Aussteiger Dennis (Name geändert) beim Interview am Kreuzeck bei Garmisch
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Teenager-Terroristen: Warum wollen Jugendliche töten?

Teenager-Terroristen: Warum wollen Jugendliche töten?

Ob kürzlich beim Terroranschlag von München auf das israelische Generalkonsulat oder beim vereitelten Angriff auf Konzerte von Taylor Swift in Wien – immer öfter sind Terror-Verdächtige minderjährig. Was sind ihre Motive?

Über dieses Thema berichtet: Y-Kollektiv am .

"Ich wollte Menschen töten. Ich war da richtig scharf drauf", sagt Dennis, der aus Süddeutschland stammt und dessen wahrer Name geheim bleiben muss. Denn Dennis kommt aus dem Terroristen-Milieu und ist im Aussteiger-Programm des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Bei Ausflügen in die Natur, zum Beispiel auf das Kreuzeck bei Garmisch, versucht er seine Vergangenheit zu verarbeiten.

Online-Radikalisierung im Jugendalter

Dennis hatte sich bereits mit 16 Jahren durch das Internet radikalisiert. Online kommt er mit Rechtsextremen aus den USA in Kontakt, die ihn ideologisch mit ihrem Hass auf Juden und Migranten prägen. "Ich war Rassist und Antisemit", sagt er. Mit anderen Neonazis habe er "andersfarbigen Leuten" aufgelauert, um sie zu schlagen und "einen Nazi-Kiez zu errichten". Es sei ihm auch um persönliche Anerkennung in der Extremisten-Szene gegangen. Nicht alle von Dennis' Angaben lassen sich unabhängig überprüfen, aber die Sicherheitsbehörden bestätigen seine Erzählungen. Dennis erzählt auch, dass sie bewaffnete Anschläge auf Grünen-Politiker geplant hätten. Dazu hätten sie schon trainiert und Adressen herausgesucht. Gescheitert seien die Attentatspläne, weil Komplizen abgesprungen seien und das Geld gefehlt habe.

In einer Garmischer Ferienwohnung öffnet Dennis einen Pappkarton, in dem sich die Überbleibsel seiner jahrelangen Radikalisierung stapeln. Schwarze Pullover mit rechtsradikalen Slogans. Aber auch eine scharf geschliffene Machete, eine Schussweste und ein Koran. Und das schwarz-weiße Banner der sogenannten Terrormiliz "Islamischer Staat" - ein verfassungswidriges Kennzeichen einer in Deutschland verbotenen Organisation.

Judenhass und Geltungsdrang als Motive

Denn nach den gescheiterten Attentatsplänen taucht Dennis in die Salafisten-Szene ein. Sein ausgeprägter Judenhass bildet dabei die Schnittmenge. "Keine zwei Wochen und ich hatte deutsche Kontakte in Syrien." Er will dorthin ausreisen, um im Krieg für eine islamistische Miliz zu sterben. Über die Machete sagt er: "Ich dachte mir damals, vielleicht brauche ich es ja irgendwann mal". Zu der Frage, ob er islamistische Anschläge in Deutschland begehen wollte, äußert Dennis sich widersprüchlich. "Ich hatte das im Hinterkopf", sagt er. "Aber ich wäre dazu nicht fähig gewesen."

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Terror-Aussteiger Dennis (Name geändert) mit Y-Kollektiv-Reporter Tobias Dammers

45 "Gefährder" in Bayern

Die Gefahr durch jugendliche Terroristen steigt. Der EU-Polizeibehörde Europol zufolge werden Terror-Tatverdächtige zunehmend jünger und sind häufig sogar noch minderjährig. Eine Untersuchung der Universität Hamburg kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen 2001 und 2022 rund ein Fünftel aller Beteiligten bei islamistischen Terror-Vorfällen in Deutschland minderjährig war. Nach Recherchen des ARD-Formats "Y-Kollektiv" hat das Bundeskriminalamt "eine niedrige zweistellige Zahl" an Minderjährigen im Blick, denen die Behörde einen Anschlag in Deutschland zutraut. Diese Zahl sei in den vergangenen Jahren ungefähr stabil geblieben. Die Mehrheit dieser etwa zehn bis dreißig Jugendlichen seien Islamisten. Dann folgten rechtsextreme Gefährder. Junge linksextreme, potenzielle Terroristen gibt es demnach weniger. Über alle Altersgruppen hinweg gibt es allein in Bayern laut Landesinnenministerium derzeit 45 solcher "Gefährder".

Aussteigerprogramme in Bayern und im Bund

Bundesweit gibt es einige Programme, die Extremisten beim Ausstieg unterstützen. Nicht selten findet eine Radikalisierung auch in Justizvollzugsanstalten statt. Um diese Gefahr abzuwehren, gibt es in Bayern die deutschlandweit erste Operative Einheit Extremismusbekämpfung im Justizvollzug (OpEEx), die von der JVA Nürnberg aus in allen 36 bayerischen Haftanstalten tätig ist. Der Fokus liegt auf politischem und religiösem Extremismus.

Ein anderes Programm ist "Wendepunkt" vom Bundesamt für Verfassungsschutz. "Fast täglich" gingen dort neue Anfragen per E-Mail ein, so die Projekt-Leiterin. Auch Dennis ist mithilfe von "Wendepunkt" ausgestiegen. Den mittlerweile Mitte Zwanzigjährigen begleiten bis heute mehrere Ausstiegsbetreuer. Sie haben ihm geholfen, eine neue Wohnung für ihn und seine Familie in einem anderen Bundesland zu finden. Er sagt, die Geburt seines ersten Kindes hätte ein Umdenken bei ihm bewirkt. Bei einem anderen Ausflug, diesmal zum Ammersee, erzählt er: Sein größter Traum sei, ein normales Leben zu führen. Und dann "endgültig vergessen zu können – wo man nicht morgens aufsteht und wieder darüber nachdenkt, was man damals so gemacht hat."

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