30 tote Rinder neben der Güllegrube und 175 halb verhungerte Rinder und Schweine im Stall – das war vor kurzem die grausige Entdeckung der Polizei und des Veterinäramts auf einem Bauernhof im Oberallgäu.
Schnell war klar: Der 68-jährige, alleinstehende Landwirt war überfordert. Aber hätte man im Vorfeld einschreiten und so das Drama verhindern können? Psychotherapeutin Karen Hendrix, die erkrankte Landwirte behandelt, sagt: "Viele können nicht mehr Schritt halten und gehören in Behandlung."
Zu wenig Kontrollen?
Zuallererst stellt sich die Frage: Haben die Kontrollen versagt? Fakt ist: Der betroffene Betrieb im Oberallgäu wurde im vergangenen Jahr mehrfach kontrolliert und verwarnt. Veterinärkontrollen finden in Bayern sowohl risikoorientiert als auch anlassbezogen statt. In den letzten Jahren wurden in Bayern rund 100 neue Stellen für Amtstierärztinnen und Amtstierärzte geschaffen, insgesamt sind es jetzt rund 500 Stellen.
Die schärfste Maßnahme bei Tierschutzverstößen ist nach mehreren Verwarnungen und Bußgeldbescheiden ein Tierhaltungsverbot. Wie oft das in den letzten Jahren verhängt wurde, wird allerdings nicht erfasst.
Im Allgäu gibt es die meisten Rinder
Doch warum immer wieder im Allgäu? Saftige grüne Wiesen und glückliche Kühe, dieses Bild stimmt schon lange nicht mehr. Nicht erst seit den Tierschutzverstößen in Bad Grönenbach 2019 gibt es immer wieder Meldungen über Tierschutzverstöße im Allgäu. Im Fall von Bad Grönenbach leitete nun die Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) ein Verfahren ein und prüft ein Haltungsverbot.
Aber warum gerade im Allgäu? Die Erklärung: Weil es dort viel Grünland und deshalb besonders viele Rinder gibt. Die drei Landkreise Ostallgäu, Unterallgäu und Oberallgäu gehören zu den viehstärksten Landkreisen in Bayern. Aber auch in anderen Regionen Bayerns gibt es Tierschutzverstöße, so zum Beispiel 2023 in Rimsting in Oberbayern.
Gründe liegen meist im persönlichen Bereich
Doch warum vernachlässigt oder quält ein Landwirt seine Tiere? Oft seien es private oder gesundheitliche Gründe, berichten Branchenexperten. Es komme auch vor, dass ein Landwirt aus familiären Gründen so verärgert sei, dass er seine Wut an den Tieren auslasse, das seien aber Ausnahmen. Ebenso wie Kleinbetriebe mit älteren Betriebsinhabern, bei denen die Zeit stehen geblieben sei. Nach dem Motto, man macht es so, wie man es schon immer gemacht hat, zum Beispiel bei der Kälberhaltung. Seit 1999 ist es verboten, Kälber anzubinden, doch in seltenen Fällen tun Landwirte das immer noch und zeigen sich beratungsresistent, wenn sie verwarnt werden.
Hilfsangebote für Landwirte
Das größere Problem scheint zu sein: Die Fälle von Überforderung nehmen zu. Viele Organisationen bieten Hilfe und Beratung an: kirchliche Einrichtungen, das Montags-Telefon des Bayerischen Bauernverbandes oder die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Die Anrufe bei den Krisenhotlines hätten zugenommen, berichtet Stefan Adelsberger von der SVLFG. Aber viele Betroffene würden viel zu lange warten: "Das Thema seelische Gesundheit ist in der Landwirtschaft bei vielen Menschen stark tabubehaftet. Teilweise wird nicht mal in der eigenen Familie darüber gesprochen."
"Tiere sind oft der letzte Halt"
Auch zu Karin Hendrix kommen immer mehr Landwirte mit psychischen Problemen. Die Fachärztin arbeitet an der Psychosomatischen Klinik in Simbach am Inn: "Letztes Jahr habe ich 78 Landwirte behandelt, heuer waren es in den ersten zwei Monaten schon 20." Sie bestätigt, dass vor allem immer mehr Tierhalter psychische Probleme haben, weil sie mit immer mehr Auflagen und Bürokratie konfrontiert seien. Aber wenn es Probleme gebe, seien oft die Tiere das Letzte, was den Betroffenen noch Halt gebe, auch wenn sie längst die Kontrolle verloren hätten. Und: "Landwirte definieren sich über Arbeit und haben kein Selbstwertgefühl mehr, wenn sie versagen", so Hendrix.
Psychische Probleme sind keine Entschuldigung
Doch trotz psychischer Belastung: "Tierschutzverstöße sind nicht hinnehmbar. Wer Tiere hält, ist für sie verantwortlich", heißt es aus dem bayerischen Verbraucherschutzministerium. Auch Gabriele Borst, zuständig für das Montagstelefon beim Bauernverband, bestätigt: "Bevor sich ein Landwirt nicht mehr um seine Tiere kümmert, geht es oft ihm selbst schlecht. Dies ist aber keine Entschuldigung!"
Im Audio: Erneut Durchsuchungen in Milchviehbetrieben im Unterallgäu
In einem landwirtschaftlichen Großbetrieb im Allgäu sollen erneut Rinder misshandelt worden sein.
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