Im Prozess um das tödliche S-Bahn-Unglück werden heute vor dem Amtsgericht München die Plädoyers und das Urteil erwartet.
Lokführer entschuldigt sich unter Tränen
Nach zwei Verhandlungstagen ist immer noch unklar, warum der Lokführer trotz Halte- und Warnsignalen die S-Bahn auf die eingleisige Strecke gesteuert hatte. Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Ebenhausen/Schäftlarn soll der 56-Jährige ein rotes Haltesignal ignoriert und sich sogar über einen Zwangshalt hinweggesetzt haben, indem er eigenmächtig ohne Rücksprache mit dem Fahrdienstleister einfach in das Gleis eingefahren sei, so die Anschuldigung der Staatsanwaltschaft.
Der Lokführer hat vor Gericht bereits gestanden und sich unter Tränen für den Fehler entschuldigt, sagt aber, er könne sich an nichts mehr erinnern.
Grober Verstoß gegen das Bahn-Regelwerk
Ein Gutachter hat den Unfallhergang rekonstruiert. Laut seinem Bericht lag kein technischer Defekt vor, weder an Bahn noch im Gleissystem. Stattdessen habe der Lokführer eindeutig gegen das Regelwerk der Bahn verstoßen. Die Weiterfahrt am rot leuchtenden Haltesignal, ohne Zustimmung des Fahrdienstleiters, sei der größtmögliche Fehler, den ein Zugführer machen könne, so Martin Will, Sachverständiger im Eisenbahnwesen.
Erhöhter Ketaminwert in Haarprobe
In der Haarprobe des Angeklagten gab es bei der toxikologischen Untersuchung einen erhöhten Ketaminwert. Ketamin ist ein Narkosemittel, das aber auch als Rauschdroge missbraucht werden kann. Der erhöhte Wert könnte auch durch die medizinische Behandlung zustande gekommen sein, so der Anwalt des Angeklagten, Stephan Beukelmann. Die Probe wurde erst eine Woche nach dem Unfall genommen, nach einer Operation und nach Medikamentengaben. Denn auch der 56-Jährige wurde bei dem Aufprall verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden.
Die forensische Toxikologin Gisela Skopp vom Forensisch-Toxikologischen Zentrum (FTC) sagte vor Gericht, mit einer einmaligen Aufnahme sei der Wert nicht erklärbar. Sie sieht den Wert im Suchtbereich und sagt, Ketamin könne zu eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit führen und Halluzinationen hervorrufen. Jedoch reiche die Haarprobe nicht aus, um einen Drogenmissbrauch am Unfalltag zu belegen.
Polizeibeamte sagten als Zeugen aus, dass der Angeklagte nicht unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Auch für eine Ablenkung, etwa durch ein Handy, gebe es keine Hinweise.
Amnesie gibt weiter Rätsel auf
Die Amnesie, also den Gedächtnisverlust zum Unfallhergang beim Angeklagten, kann ein Rechtsmediziner nicht wirklich erklären. Für eine Gehirnerschütterung gebe es keine Hinweise. Ob es sich um eine authentische Amnesie handele oder nur ein vorgetäuschter Gedächtnisverlust vorliege, könne nicht abschließend bestimmt werden. So gab der Lokführer immer wieder einzelne Erinnerungen preis, etwa dass er sich wunderte, dass der Gegenzug nicht in Icking am Bahnhof stand. Auch fragte er kurz nach dem Unfall, ob er Schuld habe. Die Ärzte, die ihn untersucht hatten, bescheinigten dem Angeklagten, er leide unter Flashbacks, also blitzartigen Fragmenten der Erinnerung.
Musterschüler mit Kindheitstraum Lokführer
Über die psychische Verfassung des 56-Jährigen vor dem Unfall ist nichts bekannt. Er selbst sagte vor Gericht, er habe sich gut gefühlt an diesem Tag. Er habe weder privat noch beruflich unter Stress gestanden, und Lokführer zu sein sei schon immer sein Kindheitstraum gewesen. Er könne sich den Unfall selbst nicht erklären. Seinem Ausbilder zufolge war der Quereinsteiger ein Musterschüler gewesen, "fast Klassenbester".
Bis zu vier Jahre Freiheitsstrafe möglich
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Triebwagenführer fahrlässige Tötung sowie fahrlässige Körperverletzung in 51 Fällen und eine vorsätzliche Gefährdung des Bahnverkehrs vor. Nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung wird für heute das Urteil am Amtsgericht München erwartet. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft kann das Strafmaß bis zu vier Jahre Freiheitsstrafe betragen.
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