Ein merkwürdiges Knacken im Gebüsch, seltsame Schritte vor der Haustür. Seit Jahren nun lebt Bettina Friedel in Angst. Die Frau, deren Namen wir geändert haben, sie lebt in ständiger Angst vor ihrem Ex-Freund. Seit sich die 50-jährige Lehrerin von ihm getrennt hat, verfolgt er sie, stalkt sie. Obwohl sie ein gerichtliches Kontaktverbot erwirkt hat, taucht der Mann immer wieder vor ihrer Haustür auf. "Letzte Woche wurde ich am Abend vor meiner Haustür erstmals von ihm angegriffen. Also, ich konnte mich zum Glück noch vor ihm retten. Ich möchte aber nicht wissen, was passiert wäre, wenn er mich erwischt hätte."
Stalker verstößt immer wieder gegen Gerichtsauflagen
Auch dieses Mal wieder hat Bettina Friedel die Polizei gerufen, ganz genau aufgeschrieben, was passiert ist. Doch außer einer sogenannten Gefährderansprache, bei dem der Mann ermahnt wird, können die Beamten nicht viel machen. Dabei droht ihrem Ex-Freund wegen des Stalkings mittlerweile eine Haftstrafe, weil er immer wieder gegen die Gerichtsauflagen verstößt. Für ihn aber offenbar trotzdem kein Grund aufzuhören: "Der kommt vors Haus. (...) Der filmt zum Küchenfenster herein. (...) Der hat bereits meine Katze entführt. Und kürzlich war auch mein Auto zerkratzt."
Das Handy immer griffbereit
Genau 132 Stalkingfälle hat das Polizeipräsidium Nordschwaben im Jahr 2022 gezählt, und einer davon betrifft Bettina Friedel in Augsburg. Ihr Nachbarn wissen Bescheid, informieren Bettina Friedel, wenn ihr Ex-Freund in der Nähe ihrer Wohnung auftaucht. Die 50-Jährige lässt sich zudem immer von Freunden heimbringen, hat das Handy stets griffbereit. Dennoch: Die Angst, was als Nächstes passieren könnte, macht sie mürbe: "Inzwischen habe ich massive Schlafstörungen. Körper und Psyche: alles rebelliert."
Strafandrohungen beeindrucken Täter kaum
Denn alles dauert und ist aufwendig: Anzeigen bei der Polizei, Gerichtstermine, Einspruchsfristen, sagt Bettina Friedel. Ihr Stalker aber sei derweil auf freiem Fuß. Kein Einzelfall, weiß Professor Peter Kasiske. Der Strafrechtsexperte von der Augsburger Uni hält das aktuelle Gewaltschutzgesetz zwar für ein scharfes Schwert, zumal es jetzt auch das Cyberstalking umfasst. Doch in der Umsetzung stoße es schnell an Grenzen: "Das Problem in der Praxis ist, dass Sie es beim Stalking häufig mit Tätern zu tun haben, die sanktionsresistent sind. (...) Da stoßen Sie dann an die Grenze, wenn sie Täter haben, die sich nicht davon beeindrucken lassen und im Endeffekt erst reagieren, wenn sie tatsächlich ins Gefängnis müssen."
Deeskalationshaft wird kaum verhängt
Unter dieser Schwelle sind wenig Maßnahmen möglich. "Eine Fußfessel, wie in Schweden etwa, ist in Deutschland für Stalker derzeit nicht vorstellbar", so Strafrechtsexperte Kasiske. Allerdings gibt es die Möglichkeit, einen Stalker in eine sogenannte Deeskalationshaft zu nehmen, wenn Wiederholungsgefahr besteht. Doch dafür sei die Schwelle ausgesprochen hoch. "Da müssen schon ganz schwere Fälle vorliegen, sodass es in der Praxis bislang auch kaum zur Anwendung gelangt ist."
Rund 1.700 Stalkingfälle in ganz Bayern
Dabei berichten auch Opferverbände wie etwa die Augsburger Beratungsstelle VIA, dass die Täter sich immer wieder über Kontaktverbote hinwegsetzen. Rund 1.700 Stalkingfälle gab es im Jahr 2022 bayernweit. Die Dunkelziffer aber dürfte höher liegen, vermuten die Ermittler. Bei den Opfern handelt es nicht ausschließlich um Frauen: In 16 Prozent der Fälle wurden Männer gestalkt. Bettina Friedel in Augsburg setzt nun auf einen anstehenden Gerichtstermin ihres Ex-Freundes: Denn dabei könnte er zu einer Haftstrafe verurteilt werden und das Nachstellen endlich ein Ende haben.
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