Sie würden problemlos in einen Science-Fiction-Film passen. "Vibrotrucks" scheinen mit ihren grobstolligen Geländereifen ideal für die Erkundung eines Planeten und so falsch liegt man damit gar nicht. Die über 20 Tonnen schweren Lastwagen sollen zeigen, was sich unter der Erdoberfläche verbirgt. Per Hydraulik wird eine Platte an der Unterseite der Fahrzeuge auf den Boden gepresst. "Sie sendet Ultraschallwellen, die werden von Gesteinsschichten zurückgeworfen und wir bekommen ein Bild des Untergrunds. Denn wir wollen vermeiden, dass wir durch Risse oder Spalten bohren, was zu Schäden führen könnte", erklärt Reinhard Wunder von den Stadtwerken Ulm/Neu-Ulm.
- Zum Radiowissen-Podcast: Tiefe Geothermie - Energie der Zukunft
Erdwärme für Zehntausende
In der Region soll Tiefen-Geothermie in großem Stil genutzt werden. 13.500 Haushalte könnten in einigen Jahren von der Erdwärme profitieren. Ziel ist es, beim Heizen CO2 einzusparen, denn Neu-Ulm will bis 2040 klimaneutral werden. Schon weitaus früher, nämlich bis Mitte 2028, muss die Stadt im Rahmen des Gesetzes zur kommunalen Wärmeplanung ein Konzept dafür vorlegen. Doch Geothermie war bislang an vielen Orten nicht möglich, weil Thermalwasser fehlt. "Wir hatten rund um Neu-Ulm oder Senden nur wenig Vorkommen, die auch nicht warm genug waren, also mussten wir uns etwas anderes überlegen", sagt Wunder.
Innovatives Verfahren für Geothermie
So kam der Kontakt zur kanadischen Firma "Eavor" zustande, die auf Petrothermie setzt, also Wärme aus heißem Gestein. Das Prinzip funktioniert wie bei einer Teetasse, an der man sich die Hände wärmt, nur dass hier das Gestein Wasser aufheizt. Aus einigen Kilometern Tiefe soll es 115 Grad Celsius an die Erdoberfläche befördern, aufgrund des geschlossenen Systems dehnt sich Wasser aus, wird aber nicht zu Dampf, so ein Pressesprecher. "Wir versuchen viel Strecke in den Untergrund zu bohren, denn wir wollen eine lange Wärmeübertragung auf unser Medium", erklärt Oliver Heymann, Projektentwicklungsingenieur von Eavor. Durch den Temperaturunterschied von kaltem und warmem Wasser läuft der Kreislauf von selbst und benötigt keine Pumpe. Über ein Fernwärmenetz soll die Energie später einmal an die Bürger verteilt werden.
Verborgenes Potenzial
Noch fristet die Tiefen-Geothermie ein Schattendasein. Laut bayerischem Energieatlas trägt sie nur 0,8 Prozent zur Wärmeversorgung im Freistaat bei, doch das soll sich ändern. Die Staatsregierung plant, dass bis 2050 ein Viertel des bayerischen Wärmeverbrauchs im Gebäudesektor über Geothermie abgedeckt werden soll. Das Einsparpotential wäre groß, denn Heizen und Warmwasser machen 80 Prozent des Energieverbrauchs der privaten Haushalte aus. Für manche Kommunen wirken die vergleichsweise hohen Anfangsinvestitionen für Geothermie abschreckend, denen aber geringe Betriebskosten gegenüberstehen. Wie wirtschaftlich Erdwärme betrieben werden kann, hängt auch vom jeweiligen Standort ab. Doch einige Bürger stehen gerade den Bohrungen skeptisch gegenüber.
Sorgen der Bevölkerung
Am Infostand in Neu-Ulm möchte ein Mann wissen, ob es zu Problemen wie in Staufen im Breisgau kommen könnte. Nach oberflächennahen Bohrungen reagierte Grundwasser mit einer Mineralschicht und hatte sich zu Gips verwandelt, der sich im Boden ausdehnte. Die Folge waren Hebungsrisse an Häusern. Seitdem wurden in Deutschland Sicherheitsbestimmungen verschärft. Ein Leitfaden des bayerischen Umweltministeriums legt fest, welche rechtlichen Vorgaben beachtet und Genehmigungen eingeholt werden müssen. Die Gefahr, dass es zu kleineren Erdbeben kommen könnte, sieht Eavor nicht. "Unsere Bohrungen mit einem Durchmesser von 20 Zentimetern haben keinen Einfluss auf die Festigkeit des Gesamtgesteins. Studien zeigen sogar, dass sie eher zunimmt, weil sich das Gestein durch Geothermie etwas abkühlt", erklärt Oliver Heymann.
Erdwärme könnte 2029 fließen
Ob tatsächlich gebohrt wird, steht noch in den Sternen. In den kommenden Wochen fahren die Vibrotrucks durch die Region und sammeln Daten. Wo sie anhalten, lässt die Rüttelplatte leicht den Boden zittern. Fachleute prüfen mit Messgeräten, dass die Belastung für umliegende Häuser nicht zu hoch ist. 2027 werden die Stadtwerke entscheiden, ob sich das Geothermie-Projekt rund um Neu-Ulm umsetzen lässt, zwei Jahre später könnte die Wärme fließen. Im oberbayerischen Geretsried ist Eavor schon weiter. Dort soll eine ähnliche Anlage Mitte des Jahres in Betrieb gehen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!