Der Krieg in Gaza sorgt für eine zusätzliche Radikalisierung in Deutschland
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Radikalisierung gestiegen: Nachfrage beim BAMF verzehnfacht

Radikalisierung gestiegen: Nachfrage beim BAMF verzehnfacht

Seit Beginn des Angriffs der Hamas auf Israel verzeichnet die Beratungsstelle Radikalisierung beim Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen erheblichen Anstieg der Anfragen. Dort hat sich die Zahl der Anrufe verzehnfacht.

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Vor zwei Monaten hat die Hamas ihre Angriffe auf Israel gestartet. Seither hat auch die Beratungsstelle Radikalisierung beim Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erheblich mehr zu tun. Wie der Leiter der Beratungsstelle, Florian Endres, BR24 berichtet, hat sich das Aufkommen für Beratungsanfragen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verzehnfacht. Vor allem im Bereich Islamismus. Seit der Einrichtung der Beratungsstelle vor elf Jahren wurden rund 5.000 Anrufe registriert.

Derzeit haben zwölf Mitarbeiter, die täglich zwischen 09.00 und 15.00 Uhr die Hotline betreuen, aber deutlich mehr Anfragen zu bearbeiten als sonst üblich. Insgesamt gesehen, sei es aber immer wieder zu beobachten gewesen, dass Ereignisse, die medial transportiert werden, wie beispielsweise Terroranschläge, auch die Zahl der Anrufe bei der Beratungsstelle steigen lassen, erklärt Endres.

Besorgte Eltern, Lehrerinnen und Lehrer

Etwa die Hälfte der Anrufer stamme aus dem privaten Umfeld, die andere Hälfte aus dem professionellen Bereich. So würden sich besorgte Eltern, die bei ihren Kindern eine beginnende Radikalisierung befürchten ebenso melden wie Lehrer, Sozialarbeiter oder Arbeitgeber. Als Beispiel nannte Endres etwa Eltern, deren Tochter sich plötzlich mit dem Islam auseinandergesetzt hatte, ein Kopftuch getragen hatte und möglicherweise bereits zum Islam konvertiert war. "Es ist an sich natürlich kein Problem, wenn jemand zum Islam konvertiert", erklärt Endres. Es sei jedoch zu beobachten, dass radikale Islamisten sich besonders auf Minderjährige fokussieren und versuchen, junge Menschen zu rekrutieren.

Seit dem 7. Oktober, dem Tag an dem die Hamas ihre Angriffe auf Israel gestartet hat, würden sich aber auch verstärkt Lehrkräfte bei der Hotline melden. Sie fragen oft gezielt nach Infomaterialien, um den Nahost-Konflikt im Unterricht zu thematisieren. "Eine häufige Frage ist, wie kann ich das Thema moderieren, ohne dass mir die Klasse auseinanderfliegt und ich dann vielleicht noch größere Probleme habe", berichtet der Leiter der Beratungsstelle.

Unterschiedliche Lösungsansätze

So unterschiedlich die Anfragen sind, so breit ist auch die Palette an gebotenen Lösungen. So ist die Frage nach Infomaterial oft gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung oder anderen Partnern zu lösen. In Bayern gibt es ufuq.de, eine Fachstelle zur Prävention religiös begründeter Radikalisierung. Deren Mitarbeiter beraten Einrichtungen der Bildungs- und Jugendarbeit vor Ort. In extremen Fällen kann es aber auch sein, dass die Mitarbeiter des BAMF direkt die Polizei informieren.

Trotzdem werde die Beratung der Angehörigen dabei nicht außer Acht gelassen. "Wir sind in Deutschland so weit, dass der Kontext von Deradikalisierung und Beratung sehr eng verzahnt ist. Beratungsstellen und Sicherheitsbehörden greifen sehr eng ineinander", betont Endres. Seine Beratungsstelle versuche Radikalisierungseffekte früh zu erkennen und dann zu stoppen. Natürlich müsse man aber auch die Warnungen der Sicherheitsbehörden ernst nehmen, die festgestellt haben, dass es auch Menschen gibt, die bereit sind, den Parolen auch Taten folgen zu lassen. Das Attentat von Paris habe gezeigt, dass die Anschlagsgefahr derzeit höher ist als vor einiger Zeit.

Steigerungen auch bei Beratungsstelle der Stadt Nürnberg

Auch die Stadt Nürnberg hat eine Beratungsstelle eingerichtet: Das Nürnberger Präventionsnetzwerk gegen religiös begründete Radikalisierung ist beim städtischen Menschenrechtsbüro angesiedelt. Das Netzwerk richtet sich vor allem an Akteure der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, der Sozialarbeit, Schulen, Polizei und Justiz sowie an religiöse Gruppen und Vereine. Aber auch Einzelpersonen, die sich mit dem Thema "religiös begründete Radikalisierung" von Jugendlichen konfrontiert sehen, dürfen das Beratungsangebot in Anspruch nehmen, sagt der Leiter des Netzwerks Rainer Neußer.

Auch beim Nürnberger Netzwerk hätten sich die Anfragen seit dem Angriff der Hamas auf Israel signifikant gehäuft. Während in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres zahlreiche Anfragen eingegangen waren, die Neußer vorwiegend als "Nachwehen der Corona-Pandemie" bezeichnet, gebe es nun verstärkt auch Anfragen, die mit dem Krieg im Nahen Osten zu tun hätten. Vor allem Lehrkräfte und Fachkräfte aus der pädagogischen Jugendarbeit suchen Hilfe , wenn es darum geht, den Nahost-Konflikt zu behandeln. Mehrere entsprechende Fortbildungen sind nach Neußers Angaben inzwischen auch organisiert worden. Zum Teil wenden sich auch Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde an die Beratungsstelle. Anfragen gibt es aber auch von muslimischer Seite. Denn auch in dieser Community gebe es die Angst, dass Muslime nicht mehr als Teil Deutschlands wahrgenommen werden, berichtet Neußer.

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