Vor mehr als 50 Jahren ist der Nationalpark Bayerischer Wald gegründet worden. Und mit ihm die Philosophie, dort die Natur Natur sein zu lassen. Über Generationen hinweg wird so zwischen Lusen, Rachel und Falkenstein, am Grenzkamm zwischen Bayern und Tschechien, ein Urwald entstehen.
Der Mensch muss lernen, loszulassen
Der Mensch soll nicht ins natürliche Geschehen eingreifen. Doch diese Idee stößt immer wieder an ihre Grenzen. Denn dafür muss der Mensch "loslassen", sagt Nationalpark-Chef Franz Leibl. "Und das ist der Mensch nicht gewohnt". Schließlich lebe man ja von und mit der Natur.
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Spagat zwischen Naturerlebnis und Naturschutz
Loslassen bedeutet, dass die Natur im Park absoluten Vorrang hat und sich Besucher an Gebote halten müssen. Eine Herausforderung bei knapp 1,4 Millionen Menschen, die jährlich den Nationalpark Bayerischer Wald besuchen.
30 Ranger sind nur dafür da, Besucher an Regeln zu erinnern. Im Kernbereich des Nationalparks müssen Wanderer zum Beispiel auf markierten Wegen bleiben. Außerdem ist Wildcampen im Nationalpark verboten. Nachts sollen Tiere ihre Ruhe haben.
Christine Schopf ist seit 28 Jahren Rangerin. Wildcamper habe es schon immer gegeben, "aber der Ton ist rauer geworden", erzählt sie. Auf tschechischer Seite, im Nationalpark Šumava, sind Ranger schon verprügelt worden. "Ich weiß um die Gefahr", sagt Christine Schopf. Ihr ist es dennoch wichtig zu betonen: Die meisten Nationalpark-Besucher halten sich mittlerweile an die Regeln und nehmen Rücksicht auf die Natur. Ein Erfolg – denn gerade in den Anfangsjahren des Nationalparks empfanden einige Einheimische die Wegegebote als unverschämte Vorschriften, an die sie sich nicht halten wollten.
Jagd – Ein emotionales Streitthema
Wohl kein Thema rund um den Nationalpark wird so kontrovers diskutiert wie die Jagd. Wie passen der Leitspruch "Natur Natur sein lassen" und die Jagd zueinander? Tatsache ist: Im Nationalpark werden nach wie vor Rotwild und Wildschweine abgeschossen.
Luchs übernimmt Jagd auf Rehe
Vor zehn Jahren hat die Nationalparkverwaltung die Jagd auf Rehe eingestellt. Der Grund: Die Rückkehr der Luchse. Nach der erfolgreichen Wiederansiedlung der größten europäischen Katzenart im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet hat sich auch die Räuber-Beute-Beziehung zwischen Luchsen und Rehen stabilisiert. Die scheuen Jäger kontrollieren den Rehbestand im Nationalpark. Anders beim Rotwild. Hier regelt der Mensch den Bestand.
Rotwildabschuss im Wintergatter
Die Jagd auf Hirsche ist in Bayern ein heftig umstrittenes Thema. Der Freistaat ist in Bezirke eingeteilt, in denen Hirsche zwingend abgeschossen werden müssen - sogenannte rotwildfreie Bezirke – und solche, in denen die Tiere leben dürfen. Die Grenzen wurden mehr oder weniger willkürlich gezogen.
So sind natürliche Wanderrouten der Tiere unterbrochen. Das hat Auswirkungen auf den Nationalpark. Der ist Rotwildbezirk, die Tiere können dort leben. Aber: Im Winter finden die Hirsche in den verschneiten Bergwäldern zu wenig Nahrung. Ihrem natürlichen Lebenszyklus folgend, würden sie in die Tallagen bis zur Donau wandern. Diese Wildwechsel aber sind durch Siedlungen und Straßen unterbrochen.
Die Nationalparkverwaltung versucht deswegen mit sogenannten Wintergattern die Natur im Bergwald zu simulieren, erklärt Marco Heurich, der beim Nationalpark unter anderem für das Wildmanagement zuständig ist. Hirsche werden also im Herbst in die Gatter gelockt und dort gefüttert. Aber auch abgeschossen. Jedes Jahr werden so 200 Tiere erlegt.
Ansätze, die Wintergatter aufzulösen, sind in der Vergangenheit unter anderem am Widerstand von Waldbesitzern und Jägern gescheitert. "Und es gibt auch keine Möglichkeit für das Rotwild, woanders hinzuziehen. Denn außerhalb des Nationalparks ist rotwildfreier Bezirk, die Hirsche müssten also abgeschossen werden", erklärt Marco Heurich.
Wölfe könnten Rotwildjagd übernehmen
Künftig könnte nun - ähnlich wie der Luchs – der Wolf die Aufgabe des Rotwildjägers übernehmen. Rund dreiviertel der Beute von Wölfen sind Hirsche. Aber noch ist die Zahl der frei lebenden Wölfe - zwei Rudel sind bekannt - zu gering. "Je nachdem, wie erfolgreich sich die Wolfspopulation entwickelt, können wir auch davon ausgehen, dass der Wolf ein Teil von dem, was momentan das Wildtiermanagement im Nationalpark macht, übernehmen wird."
Hohe Akzeptanz in der Bevölkerung
Generell ist der Nationalpark Bayerischer Wald heute in der Region akzeptiert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 sind 86 Prozent der Einheimischen für den Fortbestand des Nationalparks. War die erste Nationalpark-Erweiterung in den 1990er Jahren heftig umstritten und von Protesten begleitet, ging die zweite Erweiterung bei Mauth heuer lautlos über die Bühne.
Nationalparks nicht überall so verankert wie im Bayerischen Wald
Nicht überall in Deutschland sind Nationalparks so akzeptiert wie mittlerweile in Bayern, erzählt Peter Südbeck. Er ist Vorsitzender des Vereins "Nationale Naturlandschaften" und hat einen guten Überblick über die Nationalpark-Landschaft in Deutschland.
Die großen Konflikte, die im Bayerischen Wald in den 90er Jahren ausgetragen wurden, tauchen jetzt andernorts auf. Der Borkenkäfer frisst sich gerade durch die Wälder der jüngeren Nationalparks, beispielsweise im Harz und in der Sächsischen Schweiz. Das Bild toter Fichtenlandschaften ruft Ängste hervor.
Die Idee, das tote Holz einfach so liegen zu lassen, wird angezweifelt. Erste Protest-Bewegungen haben sich schon gegründet. Südbeck hofft, dass sich auch dort auf lange Sicht der Naturschutz-Gedanke durchsetzen wird. Er findet: "Nationalparke sind die besten Landschaften, die wir haben. Und wir müssen uns darum kümmern, dass es so bleibt."