Raphael steht in Gummistiefeln und einem Kescher in der Hand im Panolsgraben und wartet auf die Anweisung seiner Mitschülerin Marielle. Er darf nicht einfach irgendwo im Bach eine Probe nehmen. Denn die Klasse muss nach strengen wissenschaftlichen Methoden arbeiten. Der kleine Wildbach verläuft in einem Waldstück parallel zur Straße zwischen Traunstein und Waging. An diesem heißen Sommertag spendet der kühle Wald den Schülern Schatten für die anstrengende Forschungsarbeit.
Marielle schaut auf eine Bleistiftzeichnung des Flussabschnitts. Darauf sind zwanzig verschiedene Stellen angekreuzt, wo Insekten, Larven, Schnecken, Würmer und andere wirbellose Kleinlebewesen von den Steinen abgebürstet werden müssen. Bei der nächsten und tiefsten Stelle ist Anna dran. "Mir macht es total Spaß draußen in der Natur zu sein, deswegen bin ich froh, dass wir bei dem Projekt mitmachen dürfen", sagt sie.
Große Datenbank für besseren Gewässerschutz
Unter dem Motto "gemeinsam Wissen schaffen" dokumentieren Bürgerinnen und Bürger beim sogenannten FLOW-Projekt den ökologischen Zustand von Bächen und kleinen Flüssen.
Je mehr Tierarten in einem Fließgewässer vorhanden sind, desto besser ist der Zustand des Gewässers. Um die Artenvielfalt zu beurteilen, müssen sich die Schüler des Traunsteiner Annette-Kolb-Gymnasiums zum Beispiel Mücken- oder Eintagsfliegenlarven unter dem Mikroskop anschauen und anhand eines Bestimmungsbuchs einer Art zuordnen. "Das ist die schwierigste Aufgabe für die Schüler", sagt ihre Biologielehrerin Beate Rutkowski. Allein bei den Eintagsfliegen unterscheidet man in Mitteleuropa rund 80 Arten.
Wasserqualität und Naturnähe im Fokus
Zum Projekt gehört auch die Bestimmung der Gewässerstrukturgüte. Dazu beurteilt die Schulklasse den Gewässeruntergrund, die Uferstruktur und das Strömungsbild. Die Güte beschreibt, wie naturnah der Bach ist. Eine andere Gruppe entnimmt Wasserproben und untersucht chemische Werte und physikalische Eigenschaften des Wassers, etwa die Sauerstoffsättigung, die Nitrat- und Phosphatbelastung und die Leitfähigkeit des Wassers. Dann wird notiert, ob Richtwerte für den guten ökologischen Zustand überschritten werden.
Panolsgraben: Eher die Ausnahme
Noch steht das Gesamtergebnis nicht fest. Die vielen Daten wird ihre Projekt-Betreuerin erst in den folgenden Tagen in eine Datenbank eingeben. Doch was die Klasse jetzt schon beurteilen kann: Der Panolsgraben ist trotz umliegender Landwirtschaft kaum belastet und ist damit eher die Ausnahme in Deutschland.
Druck auf Gewässer durch Landwirtschaft und Klimawandel
Viele Gewässer in landwirtschaftlich geprägten Regionen leiden stark unter den Einträgen von Pestiziden und Düngemitteln. Und das, obwohl die EU-Mitgliedstaaten schon vor mehr als 20 Jahren vereinbart haben, dass alle Oberflächengewässer, also Seen, Teiche, Flüsse, Bäche und Küstengewässer, bis 2015 in einen guten ökologischen Zustand versetzt werden sollen.
Nur 8 Prozent der Fließgewässer noch naturnah
Dem Umweltbundesamt zufolge befinden sich aber nur etwa acht Prozent der deutschen Fließgewässer in einem guten ökologischen Zustand. Besonders die kleinen Bäche und Gräben werden laut Helmholz-Zentrum für Umweltforschung in Deutschland nicht systematisch überwacht, obwohl sie 70 Prozent des Fließgewässernetzes in Deutschland bilden. Der Panolsgraben bei Waging ist ein Sonderfall: Als Wildbach klassifiziert, übernimmt das Wasserwirtschaftsamt das Gewässermonitoring.
Bürgerforschung schafft Daten für besseren Gewässerschutz
Durch das sogenannten Citizen-Science-Projekt FLOW entsteht eine Datenbank zum Zustand der Bäche in Deutschland, die als Basis für Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen dienen soll. Die Gymnasiasten aus Traunstein erheben also wichtige wissenschaftliche Daten, auf denen Dissertationen aufbauen werden. FLOW ist ein Projekt des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung und des Bund Naturschutz. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
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