Die Anklagebank steht noch immer da, wo sie im imposanten Justizpalast an der Fürther Straße in Nürnberg schon zu Kaisers Zeit gebaut wurde: An der Nordwand des Saals 600 im Ostflügel des Gerichtsgebäudes. Auf ihr saßen die Strippenzieher des so genannten Dritten Reiches: Herrmann Göring, Wilhelm Keitel, Rudolf Hess und Joachim von Rippentrop. Ein Aufzug im Rücken der Angeklagten brachte sie aus einem unterirdischen Gang, der bis ins nördlich anschließende Zellengefängnis führt, zur Anklagebank.
Den Aufzug gibt es bis heute. Nur ein kleines Metallschild auf der Aufzugtür ist neueren Datums. Hier wird die Fahrt mit dem Lift ohne Führer untersagt.
Kriegsverbrecher plädierten auf "nicht schuldig"
Der Führer sei nicht dabei gewesen auf der Anklagebank, witzelt Christoph Safferling, Professor für internationales Völkerstrafrecht und Leiter der Akademie Nürnberger Prinzipien (externer Link), als er eine szenische Lesung zum zehnjährigen Bestehen der Akademie ankündigt. Hitler hatte sich dem Urteil des alliierten Militärgerichtshofs durch Selbstmord entzogen.
Bei der Veranstaltung vor mehreren hundert Besuchern im Saal 600 lesen Schauspielerinnen und Schauspieler des Staatstheaters Nürnberg aus Protokollen des Hauptkriegsverbrecherprozesses. Die stärksten Momente: Als jeder der Angeklagten vor den Richtern der vier Siegermächte auf "nicht schuldig" plädiert. Und als die Schauspieler aufzählen, wie viele rechtsnationale Gruppierungen in der Bundesrepublik seit 1945 gegründet wurden. Es waren mehrere dutzend.
Juristische Aufarbeitung verhindert Verbrechen nicht
Die juristische Aufarbeitung des von Nazi-Deutschland angezettelten Angriffs- und Vernichtungskrieges war ein Meilenstein in der Geschichte des Krieges und die Grundlage des bis heute gültigen internationalen Völkerstrafrechts. Erstmals wurden Militär- und Wirtschaftsführer für ihre Taten während eines Krieges verurteilt. Aber: "Das Strafrecht und das Völkerstrafrecht verhindert jetzt an dieser Stelle offensichtlich nicht diese schlimmen Verbrechen und das Leid der Zivilbevölkerung", sagt Christoph Safferling. "Man hofft dann eben, dass man nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzung mit den Mitteln des Strafrechts wieder neue Kriterien schaffen kann und damit die Grundlage schaffen kann für ein friedliches Zusammenleben."
Zusammenarbeit mit Internationalem Gerichtshof Den Haag
Die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien fühlt sich der Weiterentwicklung der 1945 vom Internationalen Militärgerichtshof gelegten Grundlagen verpflichtet. Sie arbeitet eng mit dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag und Juristen auf der ganzen Welt zusammen, um nach dem Ende von Kriegen Kriegsverbrechen anzuklagen und aufzuarbeiten – und um Schuldige möglichst zu bestrafen. Ein Makel haftet dem Tribunal in Den Haag an: Weder die USA noch China, Russland oder Israel haben den Gerichtshof anerkannt.
Ukraine-Krieg: "Die Stunde des Rechts wird kommen"
Christoph Safferling, Leiter der Akademie Nürnberger Prinzipien, weiß, warum das sonst so scharfe Schwert der Justiz bei der Bestrafung der Verantwortlichen von verbrecherischen Angriffskriegen wie dem in der Ukraine oder das gewaltsame Vorgehen Israels gegen Palästinenser stumpf erscheint. "Das Schwert sehen wir jetzt gerade vielleicht nicht", so Safferling. "Aber es schwebt auf jeden Fall über diesen Konflikten. Die Stunde des Rechts wird kommen. Da habe ich keine Zweifel."
Die Stunde des Rechts erlebten schließlich auch die ehemals Mächtigen des NS-Unrechtsstaats. Auch wenn sie sich zwölf Jahre lang unangreifbar gefühlt haben.
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