Am 14. November bei einer Besprechung mit einem russischen Parteichef
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Um Gesichtswahrung bemüht: Putin im Kreml

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"Jeder Bluff hat seine Grenzen": Deshalb gerät Putin in Zugzwang

"Jeder Bluff hat seine Grenzen": Deshalb gerät Putin in Zugzwang

Nach der Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, der Ukraine weitreichende Angriffe mit US-Raketen zu erlauben, wird Putin in der russischen Öffentlichkeit an seinen eigenen Worten gemessen. Das droht seine Glaubwürdigkeit massiv zu erschüttern.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

💡 Peter Jungblut beobachtet für BR24 Kultur die Debatten hinter den Meldungen rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dazu verfolgt er russische Medien, Telegram-Kanäle und Social Media, und wertet die Einschätzungen / Stimmen dort dazu feuilletonistisch aus und ordnet ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen innerhalb der russischsprachigen Welt über die Ereignisse diskutieren.

"Jeder Bluff hat seine Grenzen. Vielleicht war der Anruf von Scholz die letzte Warnung?", fragt sich der russische Politologe Georgi Bovt nach der von US-Medien gemeldeten Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, der Ukraine Angriffe mit weitreichenden ATACMS-Raketen auf russisches Territorium zu erlauben. Bovt, und nicht nur er, sieht Putin jetzt unter Zugzwang und spielt auf dessen forsche Äußerungen an, wonach der Einsatz solcher Waffen eine "direkte Beteiligung der NATO" am Krieg wäre. Begründung des russischen Präsidenten: Nur NATO-Soldaten seien in der Lage, die infrage stehenden Raketensysteme zu bedienen.

"Das verändert natürlich das Wesen, die Natur des Konflikts erheblich", so Putin in einem TV-Interview am 12. September, und weiter: "Das würde bedeuten, dass sich die NATO-Staaten, die USA und europäische Länder im Krieg mit Russland befinden. Wenn das so ist, dann werden wir angesichts der Veränderung im Wesen dieses Konflikts angemessene Entscheidungen auf der Grundlage der Bedrohungen treffen, die für uns entstehen."

"Schwerwiegender Präzedenzfall"

An diesen Äußerungen wird Putin nun gemessen, vor allem im Lager der nationalistischen Militärblogger wird um seine Gesichtswahrung gefürchtet. So schimpfte Boris Roschin (890.000 Fans): "Wenn solche Schläge [mit NATO-Raketen] beginnen, wird man zunächst die Reaktion Russlands abwarten, und wenn diese auf dem Niveau unverbindlichen Geplauders liegt, werden sie danach die Reichweiten schlicht weiter erhöhen."

Ein weiterer Kommentator mit 350.000 Followern schreibt: "Die Russische Föderation wird nicht nur der Ukraine, sondern auch den Vereinigten Staaten den Krieg erklären müssen. Wir werden sehen, wie es weitergeht. Aber es handelt sich eindeutig um einen schwerwiegenden Präzedenzfall, der unter keinen Umständen zugelassen werden darf. Wir müssen das der unsäglichen Biden- und Trump-Regierung mitteilen."

Allerdings schränkt sogar der rechtsextreme "Philosoph" und notorische Untergangsprophet Alexander Dugin vorsichtig ein, jetzt sei zwar ein dramatischer "Wendepunkt" erreicht, aber Russland habe ungeachtet von Putins Worten immer noch die Möglichkeit, darauf zu verzichten, die NATO zu attackieren: Ersatzweise könne der Kreml sich "auf ernsthafte Art und Weise und mit den entsprechenden Mitteln" an der Ukraine rächen.

"Unanständige Farbe"

Blogger Oleg Zarew dachte dabei konkret an "Stromleitungen" in der Nähe ukrainischer Atomkraftwerke. "Die Amerikaner beginnen, hysterisch zu werden. Das ist sowohl gut als auch schlecht für uns", hieß es von einem der Nationalisten: "Es ist gut, weil wir gewinnen. Es ist schlecht, weil die radikalen Atlantiker bereit sind, alles zu geben."

Politologe Anatoli Nesmijan spottete, die nächste "rote Linie" des Kremls drohe angesichts von Bidens Entscheidung eine "unanständige Farbe und einen üblen Geruch anzunehmen". Im Übrigen habe Putin ja bereits ukrainische Gebiete per "Volksabstimmung" annektiert, sodass schon bisher vermeintlich "russische" Territorien von NATO-Waffen erreicht worden seien: "Das ist eine völlig normale Situation in einem langwierigen Konflikt – sobald eine Seite eine neue Karte spielt, sticht der Feind sofort mit seiner eigenen und gleicht die Situation aus. Wenn die hypothetische Beteiligung des nordkoreanischen Militärs der Trumpf des Kremls war, stellt Biden diesen Trumpf nun in den Schatten."

"Das ist eine echte Verschwörung!"

Der um keine Absurdität verlegene Kreml-Propagandist Sergei Markow wetterte über Bidens Entscheidung: "Das Ziel dieser Eskalation ist nicht der Sieg der ukrainischen Streitkräfte. Ziel ist ein Putsch in den USA, um zu verhindern, dass Trump Präsident wird. Wenn jemand denkt, dass das eine Verschwörungstheorie ist, ja. Das ist eine echte Verschwörung! Darüber hinaus wurde dieser Plan zur Eskalation bis an den Rand eines Atomkriegs nicht von Biden, sondern von Macron entwickelt. Macron will verhindern, dass Trump an die Macht kommt."

"Es ist seltsam"

Russische Leser reagierten weniger besorgt als höhnisch und spotteten über die "bahnbrechende Geostrategie" des Kremls: "Es ist seltsam, dass es bisher überhaupt Einschränkungen [für einen Einsatz westlicher Waffen] gab. Russland fragt [seine Waffenlieferanten] Iran und Nordkorea ja auch nicht, bis in welche Tiefe es mit deren Drohnen und Granaten das Territorium der Ukraine treffen darf."

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