Prof. Dr. Andreas Zick vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt im Kontrovers-Interview
Bildrechte: BR

Prof. Dr. Andreas Zick vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Thüringen und Sachsen: "Suche nach einer ostdeutschen Stimme"

Die Landtagswahlen in Ostdeutschland können die Republik verändern. Wenige Wochen vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen will Kontrovers wissen: Warum wählen Menschen in Ost und West so unterschiedlich, obwohl sie oft nur wenige Kilometer trennen?

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Die Ergebnisse der Europawahl haben einen Fokus auf die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gelegt. Während die AfD im Freistaat Bayern bei der Europawahl auf 12,6 Prozent der Stimmen kam, hat sie in Thüringen beispielsweise 30,7 Prozent erreicht. In Sachsen war die AfD in allen Landkreisen stärkste Kraft. Aber: warum? Schließlich liegen häufig nur wenige Kilometer zwischen Bayern und den benachbarten Bundesländern. Was bewegt die Menschen und was beeinflusst ihr Wahlverhalten?

Unternehmer Christian Söllner lebt in Bayern, arbeitet aber häufig mit Thüringern zusammen. Hinter den Wahlerfolgen der AfD vermutet er, dass "die Thüringer oder die Ostdeutschen eine andere Mentalität haben, vom Denken her. Die haben schon mal durch Proteste was bewegt – jetzt versuchen sie es wieder."

Der Kontrovers-Film im Video: Auf den Spuren des AfD-Erfolgs

Ein Mikrofon steht beim Landesparteitag der der sächsischen AfD auf der Bühne vor dme Partei-Logo.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Landtagswahl in Sachsen und Thüringen: Auf den Spuren des AfD-Erfolgs

Ostdeutsche: "Bürger zweiter Klasse"?

Eine Einschätzung, die Prof. Andreas Zick, Sozialpsychologe und Konfliktforscher an der Uni Bielefeld, im Interview mit Kontrovers teilt. Denn Mentalitäten würden ausgemacht durch eine Zugehörigkeit, eine Identität in bestimmten Räumen, eine Kultur und eine Geschichte. "Und die ostdeutsche Geschichte ist zum Teil anders als die westdeutsche Geschichte."

Zick erläutert, dass sich in den Studien vom "Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt" mehr als jeder Dritte ostdeutsche Bürger als Bürger zweiter Klasse empfände: "Viele Ostdeutsche erleben, dass ihre Stimme nicht hinreichend in Ämtern, in der Politik vertreten ist."

Suche nach ostdeutscher Stimme

Diese Suche nach einer ostdeutschen Stimme ermöglicht es laut Zick, dass die AfD profitieren kann.

"Das ist ja auch der Moment, wo dann eben rechte, rechtsaußen, rechtsradikale, rechtspopulistische Kräfte einen ganz neuen ostdeutschen Stolz sehr leicht an Ostdeutsche haben vermitteln können." Prof. Andreas Zick, Universität Bielefeld

Mittlerweile gebe es eine deutliche Trennung zwischen Ost und West, so der Sozialpsychologe, "etwa in Bezug auf Einstellungen zur Demokratie." Der Forscher analysiert, dass es der AfD gelungen sei, die Menschen besonders in jenen ostdeutschen Regionen zu erreichen, in denen große Hoffnungen zu Enttäuschungen führten:

"Sie haben sehr geschickt diese Benachteiligung umgedreht in ein Versprechen einer neuen Identität eines anderen Deutschlands und sie haben viele Ostdeutsche auf Distanz gebracht zu der Regierung." Prof. Andreas Zick, Sozialpsychologe

Insbesondere das Gefühl der Benachteiligung ist für den Sozialpsychologen der Uni Bielefeld verantwortlich für den Erfolg der AfD.

Nur wenige in Ostdeutschland wünschen sich eine Diktatur

Dabei fordert laut Zick nur eine Minderheit tatsächlich ein anderes politisches System: "In unseren Studien sind 13 Prozent, die sagen: Wir finden eine Diktatur besser als eine Demokratie. Aber es gibt ein Versprechen im Rechtspopulismus: Das mit der Zugehörigkeit, der Identifikation mit der Partei, auch ein Alt-System abgelöst wird. Insofern geht das miteinander einher."

Um sich gegen die AfD behaupten zu können, dürften sich die übrigen Parteien laut Zick nicht treiben lassen von rechtspopulistischen und antidemokratischen Meinungen. Im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers sieht der Sozialpsychologe zudem eine große Chance darin, wenn die anderen Parteien eine ostdeutsche Identität mit positiven Aspekten statt mit Stereotypen auch in ihren politischen Programmen aufgreifen.

Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen finden am 1. September 2024 statt. Drei Wochen später wird am 22. September 2024 der Landtag in Brandenburg gewählt.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!