"Terrorverdächtiger von Hof saß in Österreich in Haft" – diese BR24-Schlagzeile wirft Fragen auf. Dabei geht es um den 27-jährigen mutmaßlichen Islamisten, der vergangene Woche von der bayerischen Polizei festgenommen wurde. Er soll einen Anschlag auf Bundeswehrsoldaten geplant haben.
Von seiner Haft im Nachbarland wussten die Ermittler nach der Festnahme zunächst nichts, bezeichneten ihn als nicht vorbestraft. Woran liegt das? Welche Datenbanken gibt es, um Informationen über Straftäter und Gefährder auszutauschen?
Wendt: "Weit entfernt von europäischem Datenverbund"
"Wir sind weit entfernt von einem europäischen Datenverbund", sagt Rainer Wendt auf BR24-Anfrage. Wendt ist Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Andernfalls wäre laut ihm schon bei der ersten Personenüberprüfung des Terrorverdächtigen aufgefallen, dass er in Österreich in Haft war.
Von Fall zu Fall kann es laut Wendt klappen, dass über Staatengrenzen Informationen zu Verdächtigen geteilt werden. "Manchmal versteht man sich auf Arbeitsebene." Es gebe aber EU-weit bislang kein formalisiertes Verfahren. Die aktuelle EU-Kommission mit Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat einen solchen Datenaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten laut Wendt angekündigt. Er sei zuversichtlich, dass das auch in absehbarer Zeit umgesetzt werde, sagt der Polizeigewerkschafter.
Zwischen den Bundesländern in Deutschland gibt es inzwischen einen solchen Datenaustausch. Die "Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen" (MiStra) sorgt dafür, dass Polizisten in Bayern bei einer Personenkontrolle im Normalfall wissen, ob der Kontrollierte beispielsweise in Hessen bereits wegen einer Straftat verurteilt wurde. Der innerdeutsche Datenaustausch funktioniere gut, sagt Wendt.
Innenministerium verweist auf Europol-Datenbank
Laut dem bayerischen Innenministerium existieren bereits zwei internationale Datenbanken zu verurteilten Straftätern oder terroristischen Gefährdern, auf die Behörden in verschiedenen Ländern zugreifen können. Ein Ministeriumssprecher verweist auf BR24-Anfrage auf das Europol-Informationssystem (EIS). Das sei "ein europaweites polizeiliches 'Sofortauskunftssystem' über Personen- bzw. Falldaten zu Ermittlungsverfahren innerhalb des Zuständigkeitsbereichs von Europol". Zu den genauen Abläufen könne man aber "aus Geheimhaltungsgründen" nichts sagen.
Darüber hinaus steht den Polizeien der Bundesländer und des Bundes laut dem Ministeriumssprecher das Schengener Informationssystem (SIS) zur Verfügung. Hierbei geht es laut dem Bundeskriminalamt um Daten, die der Polizei bei der Fahndung nach Personen oder Sachen helfen sollen.
Helfen bei der Auswertung existierender und schon jetzt verfügbarer Polizeidatenbanken soll zudem die umstrittene Software VeRA der Firma Palantir. Seit August darf die bayerische Polizei VeRA nutzen. Noch Anfang des Jahres hatte der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri massive Bedenken geäußert. Die Software ermöglicht der Polizei, Millionen Daten präventiv zum Schutz vor Verbrechen automatisch durchsuchen und analysieren zu lassen
Verdächtiger Syrer war nicht als Gefährder eingestuft
Der Fall aus Hof taugt freilich nicht hundertprozentig als Beispiel für gescheiterte polizeiliche Zusammenarbeit. Der Mann aus Syrien, der jetzt wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft sitzt, war in Österreich nicht wegen Anschlagsplänen oder islamistisch motivierter Gewalt verurteilt. Sondern wegen Schleuserei. Seine mehrmonatige Haftstrafe endete im April 2019, vor fünfeinhalb Jahren. Selbst wenn die bayerischen Behörden von dieser Verurteilung gewusst hätten – deshalb wäre er nicht vor Bekanntwerden seiner Anschlagspläne als Gefährder im Visier der Ermittler gewesen.
Bisher ist übrigens europaweit nicht einheitlich geregelt, wer als Gefährder gilt. Der 18-Jährige, dessen Anschlagversuch vor rund zwei Wochen in München von Polizeikugeln gestoppt wurde, war von den Behörden in Österreich nicht als Gefährder eingestuft. Trotz Videos mit Terrorszenen und islamistischem Material auf seinem Smartphone. Und selbst wenn der junge Mann in Österreich ein Gefährder gewesen wäre: Mangels europaweiter Datei hätten die Behörden in Deutschland davon möglicherweise nichts gewusst.
Dazu kommt: Aktuell können deutsche Polizisten ausländische Gefährder oft nicht identifizieren, wenn sie nach Deutschland einreisen. Bis es zu einer europaweiten Gefährder-Datenbank für die Polizei kommt, dürften weiterhin Geheimdienste bei der Terrorvereitelung im Fokus stehen. Geheimdienste hätten ganz andere Erkenntnisquellen, auch dank der Zusammenarbeit mit US-Kollegen, sagt Polizeigewerkschafter Wendt. "Die dürfen und können mehr als wir."
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