St. Leonhard. Mit blauen Punkten und Sonnenbrille tragenden Smiley-Symbolen waren zwölf Orte markiert, die sich auch auf der 10.000er Liste wiederfinden, darunter ein griechisches Restaurant und eine Wohngemeinschaft für Flüchtlinge. Abgespeichert wurden die Adressen am 23. Mai 2005. Drei Tage später, am 26. Mai, kam eine 13. Adresse hinzu: die Imbissbude von İsmail Yaşar. Knapp drei Wochen danach ermordete der NSU Yaşar in seinem Verkaufsstand.

Mordopfer Lübcke wurde bereits vom NSU ins Visier genommen

Auch das Büro der DKP taucht in diesem "Aktion wichtig"-Verzeichnis von 2005 auf. Sieben Jahre später, nach der Selbstenttarnung des NSU, landete am 12. November 2011 die Bekenner-DVD der Rechtsterroristen im Briefkasten der DKP, adressiert an die Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ). Das braune Kuvert trug eine Briefmarke. Fast zeitgleich kam eine solche DVD auch bei den Nürnberger Nachrichten an. Jedoch hatte ein Unbekannter hier den Umschlag persönlich abgegeben – Beate Zschäpe hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits gestellt.

Warum die Terroristengruppe mehr als 10.000 Adressen bundesweit akribisch auflistete, darüber kann nur spekuliert werden. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Neonazis ursprünglich Attentate auf Politikerinnen und Politiker oder verschiedene Einrichtungen geplant haben. Auch die Privatadresse des 2019 von einem Neonazi ermordeten CDU-Politikers Walter Lübcke findet sich auf der NSU-Liste. Lübcke war seit Mai 2009 Regierungspräsident in Kassel. Bereits vor 2011 hat das NSU-Netzwerk den Politiker offenbar als potenzielles Opfer ins Visier genommen.

Notizzettel bilden "Todeslisten"

Doch auch einzelne Notizzettel wurden im Schutt des in die Luft gesprengten NSU-Unterschlupfs in Zwickau gefunden. Auf den Notizzetteln sind handschriftliche Notierungen, meist Namen mit Adressangaben aufgebracht. Die Notizen sind teilweise gut, teilweise gar nicht leserlich.

Einer dieser Zettel hat ebenfalls einen direkten Bezug zu Nürnberg. So findet sich der Name eines leitenden Nürnberger Polizeibeamten darauf mit dem Zusatz "Pl Nürnberg Vorgesetzter", mit großem "X" unter dem Namen. Auf dem gleichen Zettel steht, ebenfalls mit einem X hinter dem Namen ein damaliger Staatsanwalt aus München sowie der Name des Leiters einer KZ-Gedenkstätte. Auch mehrere Spitzenpolitiker, Staatsanwälte, Kriminalpolizisten und Journalisten aus ganz Deutschland sind auf den handschriftlich geschriebenen Notizzetteln aufgelistet.

BKA-Beamte kamen zu folgendem Fazit: "Die Notizzettel sind zur Planung und Vorbereitung von Straftaten sowie zur Auswahl von Personen, gegen die sich diese Straftaten richten könnten, geeignet. (..) Vor dem Hintergrund der ideologischen Ausrichtung (..) kann die Erstellung der Notizzettel dem übergeordneten Ziel zur Erstellung von sog. "Todeslisten" gedient haben, auf denen Personen des öffentlichen Lebens und Funktionsträger in Ämtern und Behörden aufgeführt sind mit dem Ziel, diese zu gegebener Zeit ggf. zu liquidieren."

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