Die größte Gefahr für seine Familie in Aleppo seien Luftangriffe und ein möglicher Gegenschlag durch das Assad-Regime, erzählt ein 33-jähriger Syrer. Er lebt seit 2015 in Bayern, hat ein Haus, einen Job, ein gutes Leben, wie er sagt. Seit Tagen sorgt er sich um seine Eltern und Geschwister in Aleppo. Zu ihrem Schutz möchte er anonym bleiben.
Ungewissheit und Angst um Verwandte in Aleppo
"Sie sind jetzt ihrem Schicksal ausgeliefert", erzählt er. In Aleppo bestehe nachts eine Ausgangssperre, verlässliche Informationen über die Lage dort seien kaum zu bekommen. Ihm selbst gehen Fragen nicht aus dem Kopf: Soll er seine Familie drängen, Aleppo unter Lebensgefahr zu verlassen? Kann er es verantworten, ihnen nicht zur Flucht zu raten, wenn sie in Aleppo Bombenangriffen ausgesetzt sind? "Ich will sie nicht zu Flüchtlingen machen und habe zugleich Angst, dass Aleppo bald wieder ein Schlachtfeld ist", erzählt er.
Kämpfe in Nordsyrien
Jahrelang schien sich in Syrien aus der Distanz betrachtet wenig zu verändern. Nun wird im Norden wieder gekämpft. Ein Bündnis von aufständischen Gruppen, geführt von der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), hat im Nordwesten des Landes eine Offensive begonnen.
Am Wochenende vertrieben sie die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad und übernahmen die Kontrolle in Aleppo. Als Reaktion lässt Assad Ziele in Nordsyrien bombardieren. Russland und der Iran unterstützen ihn.
Neues Elend für Menschen in Syrien
Die Lage sei schwierig einzuschätzen, sagt der Erlanger Islamwissenschaftler Mathias Rohe. Er befürchtet, dass sich das Leben vieler Syrer im Norden verschlechtert. Manche hätten Angst vor den Islamisten. Für andere sei das "brutale syrische Folterregime" von Baschar al-Assad schrecklicher. "Da hat jeder seine eigene Lebenserfahrung und Wahrheit", sagt Rohe.
Er rechne allerdings damit, dass die Auseinandersetzungen viele Menschen in die Flucht treiben werden. Denn niemand wisse, wie es weitergehe, welche Rolle Russland spiele und ob Assad Unterstützung bekomme. Klar sei: "Zu dem schrecklichen Elend für die Menschen kommt noch neues obendrauf", sagt Rohe.
Innenminister: Weite Teile Syriens sicher
Auch Deutschland werde sich darauf einstellen müssen, dass wieder mehr Flüchtlinge kommen, ist Rohe überzeugt. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat die jüngste Eskalation im Nordwesten Syriens fast 50.000 Menschen in die Flucht getrieben. Bereits jetzt sind Syrer die größte Gruppe derer, die in Bayern Asyl beantragen: Im vergangenen Jahr stellten rund 13.000 Syrer einen Antrag.
Für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ändern die Entwicklungen in Nordsyrien nichts an seiner Forderung nach einem anderen Umgang mit geflüchteten Syrern in Deutschland. Er wiederholte seine Forderung, Abschiebungen nach Syrien zu ermöglichen und Syrern nicht mehr allgemein einen Schutzstatus zuzusprechen.
Herrmann betonte: "Es gilt nach wie vor, dass man sich in weiten Teilen Syriens sicher, ohne Bürgerkrieg, aufhalten kann." Die Bundesregierung müsse handeln und die entsprechenden Verfahren ändern. "Wir müssen jetzt klar ein Signal senden, dass es für eine Anerkennung als Flüchtlinge keine Grundlage gibt", sagte Herrmann.
Im Video: Neue Flüchtlingsbewegung befürchtet
Sorge vor Eskalation der Lage
Adnan Wahhoud – Lindauer mit syrischen Wurzeln – war vor zwei Wochen noch in Nordsyrien, seine Hilfsprojekte besuchen. Nun berichten seine Kontakte dort von Angriffen und Toten. Zuletzt erreichte ihn die Schreckensnachricht einer Bombardierung in Idlib, drei Frauen, drei Männer und sieben Kinder seien gestorben. "Die Leute haben Angst. Sie sagen, dass die Situation instabil ist. Man hat Angst vor den Luftangriffen. Wir hoffen und wir zittern, dass die Situation nicht so stark eskaliert", erzählt er.
Der 33-jährige Syrer aus Bayern mit Familie in Aleppo hat für den Moment mit seinen Eltern vereinbart: Erst einmal abwarten und die Entwicklungen beobachten. Wenn es mehr Klarheit gebe, sollten die Eltern die erste einigermaßen sichere Möglichkeit nutzen, Aleppo und nach Möglichkeit auch Syrien zu verlassen.
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