Kälber im Stall (Archivbild)
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Kälber im Stall

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Tierschutz in der Landwirtschaft: Von Preisdruck bis Labelflut

Am Mittwoch wird ein Urteil im Allgäuer Tierschutzskandal erwartet. Es stellt sich die Frage: Was hat sich in den vergangenen Jahren verbessert? Landwirte und Tierschützer kommen zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Frigga Wirths meldet sich am Handy von der "EuroTier" aus, der weltgrößten Messe für Tierhaltung und -management in Hannover. "An jedem zweiten Stand stehen Stichworte wie Nachhaltigkeit und Tierwohl", erzählt die studierte Agrarwissenschaftlerin und Veterinärin, die beim Deutschen Tierschutzbund tätig ist. "Aber das sind natürlich keine geschützten Begriffe, ich kann hier wenige Innovationen erkennen, die das Tierwohl entscheidend verbessern würden."

Der natürliche Lebensraum von Rindern sei die Weide, betont Wirths. Gerade in Bayern gebe es aber oft noch Kuhställe mit Anbindehaltung. Viele Tierhalter würden vor allem versuchen, ihre Kühe bestmöglich an den Stall anzupassen und nicht umgekehrt, so der Vorwurf der Tierschützerin.

Sorge vor Strukturbruch in der Landwirtschaft

Günther Felßner sieht die Lage anders: "Wir holen die Weide gewissermaßen in den Stall. Moderne Ställe bieten viel Luft und Licht sowie Komfort in den Liegeflächen. Die Kühe können sich frei bewegen, das gab es früher nicht", sagt der Präsident des Bayerischen Bauernverbands. Den Großteil der Landwirte sieht er zu Unrecht an den Pranger gestellt. Zumal nur gesunde Kühe wirklich Leistung und Milch bringen würden, so Felßner.

Ihn treibt die Sorge, dass es zu einem Strukturbruch in Bayern kommt und immer mehr Landwirte aufhören. Früher hätten andere Bauern in der Region die Aufgabe eines Betriebs aufgefangen, indem sie ihren Tierbestand erhöhten. Doch in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Nutztiere in Bayern insgesamt rückläufig. "Es geht ja auch um Fragen wie die Versorgungsicherheit im Land, ob man wie schon bei der Energie dann teuer aus dem Ausland zukaufen muss", sagt Felßner. Er hofft, dass die Bürger die Produkte der heimischen Landwirtschaft wieder mehr schätzen lernen. Sonst würden gerade die kleinen Höfe verschwinden.

"Allgäuer Tierskandal" betrifft fünf Betriebe

Die Debatte um mehr Tierwohl hatte vor allem auch durch den sogenannten "Allgäuer Tierskandal" Fahrt aufgenommen. Verdeckte Filmaufnahmen des Vereins "Soko Tierschutz" führten im Juli 2019 zu einer Razzia auf einem großen Milchviehbetrieb in Bad Grönenbach, es folgten Ermittlungen und Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft bei vier weiteren Höfen in unmittelbarer Umgebung. Derzeit müssen sich zwei Landwirte, ein Vater und sein Sohn, vor dem Memminger Landgericht verantworten. Laut Anklage hatten sie Tieren lang anhaltende Schmerzen und Leiden zugefügt, einige Rinder mussten notgeschlachtet werden.

Mehr Stellen für Amtstierärzte

Die Fälle in der Region waren von so einem Ausmaß, dass nicht nur Veterinärbehörden, sondern auch das zuständige Verbraucherschutzministerium unter Druck gerieten. Vier Allgäuer Landräte schrieben in einem Brandbrief, dass sie sich von der Regierung "im Stich gelassen fühlen". Sie forderten mehr Personal, um die übertragenen Aufgaben zu erfüllen.

Minister Thorsten Glauber schuf rund 70 neue Veterinär-Stellen, einen Teil bei den Landratsämtern vor Ort, den anderen Teil bei übergeordneten Behörden wie dem Landesamt für Gesundheit oder der KBLV. Die Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen soll speziell große Höfe ab 600 Rinderplätzen kontrollieren und so die Ämter vor Ort entlasten.

Tierschützer fordern Alarmsystem

Frigga Wirths vom Tierschutzbund lobt diese Entwicklung. Vor allem weil in der Vergangenheit Betriebe nur selten mit einer Kontrolle rechnen mussten. Eine Kleine Anfrage, die die Fraktionen der FDP und der Grünen 2018 an die damalige Bundesregierung richteten, zeigte: In Bayern bekommen Tierhalter laut Statistik durchschnittlich nur alle 48 Jahre Besuch vom Amtstierarzt. "Wir müssen dahin kommen, dass die Betriebe einmal pro Jahr kontrolliert werden", sagt Wirths.

Sie sieht aber auch die Hoftierärzte und Schlachthöfe in der Verantwortung. Diese würden Landwirten gegenüber oft zu viel Verständnis zeigen und zu selten im Sinne der Tiere handeln. "Wenn ein Hof zu viele Notschlachtungen anliefert, dann muss das irgendwann verdächtig sein. Es bräuchte eigentlich eine Art Alarmsystem, das automatisch anspringt", sagt Wirths.

Harte Strafen eher selten

Auch manche Gerichte und Staatsanwaltschaften hätten bei möglichen Verstößen gegen den Tierschutz offenbar nicht immer mit der angemessenen Konsequenz gehandelt, so die Kritik. Jens Bülte, Professor für Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Mannheim, hat die Strafverfolgung gegen Tierhalter in den vergangenen Jahrzehnten ausgewertet. Das Ergebnis: Haftstrafen wurden nur äußert selten verhängt, oft wurden Verfahren eingestellt oder gar nicht erst eingeleitet.

"Die Ermittlungen sind schwierig und für den zuständigen Amtsträger ist der Tierschutz oft ein unbekanntes Themenfeld, wo auch Wissen fehlt", sagt Bülte. Für den aktuellen Prozess in Memmingen hat die Strafkammer des Landgerichts Memmingen 15 Verhandlungstage angesetzt. Zahlreiche Zeugen und Fachexperten wurden gehört, die Strafkammer des Landgerichts Memmingen ließ sich im Verlauf der Verhandlung viele Details erklären. "Ich muss die Justiz loben, sie hat viel Zeit in die Aufklärung des Falls investiert", sagt Friedrich Mülln vom Verein "Soko Tierschutz".

Bundesweites Register für Tierschutzverstöße

Der Bundesrat plant ein bundesweit einheitliches Register, in dem Tierhalter verzeichnet werden sollen, die gegen das Tierschutzgesetz verstoßen haben. Die Länder versprechen sich davon eine bessere Überwachung von Tierhaltungsverboten, etwa wenn Tierhalter in ein anderes Bundesland umziehen. Ein gemeinsames Register würde den Austausch zwischen den Behörden erleichtern.

Im Gegensatz zu Hühnern oder Schweinen fehlen auch bundeseinheitliche gesetzliche Vorgaben für die Haltung von Rindern. In der sogenannten Tierschutznutztierhaltungsverordnung ist nur die Aufzucht von Kälbern bis zu sechs Monaten genau geregelt. Für Kühe zum Beispiel fehlt eine Vorschrift, wie viel Platz ihr in einem Stall zustehen sollte. Bayern will diese Lücke mit einer neuen Tierschutzleitlinie schließen. Sie gilt allerdings nur für Mastrinder und Mutterkühe, nicht aber für Milchkühe.

Verbraucher achten wieder mehr auf den Preis

Seit einigen Jahren finden sich verschiedene Tierwohl-Siegel auf den Lebensmittelverpackungen. Sie sollen dem Verbraucher signalisieren, wie gut beispielsweise ein Rind gehalten wurde. Auch das Bundeslandwirtschaftsministerium will ein verpflichtendes Label einführen, über das am Freitag der Bundesrat entscheiden wird und das zunächst aber nur für Schweine gelten soll. "Es gibt momentan eine ganze Label-Flut, bei der vielen Kunden nicht wirklich klar wird, wer und was da eigentlich dahinter steckt", kritisiert Hans Foldenauer, der Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter.

In Zeiten steigender Lebensmittelpreise und hoher Inflation zeigt sich allerdings noch ein weiteres Problem: Gerade die etwas teureren Produkte, bei denen auf den Tierschutz vermehrt geachtet wird, bleiben in der Kühltheke liegen. "Das Problem ist meist, dass es pro Arbeitskraft zu viele Tiere sind. Aber nur mit dauerhaft hohen Preisen können die Höfe auch zusätzliche Arbeitskräfte beschäftigen", so Foldenauer. In diesem Punkt sind sich Landwirte und Tierschützer einig. "Wir haben in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn", sagt Frigga Wirths: "Deshalb sollten Landwirte auch nicht für 6,50 Euro pro Stunde arbeiten müssen."

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