Eine Woche nach der bundesweiten Razzia gegen Reichsbürger werden weitere Hintergründe zu mehreren Festgenommen bekannt. Beschuldigte aus Bayern erzählten ausschweifend von ihren Umsturz-Plänen oder hatten offenbar Kontakte ins rechtsextreme Milieu. Besorgniserregend ist, dass bei den Razzien etliche Waffen sichergestellt wurden, darunter Faustfeuerwaffen und Langwaffen. Zudem sollen Beschuldigte bereits an einem Schießtraining an einer Anlage auf dem oberfränkischen Oschenberg teilgenommen haben.
NPD-Mann warb für Online-Shop von Peter Wörner
Im Führungsstab des "militärischen Arms" der konspirativen Reichsbürger-Gruppe sollten den Ermittlungen zufolge unter anderem die in Bayern lebenden Maximilian Eder und Peter Wörner sein. Beide haben einen militärischen Hintergrund: Der ehemalige Elitesoldat Peter Wörner aus dem Landkreis Bayreuth wurde bei der Bundeswehr laut eigenen Angaben zum Einzelkämpfer ausgebildet.
Seit Jahren schon bietet der 54-Jährige Überlebenstrainings an. Zu seinem Team gehörten nach BR-Recherchen schon vor Jahren Elitesoldaten wie Fallschirmjäger oder Angehörige des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Auf seiner Internetseite hat Peter Wörner mehrere Blogeinträge eingestellt, einer ist überschrieben mit den Worten "Impf-Apartheid?!" Unter anderem mit solchen Begriffen denunzierten Aktivisten im Querdenken-Milieu die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus.
Auf den Bildern, die Peter Wörner ins Internet stellte, sind immer wieder Runen zu sehen, darunter die bei Neonazis beliebte Odalrune oder die sogenannte Lebensrune. Wörner hatte offenbar schon seit 2010 Verbindungen in die rechtsextreme Szene. Das geht aus einer E-Mail hervor, die von der Antifa Freiburg dem BR zugespielt wurde. Darin schrieb ein Führungskader der NPD-Jugendorganisation in Baden-Württemberg an seinen Verteiler über den Internetshop von Peter Wörner: "Heil Euch, wer Bedarf an Ausrüstung hat sei auf untengenannten Kameraden mit Familie hingewiesen, der jetzt zusätzlich einen kleinen Online-Versandt anbietet. Bei Bedarf einfach bei mir melden dann gibt’s auf viele Dinge noch Nazi-Rabatt!"
Oberst der Bundeswehr: Vom Staatsdiener zum Staatsfeind?
Auch Maximilian Eder sollte laut Ermittlern zum Führungsstab des "militärischen Arms" gehören. Der im Kreis Freyung-Grafenau wohnhafte Eder diente als Oberst bei der Bundeswehr, bei den Elitekämpfern vom KSK und arbeitete für die NATO. Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde er zu einem der prominentesten Gesichter der Querdenken-Szene, trat beispielsweise als Redner bei einer Demonstration im Januar dieses Jahres in Nürnberg auf oder war neben einem AfD-Landtagsabgeordneten Redner bei einer Kundgebung im niederbayerischen Regen.
Er sei "kein klassischer Rechtsextremist", sagt eine Beobachterin der Szene in Niederbayern, die ihren Namen nicht in den Medien lesen möchte. Im BR-Gespräch erzählt die Szenekennerin davon, dass der Ex-Oberst quasi besessen sei von der Idee, er wolle "Kinder vor satanischen Mächten retten". Eder glaube ihr zufolge an eine Verschwörung aus der QAnon-Szene, wonach die Eliten weltweit Kinder in unterirdischen Lagern gefangen halten würden, um aus dem Stoffwechselprodukt Adrenochrom ein Verjüngungsserum zu gewinnen.
Eder glaubt, dass es ein großes Netzwerk aus Pädophilen gebe, in das neben Prominenten auch "Politiker bis in die höchsten Ebenen verwickelt" seien. Der hochrangige Ex-Militär erzählt in einem seiner Videos auch davon, dass er in eine Kindesentführung verwickelt gewesen sei. Im vergangenen Jahr habe er gemeinsam mit einer Mutter deren fünfjährigen Sohn aus der Schweiz in sein Haus in den Bayerischen Wald gebracht. Eder behauptete, dass der Vater pädophil sei und das Kind missbrauchte. Die Schweizer Polizei fand für diese Vorwürfe aber keine Hinweise. Das Kind und seine Entführer wurden von Interpol gesucht und nach Wochen bei Eder in Bayern gefunden.
Video-Drohungen im Tarnanzug
Eder machte aus seiner Gesinnung keinen Hehl. In einem Video von Mitte November sitzt der ehemalige Oberst in Bundeswehruniform mitten im Bayerischen Wald und beschwört: "Unser System kann man zum Wackeln kriegen, wenn ein paar wenige Entschlossene, Engagierte, Mutige anpacken". Es gehe ihm zufolge gegen diejenigen, die das System angeblich missbrauchen würden und nennt als Beispiele Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Verantwortliche Politiker für die Corona-Politik wüssten, "dass sie mit dem Rücken zur Wand stehen". Zudem behauptete er, dass unter anderem Kinder und Jugendliche "gerächt werden" müssten und erklärt: "Im Bayerischen Wald gibt es Leute, die das richten werden und überall gibt es Leute, die das richten werden". Noch vor Weihnachten 2022 solle der Plan ihm zufolge umgesetzt werden. Doch daraus wurde nichts, Eder wurde vergangene Woche in Italien festgenommen.
"Militärischer Arm" sollte Personen exekutieren
Die Verschwörer wollten mit ihrem militärischen Arm laut Ermittlern insgesamt 286 Heimatschutzkompanien in Deutschland aufbauen. Diese hätten laut Einschätzungen der Behörden während eines gewaltsamen Umsturzes Personen "festnehmen und exekutieren" sollen. "Soweit waren sie aber noch nicht" meint eine mit den Ermittlungen vertraute Person. Demnach sei es noch "keine kampffähige Truppe" gewesen, drei "Rumpfstrukturen" habe es allerdings gegeben. Für die Kommunikation hätten sie sich bereits auch mit Satellitentelefonen ausgestattet, damit eine sichere Kommunikation gewährleistet werden könne, sofern das Telefonnetz ausfiele.
Weniger bekannt ist mit Thomas T., die – laut Ermittlern – "rechte Hand" des Prinzen. Wie die Verbindung des Handwerkers aus dem Landkreis Ansbach zum angeblichen Kopf der Verschwörer zustande kam, "ist die Aufgabe der Ermittlungen der kommenden Monate", heißt es von mit dem Sachverhalt vertrauten Personen. Nach BR-Informationen vermuten Ermittler allerdings, dass T. schon in der Vergangenheit an Reichsbürger-Treffen im Raum Nürnberg teilgenommen habe.
Ermittler: Es war höchste Zeit zuzuschlagen
Laut Ermittlern unterschrieben die Beschuldigten der mutmaßlichen Putschtruppe auch gruppeninterne Verschwiegenheitserklärungen. Diese seien allerdings erst bei den Razzien gefunden worden. Die Ermittler behandeln vor allem diese Erklärungen "sehr spurenschonend". Sie suchen derzeit beispielsweise nach Fingerabdrücken auf den Dokumenten.
Bei der Auswertung der dreistelligen Zahl an Verschwiegenheitsdokumenten könnten sich nach BR-Informationen noch weitere Beschuldigte ergeben. Die Zahl von derzeit insgesamt 54 Beschuldigten könnte sich durchaus verdoppeln, schätzen Personen, die mit dem Fall vertraut sind. Auch wenn ein geplanter gewaltsamer Umsturz der Gruppe noch nicht direkt bevorstand, waren die Ermittler der Meinung, dass es höchste Zeit war, zuzuschlagen. "Wir hatten genug in der Hand", so ein Ermittler gestern in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Bundestags.
Beschuldigte wussten laut Behörden nichts von Razzia
Sie verwahren sich auch gegen den Vorwurf, Beschuldigte hätten im Vorfeld von der Razzia gewusst, es habe aber eine Vorahnung gegeben. Aufgekommen war die Anschuldigung unter anderem im Fall von Maximilian Eder, dem ehemaligen Oberst der Bundeswehr aus Bayern. Dieser hatte Tage vor der Razzia seine Nachbarin vor einer anstehenden Durchsuchung gewarnt.
Laut Ermittlern kam das so zustande: Nachdem der uniformierte Eder im November ein Video ins Internet stellte, in dem er Reichsbürger-Thesen verbreitet haben soll, wollten Beamte der Bayerischen Polizei bei Eder eine Gefährderansprache durchführen. Weil der Ex-Soldat allerdings im Urlaub in Split in Kroatien war, erreichten die Beamten ihn nicht und hinterließen eine Nachricht. Seine Nachbarin bekam davon Wind, und Eder vermutete eine Razzia wegen des Videos. Von der großangelegten Reichsbürger-Razzia wusste laut Ermittlern keiner der derzeit Beschuldigten.
- Zum Artikel: "Polizei suchte Reichsbürger-Verdächtigen vor Razzia auf"
Staatsfeinde in Uniform bereiten Politikern und Sicherheitskreisen Sorge
Beim Blick auf die Gruppierung entsteht für viele der Eindruck, es handle sich um eine "durchgeknallte" Truppe, wie sie auch einige Medien beschrieben. Was sowohl Politikern als auch Angehörigen aus dem Sicherheitsapparat allerdings Sorge bereitet: Es sind erneut Personen beteiligt, die bei Polizei oder Bundeswehr im Dienst sind oder waren. Vor allem die aktive oder ehemalige Zugehörigkeit zur Bundeswehr-Spezialeinheit KSK besorgt viele. Dennoch hätte die nun hochgenommene Gruppe zum derzeitigen Stand keinen Staatsstreich vollziehen können, sind sich viele mit dem Fall vertraute Personen einig. Verharmlosen dürfe man die Gruppe demnach aber trotzdem nicht.
Der Artikel wurde am 14.12.22 um 08.30 Uhr aktualisiert.
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