Das Wort "Sterben" vermeidet Nese Ebel bewusst. Die Krankenschwester und Hospizbegleiterin erzählt im Gespräch mit BR24 von ihrer Erfahrung: Einige muslimische Familien nehmen dieses Thema anders wahr, als es in westlichen Gesellschaften üblich sei. "Ich sage, wenn der Patient schwächer wird, dass seine Organfunktionen runterfahren. Also ich umschreibe das", sagt sie.
Ebel arbeitet für den Hospizdienst DaSein e.V. und hat sich auf die Begleitung muslimischer Patienten spezialisiert. Zudem gibt sie Workshops für medizinisches Personal, um für kulturelle und religiöse Besonderheiten zu sensibilisieren. Denn gerade auf Intensivstationen, wo der Tod allgegenwärtig ist, kann es zu Eskalationen kommen.
Palliativmedizin wird oft missverstanden
Manchen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist das Konzept der Palliativmedizin nicht vertraut. "Wenn wir erklären, was unsere Arbeit ist, wird das oft falsch verstanden. Als würden wir kommen, um die Symptome zu kontrollieren und dann verstirbt der Patient", so Ebel. Diese Missverständnisse führen nicht selten zu hitzigen Diskussionen zwischen Ärzten und Angehörigen, in seltenen Fällen sogar zu Handgreiflichkeiten.
Das Leben ist nach islamischer Lehre von Gott gegeben und darf nicht aktiv beendet werden. Gönül Yerli, Islamwissenschaftlerin und Vize-Direktorin der islamischen Gemeinde in Penzberg, erklärt: "Wenn wir wissen, jemand liegt im Sterben, habe ich als Muslim die Verpflichtung, diesen Menschen zu besuchen und Gebete für diesen Menschen auszusprechen. Und das bedeutet auch, dass viele Menschen sich gerade am Lebensende auch einmischen."
Uneinheitliche religiöse Positionen
Medizinische Fragen zur Lebensverlängerung lösen bei muslimischen Patienten oft Unsicherheit aus. Auch wenn es theologische Positionen zu lebensbeendenden Maßnahmen in der Medizin gibt, sind sie nicht einheitlich und hängen von der jeweiligen Rechtsschule und den Gelehrtenmeinungen ab.
In Ägypten beispielsweise gibt es islamische Rechtsgutachten, sogenannte Fatwas, die den Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen erlauben, wenn keine Aussicht auf Heilung besteht. In Deutschland müssen die Angehörigen mit der Situation umgehen, oft ohne religiöse Richtlinien und ohne Unterstützung eines entsprechend informierten Imams.
Schulungen für Mediziner und Imame gefordert
Auch das medizinische Personal ist mit der Situation häufig überfordert. Ulrich Welzel, ehrenamtlich in Hospizvereinen aktiv, berichtet: "Alle Kollegen waren blank. Also wir reden über Intensivmediziner in ganz großen Krankenhäusern, und wie wir mit dieser Situation klarkommen. Wir sind im Jahr 2025 und das Thema ist nicht erst seit gestern da." Deshalb plädiert er für eine bessere Ausbildung – nicht nur für Ärzte und Pflegekräfte, sondern auch für Imame, die in der Seelsorge tätig sind.
Die Experten sind sich einig: Nur mit mehr interkulturellem Wissen und Sensibilität kann die Palliativversorgung muslimischer Patienten verbessert werden – für ein würdevolles Sterben ohne Konflikte.
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