Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei seinem Besuch bei der Molkerei Gropper.
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Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei seinem Besuch bei der Molkerei Gropper.

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"Teilen wir uns die Prügel": Özdemir trifft Bauern in Bissingen

"Teilen wir uns die Prügel": Özdemir trifft Bauern in Bissingen

Bei seinem Besuch im schwäbischen Landkreis Dillingen hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auch mit demonstrierenden Bauern getroffen. Buhrufe gab es für ihn keine – am Ende kam es sogar zu einem Aufruf zur Zusammenarbeit.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Rund 100 Landwirtinnen und Landwirte und etwa 60 Traktoren hatten sich auf dem Parkplatz der Bissinger Molkerei Gropper postiert, als Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir heute dort eintraf. Der ging zwar erst zum offiziellen Termin mit den geladenen Gästen, darunter nochmals 60 Landwirte, Politiker, Wirtschaftsvertreter sowie Vertreter des Tierschutzbundes, nahm sich danach aber noch Zeit für die Landwirte draußen.

Kritik: Zu wenige Praktiker bei Entscheidungen involviert

Die Kritik war draußen wie drinnen in etwa die gleiche: zu viele Vorschriften, zu wenig Einfluss von Leuten aus der Praxis, die Übergangszeit bis zum Verbot der Anbindehaltung zu kurz – kleine Höfe würden so vernichtet.

Der Minister versuchte zu verdeutlichen, wie komplex manche Sachverhalte seien. Insbesondere, wenn die EU mit einbezogen werden müsse. So war kritisiert worden, dass nach dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz zwar tierische Produkte, die in Deutschland erzeugt wurden, gekennzeichnet werden müssen, für Produkte aus dem Ausland diese Pflicht aber nicht bestehe. Özdemir entgegnete, dass die Einführung dieser Kennzeichnung schon vor seiner Amtszeit als Minister von Seiten der Landwirtschaft gefordert worden war – er habe es nur umgesetzt. Aber er könne eben keine Regeln für die EU erstellen. Auch innerhalb der Dreierkoalition in Berlin sei es oft sehr schwer, Einigungen zu erzielen. Deshalb dauere es oft lange, bis Dinge umgesetzt werden könnten, so der Minister.

Landwirte: Übergangsfrist bei Anbindehaltung zu kurz

Ein mehrfach angesprochenes Thema war die geplante Abschaffung der Anbindehaltung. Die Übergangsfrist von fünf Jahren sei zu kurz für die Landwirte, um ihre Ställe umzubauen. Rund 11.000 Betriebe mit Anbindehaltung gebe es in Bayern, so der mittelfränkische Bauernverbandspräsident Peter Koeninger. "Und 10.000 von denen schaffen Sie jetzt ab mit Ihrer Regelung zur Anbindehaltung. Das geht nicht in fünf Jahren, die Betriebe werden aufhören müssen unter diesem zeitlichen Druck", so Koeninger. Özdemir sagte zu, die Anregungen mitzunehmen und sich die Gesetzesvorlage noch einmal vorzunehmen.

Özdemir: "Die Landwirtschaft, die wir haben, muss Bestand haben"

Die protestierenden Landwirte harrten während der etwa eineinhalbstündigen Gesprächsrunde in der Molkerei auf dem Parkplatz aus. Viele hatten nicht geglaubt, dass der Minister noch zu ihnen käme – aber er kam. Applaus gab es dafür zunächst zwar keinen, aber er wurde auch nicht mit Pfiffen oder Buhrufen empfangen. Özdemir sagte zu den Demonstranten, er bekenne sich dazu, "dass die Art von Landwirtschaft, die wir haben, in Zukunft Bestand hat, weil das wesentlich ist für den Erhalt der Biodiversität, wesentlich für den Erhalt der Kulturlandschaft." Die deutsche Landwirtschaft sei mit ein Grund, warum Touristen aus der ganzen Welt hierherkommen, "dafür brauchen wir praxistaugliche Lösungen."

Er habe gemeinsam mit den Landwirten dafür gekämpft, dass die Sparbeschlüsse, die die Koalitionsspitze getroffen habe, korrigiert wurden. Und es sei ja "bei aller schwäbischen Bescheidenheit nicht nichts, dass die Kfz-Steuerbefreiung bleibt und die Vergünstigungen beim Agrardiesel nicht sofort abgeschafft werden". Aber sein Eindruck sei es, dass es mittlerweile nicht mehr nur um den Agrardiesel gehe, sondern darum, dass viele sagten, dass Versprechen, die in der Vergangenheit gegeben worden waren, nicht gehalten wurden. Er sei seit zwei Jahren Minister und habe gewiss nicht alles richtig gemacht, aber ein bisschen ärgere es ihn, dass diejenigen, die zuvor 40 Jahre das Sagen hatten, so täten, als ob sie so gar nichts damit zu tun hätten. Als er Minister wurde, habe er ein Fass überreicht bekommen, das bis zum Anschlag gefüllt war mit Problemen, die nicht angepackt worden waren.

Rat des Ministers: Landwirte sollen an einem Strang ziehen

Den Landwirten riet er, sich jetzt nicht in unterschiedliche Organisationen gegeneinander ausspielen zu lassen. Sein Ratschlag sei, gemeinsam Forderungen zu erheben, weil jetzt die Chance bestehe, jetzt ein Zeitfenster sei und Sympathien für die Landwirte da seien. Jetzt wäre die Möglichkeit, etwas durchzusetzen, worauf man seit vielen Jahren warte. Er selbst wolle auch parteiübergreifend an den Problemen arbeiten und fordert die Landwirte auf: "Lasst uns das parteiübergreifend beschließen, das Finanzierungsinstrument. Teilen wir uns die Prügel, aber setzen es gemeinsam um und Sie haben Planungssicherheit!" Wenn der Protest weiterhin demokratisch und rechtsstaatlich verlaufe, sei er überzeugt, dass es jetzt die Gelegenheit gebe, die Themen, die man gemeinsam voranbringen wolle, auch voranzubringen. Dafür gab es dann doch zaghaften Applaus.

Video: Bauern-Demo in Bissingen während Özdemir-Besuch

Cem Özdemir
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Cem Özdemir

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