Der Überfall auf die israelische Mannschaft durch palästinensische Attentäter während der Olympischen Spiele 1972 in München jährt sich zum 51. Mal. Viele Fragen zu dem Attentat sind noch offen. Nun sollen die Ereignisse zum ersten Mal umfassend wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Auf dem Programm der ersten mehrtägigen Arbeitstagung steht auch ein Besuch des Erinnerungsortes am Olympiapark. Von der Gedenkstätte aus ist das Gebäude im ehemaligen olympischen Dorf gut sichtbar, in dem 1972 die israelischen Sportler untergebracht waren.
Viele Akten noch geheim
Auch Professor Shlomo Shpiro von der Bar-Ilan Universität bei Tel Aviv gehört der achtköpfigen Forschungskommission an. Er sagt: In Israel ist der Anschlag nach wie vor tief im kollektiven Gedächtnis verwurzelt. Aus drei Gründen: "Erstens, die Opfer: Das waren die besten Sportler Israels, die damals sehr bekannt waren. Der zweite Grund ist, dass es in Deutschland stattfand – 27 Jahre nach Ende des Holocausts werden wieder Juden ermordet. Das hat sehr starke Gefühle verursacht." Und der dritte Grund sei, so der Historiker, dass Vieles bis heute unerklärlich bleibe. "Viele Akten sind noch geheim, viele Tatsachen und Geschehnisse sind noch verborgen", so der Professor.
Noch immer offene Fragen
Offene Fragen seien beispielsweise die Aktivitäten der Polizei und Behörden. Sind sie vorher gewarnt worden? Noch immer, so Shlomo Shpiro, wisse man auch zu wenig über die acht Terroristen selbst: "Was war ihr Plan? Wo sind die Asservate? Die Waffen der Terroristen? Die Sprengstoffe? Deren Reisepässe und Gepäck, die im Hotel gefunden wurden. Wo sind vor allem die Geschosse? Die fehlenden Kaliberangaben?" In Israel frage man sich, was es 51 Jahre nach dem Attentat noch zu verbergen gebe, so der Wissenschaftler. Zudem seien teilweise persönliche Gegenstände der israelischen Opfer bis heute nicht den Angehörigen zurückgegeben worden.
Bundesinnenministerium will Zugang zu Akten ermöglichen
Bisher ist das Olympiaattentat nicht umfassend wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Deshalb wurde die internationale Forschungskommission gegründet. Staatssekretärin Juliane Seifert aus dem Bundesinnenministerium sichert den Forschenden "größtmögliche" Hilfe zu: "Wir unterstützen die Kommission natürlich weiter als Bundesregierung – nicht nur mit finanziellen Mitteln, sondern ganz konkret auch, wenn es um den Zugang zu Quellen und Akten geht", sagt Seifert.
Unterstützung durch Institut für Zeitgeschichte
Unterstützt werden die acht Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Israel und Großbritannien auch vom Institut für Zeitgeschichte in München. Professor Andreas Wirsching, Direktor des Instituts, ist zuversichtlich, dass auch die Geheimdienste und Sicherheitsbehörden kooperieren werden und entsprechende Informationen, die bislang noch unter Verschluss stehen, der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden: "Wir haben da sehr gute Vorgespräche geführt, vor allem auch auf politischer Ebene, sodass ich da schon optimistisch bin, dass wir da rankommen".
Optimistisch ist Wirsching auch, was die Akten des israelischen Geheimdienstes Mossad betrifft. Auch von dieser Seite habe es schon positive Signale gegeben. Schwieriger werde es dann bei der Aufarbeitung möglicherweise mit den Geheimdiensten anderer Länder. "Das muss man dann sehen. Wir haben morgen mit Herrn Lammfromm einen sehr kundigen Archivar aus Tel Aviv dabei, der uns auch Rat geben wird", so der Direktor.
Es geht um den Anschlag, die Vorgeschichte und die Folgen
Drei Jahre soll das Projekt insgesamt dauern. In dieser Zeit wollen die Forscherinnen und Forscher den Anschlag, das Verhalten von Sicherheitsbehörden und Politik und die Folgen auf politischer und erinnerungskultureller Ebene genau untersuchen und neu bewerten.
Einer der Teilnehmer der Kommission ist Christopher Young von der Universität Cambridge. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die deutsche Sportgeschichte des 20. Jahrhunderts. Er rechnet fest damit, dass es viele neue Erkenntnisse geben wird: "Wir haben viele neue Quellen. Viele, die jetzt erst zur Verfügung gestellt werden. Ich gehe davon aus, dass da einiges zu holen ist."
Wissenschaftler setzen große Hoffnungen auf Projekt
Die drei Wissenschaftlerinnen, Prof. Margit Szöllösi-Janze aus München, Prof. Petra Terhoeven aus Göttingen und Prof. Shulamit Volkov aus Tel Aviv, und die fünf Wissenschaftler, Prof. Ofer Ashkenazi aus Jerusalem, Prof. Michael Brenner aus München, Prof. Shlomo Shpiro aus Ramat Gan, Prof. Klaus Weinhauer aus Bielefeld und Prof. Christopher Young aus Cambbridge, wollen sich einmal im Monat online und mindestens einmal im Jahr persönlich treffen.
Shlomo Shpiro aus Israel erhofft sich viel von dem Projekt: "Das Olympische Attentat ist nicht nur die 22 Stunden zwischen dem Ansturm auf das Gebäude um halb fünf Uhr morgens und zwei Uhr nachts als alle schon tot waren", sagt er. Denn es gebe eben auch eine Nachgeschichte und eine Vorgeschichte. "Was waren die Warnungen? Wie waren die Sicherheitsvorbereitungen? Es wäre höchste Zeit, es auf Basis von Tatsachen, von Unterlagen, von Zeitzeugen ganz fundiert aufzuarbeiten. Das wäre für mich ein großer Erfolg."
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