Menschen in Abschiebungshaft müssen mehr Freiheiten genießen als Straftäter im normalen Vollzug – das mahnen Anwälte und Organisationen wie der Jesuiten-Flüchtlingsdienst seit Jahren an. "Abschiebehäftlinge sind keine Kriminelle", betont auch Nanne Wienands vom Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Hof" immer wieder. Nun haben die Kritiker der bayerischen Abschiebepraxis vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe Recht bekommen – die Haftbedingungen im bundesweit zweitgrößten Abschiebegefängnis in Hof verstoßen gegen EU-Recht, so die Bundesrichter. Die Zwangsmaßnahmen in der Haft dürften sich nur auf das Maß beschränken, das unbedingt erforderlich sei, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten.
Nur vier Stunden Besuch im Monat
Konkret rügte der BGH den Fall eines algerischen Flüchtlings, der 2022 mehrere Monate in Hof im Abschiebegefängnis einsaß. Zum einen monierten die Richter die Besuchszeiten – sie seien mit vier Stunden pro Monat zu kurz. Zum anderen kritisierten sie auch die sogenannten Einschluss-Zeiten: Im Abschiebegefängnis Hof wurden die Menschen jeweils ab abends um 19.00 Uhr in ihren Hafträumen eingesperrt - bis morgens um 9.00 Uhr. Dies sei zu lang.
Der BGH verweist auf Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Dort müssen die Häftlinge erst ab 22.00 Uhr in ihren Zellen sein. Ab 7:00 Uhr können sich die Insassen wieder freier bewegen. "Das entspricht der normalen Bettruhe", so der Nürnberger Jesuiten-Bruder Dieter Müller, der einmal pro Woche mit Ehrenamtlichen Rechtsberatung in Hof anbietet.
Justizministerium lockerte Regeln
Noch bevor der BGH jetzt seinen Beschluss veröffentlichte, hat das bayerische Justizministerium auf die Kritik reagiert: So gebe es bei den Besuchszeiten keine Einschränkungen mehr. Und die Schlafräume der Abschiebehäftlinge werden nun um 7:30 Uhr aufgeschlossen, also anderthalb Stunden früher, teilt das Justizministerium auf BR24-Anfrage mit. Die Haftbedingungen würden "fortlaufend überprüft und, soweit erforderlich, an die neuen Anforderungen der Rechtsprechung angepasst. Die neuen Regeln für Besuchs- und Einschlusszeiten gelten nicht nur im größten bayerischen Abschiebegefängnis in Hof, sondern auch in er zweiten Hafteinrichtung in Eichstätt."
"Jede Verbesserung muss juristisch erstritten werden"
Für den Jesuiten-Flüchtlingsdienst ist die BGH-Entscheidung ein "Durchbruch", meint Dieter Müller – ganz klar werde da festgeschrieben, dass Menschen in Abschiebehaft anders als Strafgefangene zu behandeln sind. Deshalb seien noch weitere Lockerungen nötig: "Es ist mühsam. Jede kleine Verbesserung in der Abschiebehaft muss juristisch erstritten werden. Aber wir haben einen langen Atem – als einzelne Organisation und auch im bundesweiten Netzwerk mit Anwälten", betont Müller.
Anwälte dürfen Häftlinge nicht direkt anrufen
Es sei zum Beispiel nicht nachvollziehbar, dass Abschiebehäftlinge in Bayern nicht von ihren Anwälten direkt angerufen werden können. Zusätzlich werde die Kommunikation erschwert, weil zum Beispiel keine Faxe mit Vollmachten verschickt werden dürfen – es sei nur der oft lange Postweg möglich. In diesem Zusammenhang erinnert Müller daran, dass seit Jahren bundesweit in etwa der Hälfte aller Abschiebefälle, die von Anwälten überprüft werden, Gerichte dann später feststellen, dass die Abschiebehaft grundsätzlich rechtswidrig war.
Helfer fordern Abschiebehaft-Vollzugsgesetz
Schon seit Jahren fordere man ein Abschiebehaft-Vollzugsgesetz, das die Haftbedingungen klar regele. In vielen anderen Bundesländern gebe es das bereits – aber nicht in Bayern. Die Staatsregierung sei der Ansicht, eine Hausordnung reiche aus – aber das gebe den Inhaftierten keine rechtliche Sicherheit, kritisiert Jesuitenpater Müller. "Wir machen weiter juristisch Druck. Die bayerische Regierung muss Abschiebehaft so vollziehen lassen, wie es europarechtlich auch gedacht ist."
Forderung: Häftlinge sofort entlassen
Solange es kein Vollzugsgesetz gebe, müssten die Menschen aus der Abschiebehaft sofort entlassen werden, fordert der Jesuiten-Flüchtlingsdienst als Konsequenz aus der aktuellen BGH-Entscheidung. Dagegen sieht das bayerische Justizministerium keinen Handlungsbedarf. Durch die Lockerungen bei den Besuchs- und Einschlusszeiten würden die aktuellen Haftbedingungen in der Abschiebehafteinrichtung Hof nun den europarechtlichen Vorgaben entsprechen, so ein Ministeriumssprecher.
Abschiebegefängnis Hof: 2023 nur halb voll
Die Abschiebehaftanstalt Hof wurde für rund 80 Millionen Euro direkt angrenzend an das reguläre Gefängnis am Hofer Stadtrand gebaut und 2021 eröffnet. Als zweitgrößte Einrichtung bundesweit verfügt sie über 150 Haftplätze für Männer und Frauen. 2023 war das Abschiebegefängnis aber nur zur Hälfte ausgelastet, teilt das bayerische Justizministerium auf BR-Anfrage heute mit.
Die Abschiebungshafteinrichtung Hof verfügt über 150 Haftplätze. Im Jahr 2023 waren durchschnittlich rund 83 dieser Haftplätze belegt, in den ersten fünf Monaten dieses Jahres durchschnittlich rund 103.
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