Christian Nitsche, BR24: Herr Söder, ganz Europa schaut auf Deutschland, wünscht sich eine starke Regierung. Welches Signal soll von dieser künftigen Regierung, die ja noch zu bilden ist, dann ausgehen für Europa?
Markus Söder: Es muss ein Richtungswechsel her. Ich meine, wir haben es in Deutschland auch gespürt, bei all der Freude darüber, dass wir auch in Bayern sehr, sehr gut abgeschnitten haben und viele Mandate gewonnen haben. Aber bei all der Freude bleibt die Nachdenklichkeit über die Stärke der AfD und die Tatsache, dass AfD und Linke im Parlament über eine Sperrminorität verfügen, was Verfassungsänderungen betrifft, was für die Verteidigung sehr schwierig sein könnte. Und insofern, glaube ich, müssen wir einen Richtungswechsel organisieren, damit Deutschland nicht den gleichen Weg geht wie andere Demokratien in Europa, nämlich Stück für Stück schwächer, Stück für Stück mehr von Radikalen unter Druck gesetzt zu werden. Deswegen muss es eine schnelle und klare Regierungsbildung geben mit einem klaren Richtungswechsel, gerade in der Migration, der Wirtschaftspolitik und für mehr Verteidigung.
BR24: Aber können Sie sich da so sicher sein, dass die SPD bei diesem Richtungswechsel mitgeht? Merz hat ja gesagt, vor der Wahl, nur bei einem Richtungswechsel geht er in eine Koalition. Was ist, wenn da auch eine Sperre eingezogen wird?
Söder: Ich glaube, jeder muss das Wahlergebnis sehen mit einem gerade im Osten extrem hohen AfD-Anteil. Der Osten ist weitgehend blau geworden, wenn man die Landkarte der Direktmandate ansieht. Und die SPD war immer eine Partei mit hohem Verantwortungsbewusstsein. Und sie sieht natürlich auch, dass sie bei den Arbeitnehmern nur Platz drei mittlerweile hat. Das alte Erbe droht verloren zu gehen und deswegen muss sie sich auch ändern, um auf Dauer erfolgreich zu sein.
Und wir müssen in Deutschland was ändern, um die Ränder wieder kleiner zu machen und die Mitte zu stärken. Das ist in der Ampel nicht gelungen. So bin ich auch heilfroh, dass nicht irgendwelche komischen Koalitionen wie Kenia jetzt zur Diskussion stehen - allein das Wort verunsichert die Deutschen.
Und mit den Grünen hätte es Richtungswechsel null gegeben. Ganz im Gegenteil. Ich war immer klar gegen die grüne Regierungsbeteiligung. Ich bin froh, dass wir das jetzt auch so umsetzen können. Und deswegen hoffe ich aber, es wird noch harte Verhandlungen geben, dass die SPD dies erkennt und ihrer Verantwortung gerecht wird.
Söder glaubt an Kompromisse mit der SPD
BR24: Sie sagen Richtungswechsel und der muss kommen, bei der Migration. Wo sind Sie da bereit, auch Kompromisse einzugehen? Oder gibt es keine Kompromisse mit der SPD? Was ist mit Zurückweisungen an der Grenze?
Söder: Nun, die Bundesinnenministerin hat ja schon Einzel-Zurückweisungen gemacht. Es ging ja in dem Wahlkampfgetöse unter. Das heißt, diese Struktur gibt es ja. Insofern ist das auch etwas, was leicht eine Regierung anweisen kann. Da braucht es auch keine Grundgesetzänderung dafür. Und Grenzkontrollen wurden eingeführt, nachdem wir Druck gemacht haben. Das heißt, wir sind schon eigentlich auf dem Weg in die Richtung, wie wir es wollen, aber es reicht halt noch nicht aus und wir müssen dabei stärker werden und auch grundlegender an der Stelle agieren.
Ich glaube schon, dass das absolut machbar ist, denn auch die SPD-Bürgermeister, die SPD-Landräte klagen über die hohen Belastungen beim Thema Migration in den Kommunen. Also eigentlich ist der Weg jetzt bereitet, Entscheidungen zu treffen. Deswegen, da bin ich sehr optimistisch, dass das passiert. Und weil Herr Klingbeil gesagt hat, man will mehr Helmut-Schmidt-SPD-Wähler werden: Helmut Schmidt hätte diese illegale Migration deutlicher begrenzt und und beendet. Und deswegen hoffen wir darauf, dass das auch passiert.
40 Prozent nicht erreicht - "Erbe von 2005 bis 2021"
BR24: Wenn Sie jetzt auf Bayern schauen, dann haben Sie die 40 Prozent nicht erreicht und Sie sehen eine ganz extrem starke AfD. Auch eine Million Wähler sind abgewandert von der Union zur AfD. Wie kann das sein, dass Ihnen das aber auch in Bayern dann passiert?
Söder: Also wir haben das beste Ergebnis der Union, wie liegen deutlich über dem CDU-Ergebnis. Übrigens, es ist einer der historischen deutlich größeren Abstände, die wir haben. Wir haben das beste Ergebnis in ganz Deutschland von allen demokratischen Parteien, also von den demokratischen Kräften sind wir mit Abstand die stärkste Partei. Insofern sind wir zufrieden mit der klaren Stärkung.
Aber die entscheidende Frage, die es gestern Abend bei all den Wahlumfragen gab - außer natürlich dem Wahlergebnis - war die Frage: Wer ist schuld daran, dass die Migration sich in Deutschland nicht verändert hat oder so hoch gekommen ist? Da sagen 54 Prozent: Die Union. Das ist das Erbe aus der Zeit von 2005 bis 2021. Dieses Erbe gilt es - und man kann es wohl nicht durch Worte, sondern nur durch Taten kann man es ändern. Deswegen müssen wir das tun. Deswegen haben viele sich überlegt: Ja, die Union sagt das Richtige, die denkt das Richtige, gerade die CSU. Aber wir wollen auch sichergehen, dass das auch passiert. Und vielleicht hat der eine oder andere deswegen noch AfD gewählt. Aber wir werden sie überzeugen, dass sich wirklich was ändert. Und zwar etwas Grundlegendes.
BR24: Sie haben es heute vermieden, das deutlich zu sagen. Sie sagen, das Erbe von Angela Merkel, das wollen Sie ausdrücken. Das muss jetzt abgeschlossen werden, das muss Deutschland hinter sich lassen. Richtig?
Söder: Ja, Es gab zwischen 2005 und 2021 unglaubliche Leistungen der damaligen Bundeskanzlerin. Es gab aber auch einen großen Fehler. Das ist die Art und Weise des Umgangs mit der Flüchtlingskrise. Das hat ja nicht nur CDU und CSU entzweit, fast bis zur kompletten Trennung, zum Schisma, sondern es hat auch unser Volk gespalten und am Ende den Aufstieg der AfD ermöglicht. So einfach ist es. Und diese Umfrage gestern sagt alles darüber aus und wir müssen es jetzt ändern.
Darum haben wir das auch im Wahlkampf als unglücklich empfunden, dass dann quasi aus der Vergangenheit nochmal der Ruf kam.
BR24: Aus der vergangenheit, von Angela Merkel?
Söder: Ja, dass aus der Vergangenheit der Ruf kam: Jetzt müssen wir anders machen.
BR24: Warum vermeiden Sie jetzt eigentlich, Angela Merkel beim Namen zu nennen?
Söder: Naja, Sie haben es ja schon gemacht. Wenn Sie es dann machen, muss ich es ja nicht zweimal machen.
Jeder weiß ja, was ich an der Stelle sage. Zumal ich auch klar sagen möchte: Wissen Sie, jede Zeit hat ihre schweren Herausforderungen und in jeder Zeit muss der, der in der Verantwortung steht, das Beste erreichen. Ich höre auch immer wieder in so Kommentaren: Warum hat die CSU heute keine 60 Prozent mehr? Also in Zeiten, wo es keine AfD und Freie Wähler gab, war vieles leichter. Wir müssen in unserer Zeit bestehen, wir müssen in unserer Zeit die Herausforderungen schultern.
AfD reduzieren durch Kurswechsel bei Migration
BR24: Aber der Zug ist abgefahren, dass die AfD noch mal weggeht. Also, Franz Josef Strauß hat gesagt: Neben uns, der CSU, keine demokratisch legitimierte Partei. Und das wurde immer als Credo bewahrt. Und jetzt muss man sagen, das geht nicht mehr, oder?
Söder: Na ja, ob es nicht mehr geht, weiß ich nicht. Ich meine, schauen Sie, wir müssen und mal die amerikanische Realität anschauen. Das ist zunächst so eine klassische, verzeihen Sie mir, Journalisten-Formulierung. Man pickt einen Satz von vor 50 Jahren raus und sagt: Das ist doch alles Katastrophe.
BR24: Er war für Sie doch ein großes Vorbild.
Söder: Ja, genau. Aber darf ich den Satz weiterführen, um zu erklären, was ich meine damit? Damit wir auch die gleiche Basis am Ende haben.
Es ist halt einfach so, dass wir in einer Zeit leben. Um sie zu reduzieren, die AfD, um sie gar nicht entstehen zu lassen, wollten wir von Anfang an die Migration begrenzen. Jetzt haben Horst Seehofer und ich nicht immer unterschiedliche Auffassungen gehabt, aber in dieser Frage waren wir ganz nah beieinander. Und damals gab es immer ein Nein von der CDU.
Und Friedrich Merz hat es jetzt geändert. Noch nicht alle glauben, dass das wirklich so wird. Wir sind überzeugt, dass das so sein wird. Und deswegen glaube ich auch fest daran, dass das am Ende passieren wird. Und wir werden die AfD reduzieren können, wenn wir den Richtungswechsel machen. Mit Kenia und mit den Grünen wäre es nie möglich gewesen.
Linkspartei stark, weil SPD und Grüne soziale Themen vernachlässigen?
BR24: Gucken wir mal auf die Linkspartei. Wenn man da auf die Kompetenzwerte schaut, dann sind die fast gleich hoch bei sozialer Sicherung wie die der CSU, also das S der CSU kommt jetzt nicht mehr richtig zum Tragen?
Söder: Na ja, zwischen der Linkspartei und der CSU ist da schon ein gewaltiger Unterschied. Ich glaube, wenn man jetzt sagen würde die sind gleich stark in Bayern, das würde nicht der Realität entsprechen. Ich glaube natürlich, dass es das Grundproblem ist: Die Linkspartei bekommt ja keine Stimmen von CSU Wählern. Eine absurde These wäre das ja. Sondern sie bekommt Stimmen, da die SPD und die Grünen das Thema völlig vernachlässigt haben. Trotzdem werden wir als Christlich-Soziale-Union, ob bei Mütterrente, Wohnungsbau, Krankenhausreform, Pflegereform, sehr darauf achten, dass diejenigen Schutz bekommen, die sich nicht allein selber helfen können.
Das ist ja auch der Unterschied zu den Grünen. Das ist ja eine sehr elitäre Gruppe, eine sehr abgehobene Gruppe zum Teil, die ja gar keinen Bezug mehr hat zu den Problemen kleiner Leute, älterer Menschen. Und da werden wir auch Schutzmacht sein, um das einzufordern und zu verbessern.
BR24: Ich komme zurück zum Beginn des Interviews: Deutschlands Rolle in der Welt. Was ist Ihre Botschaft an Trump und an Putin?
Söder: Dass Deutschland sich neu aufstellen wird, dass Deutschland präsenter sein wird in Europa und der Welt. Dass mit Friedrich Merz ein Mann Bundeskanzler werden wird, der Deutschlands Rolle stärken wird, der aber auch europäische Ideen verstärken wird und in Europa eine neue Gemeinsamkeit beginnen wird. Das jahrelange schwächelnde Verhältnis Frankreich Deutschland ist ja auch die Ursache dafür, dass Russland und zum Teil auch die USA machen können und konnten, was sie wollen. Und wir müssen allein aufgrund der Veränderungen in den USA uns selber stärker und selbstständig machen. Und da wird Friedrich Merz eine zentrale Rolle spielen und ich und wir werden ihn unterstützen.
BR24: Vielen Dank.
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