Kurz vor Mitternacht im Supermarkt noch Reis oder Milch besorgen, ein Shoppingbummel im Einkaufszentrum bis 22 Uhr – in vielen Bundesländern ist das seit mehr als 15 Jahren möglich. Oder die Läden dürften zumindest öffnen, wenn sie wollten. Nur in Bayern und im Saarland müssen alle Geschäfte um 20 Uhr schließen. In Rheinland-Pfalz und Sachsen dürfen sie bis 22 Uhr öffnen, in gleich zwölf Bundesländern werktags rund um die Uhr.
Seit der Föderalismusreform von 2006 können die Länder selbst über ihre Ladenöffnungszeiten bestimmen. Nach und nach wurden in allen Bundesländern eigene Gesetze dazu beschlossen – außer im Freistaat. Er ist das einzige Bundesland, in dem nach wie vor das Ladenschlussgesetz des Bundes aus dem Jahr 1956 gilt. Vorstöße, eine Liberalisierung auch in Bayern auf den Weg zu bringen, gab es über die Jahre mehrere. Alle scheiterten – zum Teil sogar spektakulär (dazu später).
In dieser Legislaturperiode nun will Sozialministerin Ulrike Scharf nach fast 18 Jahren doch ein bayerisches Ladenschlussgesetz auf den Weg bringen. Die CSU-Politikerin verspricht eine Modernisierung und Entbürokratisierung der Vorschriften.
Was plant die Koalition?
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte schon Anfang Dezember in seiner Regierungserklärung "Erleichterungen beim Ladenschluss" versprochen. Im Koalitionsvertrag vereinbarten CSU und Freie Wähler: "Wir wollen beim Ladenschluss weitere lange Einkaufsnächte sowie den durchgehenden Betrieb von digitalen Kleinstsupermärkten als neue Form der Nahversorgung ermöglichen."
Eine generelle Verlängerung der Ladenöffnungszeiten wie in den meisten anderen Bundesländern soll es aber nicht geben. "Die Grundpfeiler des Ladenschlussrechts bleiben dabei auch im neuen Gesetz gültig", sagt Ministerin Scharf dem BR und stellt klar: "Die Öffnung an Sonn- und Feiertagen bleibt unberührt. Montag bis Samstag sind Öffnungszeiten von 6 bis 20 Uhr möglich." Die "Balance der verschiedenen Interessen" solle gewahrt bleiben.
Ziel des neuen Gesetzes soll der Ministerin zufolge unter anderem sein, den Betrieb digitaler Kleinstsupermärkte rechtlich klar zu regeln. Das sind Läden mit maximal 100 Quadratmetern, in denen die Kunden ihre Waren selbst scannen. Deswegen können diese Kleinstsupermärkte bereits jetzt von Montag bis Samstag 24 Stunden geöffnet sein – mit Ausnahmegenehmigung sogar sonntags.
Scharf will mehr lange Einkaufsnächte
Darüber hinaus ist eine gewisse Lockerung bei langen Shoppingabenden geplant. Bisher darf jede Kommune einmal im Jahr im Zusammenhang mit einer kulturellen Veranstaltung ausnahmsweise die Ladenöffnungszeiten verlängern – wobei "der reine Shoppinggedanke nicht im Vordergrund" stehen darf. Die Kommunen müssen diese Ausnahme beantragen, brauchen einen triftigen Anlass wie zum Beispiel das Stadtgründungsfest. Zudem muss die Öffnung auf den "Kernbereich der Kommune beschränkt" werden.
Scharf will im neuen Gesetz weitere Einkaufsnächte ermöglichen – im Gespräch sind beispielsweise insgesamt vier im Jahr. Laut "Augsburger Allgemeine" sollen die Gemeinden darüber selbst bestimmen können und keinen Antrag mehr bei der Bezirksregierung stellen müssen. Ein konkreter Anlass solle nicht mehr Voraussetzung sein, die Beschränkung auf das Ort- oder Stadtzentrum wegfallen.
Handelsverband hofft auf zusätzliche Shoppingnächte
Der Handelsverband Bayern würde eine solche Lockerung begrüßen. "Das ist mehr, als wir jetzt haben", sagt Verbandssprecher Bernd Ohlmann dem BR. Die aktuelle Regelung verbiete es, dass ein Händler beispielsweise zum Geschäftsjubiläum am Abend länger öffne oder nach einem dreimonatigen Umbau nach 20 Uhr eine Modenschau in seinem Laden veranstalte. "Da würden wir uns schon ein bisschen mehr Flexibilität wünschen." Kritisch sieht Ohlmann zudem, dass bisher alle Kommunen unabhängig von ihrer Größe über einen Kamm geschoren werden.
Bei den Regelungen für Sonn- und Feiertage – erlaubt sind vier Öffnungen im Jahr anlässlich von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen – sieht Ohlmann dagegen keinen Änderungsbedarf. "Die reichen völlig aus."
"Die Büchse der Pandora"
Auch wenn nur kleine Neuerungen beim Ladenschluss geplant sind, beobachtet Ohlmann eine große Angst in der Politik, das Gesetz anzupacken: "Denn wenn sie das aufmachen, haben sie direkt die große Diskussion: Was ist mit den Öffnungszeiten unter der Woche?" Ohlmann selbst würde sich eine Lockerung wünschen, räumt aber ein, dass hier die Meinungen auch bei Einzelhändlern auseinandergehen. "Da sagen auch einige bei uns im Verband: 'Lasst alles wie es ist.' Andere wollen mehr Freiheit." Ähnlich unterschiedlich seien die Ansichten in der CSU.
Konfliktpotenzial räumt auch CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek ein: "Es gibt sehr unterschiedliche Meinungen. Wir sind eine große Fraktion, wir haben ja auch einen Koalitionspartner", sagt er. Holetschek würde mögliche Kontroversen lieber vermeiden und wirft die Frage auf, "ob wir überhaupt ein neues Ladenschlussgesetz brauchen". Das müsse zunächst geprüft werden. Schließlich gehe es um relativ kleine Änderungen. Sollte ein Gesetz nötig sein, könne es "große Diskussionen" und weitergehende Forderungen geben, befürchtet der CSU-Fraktionsvorsitzende. "Manche sagen ja, man öffnet im wahrsten Sinne die Büchse der Pandora."
Denkwürdige Abstimmung bei der CSU
Wie heiß das Eisen Ladenschluss ist, zeigt ein Blick zurück: Als 2006 in vielen Bundesländern eine Liberalisierung auf den Weg gebracht wurde, gab es auch in der CSU Befürworter längerer Öffnungszeiten. An ihrer Spitze standen Wirtschaftsminister Erwin Huber und Staatskanzleichef Eberhard Sinner.
In der CSU-Landtagsfraktion wurde das Thema kontrovers diskutiert – in einer denkwürdigen Sitzung. Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) verließ die Beratungen vorzeitig wegen eines Termins, kurz bevor abgestimmt wurde. Er hätte das Zünglein an der Waage sein können. "Eine geheime schriftliche Abstimmung in der Landtagsfraktion zum Vorschlag ging mit 51 zu 51 Stimmen aus", erinnert sich Innenminister Joachim Herrmann, der damals CSU-Fraktionsvorsitzender war. Damit war eine Änderung vom Tisch.
Als die CSU später in einer Koalition mit der FDP regierte, bemühte sich Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) um eine Liberalisierung – erfolglos. 2014 regte dann der damalige JU-Landeschef Hans Reichhart eine Befragung der CSU-Mitglieder an und sprach sich "persönlich" unter Verweis auf Erfahrungen aus anderen Ländern für längere Öffnungszeiten aus. Der parteiinterne Gegenwind ließ nicht lange auf sich warten. Für Innenminister Herrmann steht heute jedenfalls genauso wie für Scharf und Holetschek fest: "Generelle Änderungen der Ladenöffnungszeiten stehen auch aktuell nicht zur Debatte."
Möglicher Streitpunkt Sonntag
Welche Dynamik das Ringen um ein neues Gesetz in der schwarz-orangen Koalition entfalten könnte, kann niemand absehen. Diskussionen könnte es beispielsweise bei der Frage einer Sonntagsöffnung der digitalen Kleinstsupermärkte geben. Die CSU tendiert dazu, daran festzuhalten, dass sie sonntags geschlossen bleiben. "Ich bin dafür, dass wir den Sonntagsschutz und den Feiertagsschutz tatsächlich belassen", sagt Holetschek. Zwar müsse man sehen, inwieweit man für den Betrieb sonntags überhaupt Mitarbeiter benötige – und dann breit darüber diskutieren, auch mit Gewerkschaften und Kirchen. Grundsätzlich aber habe der Sonntag für eine christliche Partei wie die CSU eine große Bedeutung. "Es muss auch einen Tag geben, der eine besondere Wertung hat."
Die Freie-Wähler-Fraktion dagegen fordert eine "Rund-um-die-Uhr-Öffnung an sieben Tagen pro Woche", wie ihr Arbeitsexperte Anton Rittel dem BR sagt. "Die neuen dezentralen Minishops wären also 365 Tage im Jahr zum Einkaufen verfügbar."
Aiwanger mahnt: Ergebnisoffen diskutieren
Auch über die Zahl der erlaubten Shoppingnächte könnte gerungen werden. "Wir könnten uns zum Beispiel bis zu sechs lange Einkaufsnächte im Jahr vorstellen, um den Einzelhandel und die Innenstädte zu beleben", teilt Freie-Wähler-Chef und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger dem BR mit.
Er hält ein neues Gesetz jedenfalls für notwendig. "Wir fordern schon lange ein bayerisches Ladenschlussgesetz." Er begrüße es, dass das Projekt "endlich" angegangen werde. Dabei lehnt er Vorfestlegungen ab: "Die Inhalte müssen aber ergebnisoffen diskutiert werden." Das geplante Reförmchen könnte also durchaus noch zu Kontroversen führen.
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