Schaut man ins Wahlprogramm der Freien Wähler, findet man 61 Mal den Begriff "Steuer" - meist im Zusammenhang mit den Worten "Entlastung" oder "Senkung". Aiwangers Liste an Entlastungen ist sehr lang: Unternehmer, Rentner, Erben, Geringverdiener, Gutverdiener, Gastronomen, Friseure, Vereine, touristische Saisonarbeiter, Landwirte, Holzöfen, Strom - auf vielen Seiten seines Wahlprogramms finden sich Steuerversprechen.
Aiwangers zentrale Steuerpläne
Erstens: Die ersten 2.000 Euro eines Einkommens pro Monat sollen steuerfrei bleiben; auch Rentner sollen bis zu dieser Summe steuerfrei Geld dazuverdienen dürfen. Zweitens: Die Erbschaftssteuer soll weg. Und drittens: Unternehmer sollen nur noch 25 statt 30 Prozent Steuern zahlen. Doch wie realistisch sind diese Pläne und was würden sie den Freistaat im Einzelnen kosten?
Außerdem: Kein Soli, keine CO2-Steuer auf Holzöfen
Neben der Erbschafts- und Schenkungssteuer sollen auch der Solidaritätszuschlag sowie die CO2-Steuer auf private Holzöfen weg. Friseure und Gastronomen sollen unterm Strich mehr Geld haben, weil die Mehrwertsteuer auf ihre Dienstleistungen und Produkte dauerhaft nur noch sieben statt 19 Prozent betragen soll. Gleiches wünscht sich Aiwanger für die Mehrwertsteuer auf Strom. Zwar würden Unternehmen davon nicht direkt profitieren, müssen sie die Mehrwertsteuer doch ohnehin an den Staat weitergeben. Eine geringere Mehrwertsteuer könnte aber den Konsum ankurbeln. Verbraucher würden zudem entlastet und Schwarzarbeit reduziert, so Aiwangers Erwartungen, die er seit längerem formuliert.
Landwirten will er steuerlich unter die Arme greifen, indem sie Flächen - zum Beispiel zum Vermieten - steuerfrei aus ihrem Betriebsvermögen entnehmen dürfen. Und die Freigrenze der Grunderwerbssteuer will er anheben.
Bayern hätte 15 Milliarden Euro weniger
Den Freistaat könnten Aiwangers Ideen insgesamt mindestens 15 Milliarden Euro kosten: 12 Milliarden Euro würden allein im bayerischen Staatshaushalt fehlen und zusätzlich drei Milliarden in den Kassen der bayerischen Kommunen. So die Einschätzung des bayerischen Finanzministeriums. Für den bayerischen Staatshaushalt würde das bedeuten, dass er auf knapp 17 Prozent seiner Einnahmen verzichten müsste. Ein Großteil davon, nämlich neun Milliarden Euro, ginge für die steuerfreien Einkommen bis 2.000 Euro pro Monat drauf. Das Aus der Erbschaftssteuer könnte 2,4 Milliarden Euro kosten.
"Milliarden-Loch" auch im Bund
Aber auch der Bund müsste auf viel Geld verzichten. Denn Bund, Länder und Kommunen teilen sich in der Regel die Steuereinnahmen. Im Bund könnte ein Milliarden-Loch von 100 bis 150 Milliarden Euro entstehen, rechnet die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Hessel, die auch Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium ist, für BR24 hoch. 100 bis 150 Milliarden Euro nur für Aiwangers Einkommenssteuerpläne, die anderen Ideen seien hier nicht mitberechnet, sagt Hessel.
Aiwanger: Beschäftigung und Investition spülen Geld rein
Auch der FW-Chef gibt zu, dass es ein "Milliarden-Steuerloch" geben könnte. Das ließe sich aber refinanzieren, sagt Aiwanger dem BR. Seine Argumentation: Die Leute hätten bei geringeren Steuern wieder mehr Lust zu arbeiten und einkaufen zu gehen. Auch würden weniger Menschen ins steuergünstigere Ausland abwandern. Reiche Familien kämen zurück, weil sie keine Erbschaftssteuer zahlen müssten.
Außerdem könnte der Staat "Wohn- und Sozialgelder einsparen", weil man mit seinen Plänen Menschen "aus dem Bürgergeld holen" könne. Aiwanger selbst hält seine Pläne für "unterm Strich hundertprozentig richtig". Wenn andere darüber schimpfen, so Aiwanger, dann zeige dies nur, "dass sie es nicht kapiert haben".
Finanzminister: "Jahrmarkt"-Ideen und "kein Konzept"
Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) spricht von Wahlversprechen, die nicht "seriös" umsetzbar seien. "Da kann man alle möglichen Ideen jetzt auf den Jahrmarkt bringen." Aiwangers Vorschläge seien "nicht finanzierbar". Und weiter: "Nur, weil Wahl ist, soll man jetzt nicht sagen: 'Freibier für alle.' Das finde ich kein Konzept."
Auch der Präsident des bayerischen Gemeindetags, Uwe Brandl (CSU), schüttelt den Kopf: "Hubert Aiwanger muss wissen, dass Geld nicht beliebig vermehrbar ist." Derartige Steuererleichterungen seien "das völlig falsche Signal in diesen Zeiten". Denn die Kommunen hätten weniger Geld "und das bei gleichzeitig immer mehr Ausgaben: Stichwort Ausbau der Ganztagsbetreuung und Sanierungsmaßnahmen", so Brandl.
"Steuermärchen" - "für dumm verkaufen": Opposition empört
Aiwangers "Steuermärchen" würden Deutschland "arm machen", sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn. Rund ein Viertel des Bundeshaushalts würden ihm zufolge wegfallen. "Wie soll ein armer Staat Wohnungen und Schulen bauen oder Kitaplätze und eine Verkehrsinfrastruktur bezahlen?"
Tim Pargent, finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag, nennt Aiwangers Steuervorschläge "komplett irrwitzig". Aiwanger wolle die Menschen "offensichtlich für dumm verkaufen". Auch Pargent hat ausgerechnet, was Aiwangers Ideen den Freistaat kosten könnten: Er kommt sogar auf bis zu 25 Prozent weniger Steuereinnahmen.
Rechtlich schwierig: Steuerrecht ist Sache des Bundes
Auch rechtlich könnte es für Aiwanger schwierig werden, seine Steuerideen umzusetzen. Denn die Gesetzgebungskompetenz liegt für die meisten Steuern beim Bund. So zum Beispiel für die Mehrwertsteuer, die Einkommenssteuer, die Schenkungssteuer und die Erbschaftssteuer.
Doch auch andere Parteien werben im bayerischen Wahlkampf mit Steuerentlastungen. An der Erbschaftssteuer zum Beispiel hatte sich zuletzt die CSU die Zähne ausgebissen: Sie hatte eine höhere und regionalisierte Freigrenze gefordert, dafür aber im Bundesrat nicht die nötige Mehrheit bekommen und zieht deshalb nun vor das Bundesverfassungsgericht.
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