"Schulterschluss", "gemeinsame Linien", "mutiger Entwurf" - nach Ansicht führender CSU-Politiker geht das neue Grundsatzprogramm der CDU in die richtige Richtung. Zwar liegt bislang erst ein Entwurf für das Programm vor, der deckt sich in weiten Teilen aber offenbar mit den Vorstellungen der Christsozialen - insbesondere bei der Flüchtlingspolitik. CSU-Chef Markus Söder schrieb im Kurznachrichtendienst X: "CSU und CDU sind sich einig: Wir brauchen eine Wende in der Migrationspolitik in Deutschland. Wir sind für Humanität, aber gegen eine unkontrollierte Zuwanderung."
Kurz vor der Landtagwahl in Bayern hatte Söder den Begriff der "Integrationsgrenze" aufgebracht - und damit die "Obergrenzen"-Forderung seines Vorgängers Horst Seehofer neu belebt. CDU-Chef Friedrich Merz sprang Söder damals bei, jetzt schreibt die CDU ihn ihrem Programmentwurf, es müsse eine "Obergrenze für den Zuzug geben".
Das neue CDU-Papier zementiert so eine Einigkeit zwischen den Schwesterparteien, die gerade beim Thema Migration lange Zeit keine Selbstverständlichkeit war: In den Jahren 2015 bis 2018 lieferten sich die damaligen Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer einen erbitterten Streit über die Flüchtlingspolitik im Allgemeinen und die "Obergrenze" im Konkreten.
Jahrelanger Zwist zwischen Merkel und Seehofer
Weil Merkel eine Obergrenze ablehnte, hatte Seehofer die damalige Kanzlerin 2015 auf einem CSU-Parteitag brüskiert, indem er ihr auf offener Bühne wie einem Schulmädchen eine Standpauke hielt. Als er 2018 Bundesinnenminister wurde und einen "Masterplan Migration" durchsetzen wollte, kam es zum Eklat. Er setzte der Kanzlerin eine Frist, drohte - und sorgte mit einer Rücktrittsankündigung sowie dem Rücktritt vom Rücktritt für Wirbel.
Auch Söder, Seehofers Nachfolger in der bayerischen Regierungszentrale, stimmte ein ins CSU-Dauerfeuer gegen die Kanzlerin und CDU-Chefin: Merkels Entscheidung von 2015 geißelte er als "grundlegenden Fehler", machte sie für eine Schwächung der Union verantwortlich und forderte ein Ende des "Asyltourismus" - eine Formulierung, von der er sich nach scharfer Kritik später distanzierte.
Söder und Merz: Neue Geschlossenheit
Als Söder 2019 CSU-Chef wurde, hatte sich Merkel bereits von der CDU-Spitze zurückgezogen. Stattdessen hatte es der neue starke Mann der CSU mit Annegret Kramp-Karrenbauer zu tun, später dann mit Armin Laschet und jetzt mit Merz. "Die Zusammenarbeit mit Friedrich Merz ist wirklich gut", sagte Söder kürzlich dem "Stern". "Von den drei CDU-Vorsitzenden, die ich als CSU-Chef erlebt habe, ist er derjenige mit den größten Gemeinsamkeiten." Nachdem sich Söder beim Thema Migration seit seinen Erfahrungen im Wahlkampf 2015 lange zurückgehalten hatte, fordert der CSU-Chef schon seit vielen Monaten wieder einen härteren Kurs.
Als Zeichen neuer Geschlossenheit präsentierten Söder und Merz bereits im Sommer ein gemeinsames Strategiepapier, mit dem CDU und CSU ihr konservatives Profil schärften, insbesondere bei innerer Sicherheit und Migration. Beide Parteichefs betonten unisono, dass ein solches gemeinsames Papier noch vor sechs Jahren nicht möglich gewesen wäre. Der Entwurf des neuen CDU-Grundsatzpapiers ist aus CSU-Sicht ein weiterer Schritt auf diesem gemeinsamen Weg. Die "Bild"-Zeitung zitiert den CSU-Vorsitzenden Söder mit den Worten: "Das neue CDU-Grundsatzprogramm ist gut, da steckt viel CSU drin."
Bekenntnis zur "Leitkultur"
Neben der "Obergrenze" bei der Migration greift die CDU im Programmentwurf auch den Begriff "Leitkultur" wieder auf, mit dem Merz vor mehr als zwei Jahrzehnten eine große Kontroverse ausgelöst hatte. Im neuen CDU-Papier heißt es: "Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen."
Kürzlich hatte auch die CSU-Landtagsfraktion unter ihrem neuen Chef Klaus Holetschek in einem neuen Positionspapier zur Integration von der "Leitkultur" gesprochen: "Wir müssen von den zu uns kommenden Migranten einfordern, dass sie unsere Leitkultur akzeptieren." CSU-Fraktionschef Holetschek zeigt sich im BR24-Gespräch erfreut, dass die CDU diesen Begriff explizit nennt. Er sehe da ein "gemeinsames Verständnis bei den Themen Migration und Integration". Positiv bewertet er die "klare Sprache", die die CDU verwende. Insgesamt sei es ein "guter Kompass", die CDU mache ihre Regierungsfähigkeit deutlich.
"Ausgrenzend" oder "einladend"?
Überraschungen brachte der CDU-Entwurf für Holetschek keine, wie der CSU-Fraktionschef erläutert. Wer die Äußerungen von CDU-Chef Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in den vergangenen Wochen verfolgt habe, dem sei klar gewesen, welche Grundsätze sich dort wiederfinden würden. Ähnlich fällt die Reaktion von CSU-Generalsekretär Martin Huber aus. Er sieht "hohe Übereinstimmungen mit der CSU." Für die CDU sei dieser Entwurf eine "einschneidende Sache", sagt Huber - und meint damit den Kurswechsel der CDU in Sachen Migration.
Mit dem neuen Papier bekräftigen die Christdemokraten einmal mehr und sehr offensiv eine Abkehr von der Merkel-CDU der Jahre bis 2018: in der Flüchtlingspolitik, aber auch im Umgang mit muslimischem Leben in Deutschland. So sagt die CDU denjenigen den Kampf an, die Hass und Gewalt schürten und eine islamistische Ordnung anstrebten. "Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland." Damit grenzt sich die Partei ab von einem Satz des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU), der 2010 gesagt hatte: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
Die Kritik muslimischer Verbände, die unter anderem "Ausgrenzung" und ein Fischen am rechten Rand beklagt hatten, weisen mehrere CSU-Politiker zurück. "Ich habe das nicht so verstanden", sagt beispielsweise Volker Ulrich, der Landesvorsitzende des CSU-Arbeitnehmerflügels CSA, sagt im BR24-Interview. Das Papier sei vielmehr "einladend, dass jeder zu Deutschland gehört, der sich zu unserem Werten bekennt, der das Grundgesetz akzeptiert, ungeachtet der Religion". Die sei für einen modernen Verfassungsstaat genau die richtige Haltung. Und CSU-General Huber stellt die Frage, wo "denn der Aufschrei der Muslim-Verbände bei den Anti-Israel-Demos" gewesen sei.
CSU-Grundsatzprogramm im Frühjahr vorgelegt
Zwar fordert auch die CSU in ihrem aktuellen Grundsatzprogramm ("Für ein neues Miteinander“), das nach jahrelanger Arbeit im Frühjahr beschlossen wurde, eine "Begrenzung" der Migration - die Wortwahl im CDU-Entwurf aber ist schärfer. Im aktuellen CSU-Programm taucht weder der Begriff "Obergrenze" noch die "Leitkultur" auf. Im Vorgänger-CSU-Papier von 2016 mit dem Titel "Die Ordnung", das wenige Monate nach der Flüchtlingskrise von 2015 beschlossen wurde, waren beide Begriffe noch zu finden.
Auch zum "Islam" und zu "Muslimen" äußert sich das aktuelle CSU-Grundsatzprogramm anders als der CDU-Entwurf nicht explizit. Betont wird lediglich: "Religionsfreiheit endet da, wo sie im Widerspruch zur verfassungsmäßigen Ordnung steht." Ganz anders 2016: "Der Politische Islam gehört nicht zu Deutschland", hieß es damals. "Der Islam muss sich in unsere Ordnung einfügen."
Begriff der "Obergrenze" zweitrangig?
Laut CSA-Landeschef Ulrich ist der CDU-Entwurf beim Thema Migration "in Nuancen vielleicht leicht anders" als das CSU-Programm, die grundlegende Richtung aber stimme. Ob man dabei "Obergrenze sagt oder nicht", sei zweitrangig. Entscheidend sei, ob man auf die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft Rücksicht nehme.
Auf die Frage, ob er die "Leitkultur" gern wieder im CSU-Grundsatzprogramm hätte, sagt Ulrich: "Nachdem ich auch Mitglied der CSU- Grundsatzkommission war, bin ich zufrieden, wie es bei der CSU formuliert ist - ausgehend von der Menschenwürde und der Freiheit des Einzelnen."
Im Video: CDU stellt ihr Grundsatzprogramm neu auf
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