Veronika Hindl sitzt auf dem Dachboden ihres fast vollständig leergeräumten Elternhauses. In den Händen hält sie ein Fotoalbum ihres verstorbenen Großonkels, einem Missionar im Kongo. Darin das Taufdokument eines kongolesischen Mädchens. "Und dann steht da drunter: 'heidnischer Name Pukan'. Getauft hat er sie auf Hildegard. Das sind Sachen, da wird mir jetzt eher schlecht, als dass ich’s gut find", sagt Hindl.
Als Missionar von Straubing aus in den Kongo
Die Fotoaufnahmen in dem Album zeigen einen Priester mit Kurzhaarschnitt und hellem Leinenanzug, ein schwarzes Kind auf dem Arm; an Weihnachten im afrikanischen Busch unterm Tannenbaum oder in der Krankenabteilung der Missionsstation. Typische Bilder, wie man sie aus der Kolonialzeit kennt.
In den fünfziger Jahren verlässt Pater Karl Maria Weber seine Heimat Straubing und macht sich als Herz-Jesu-Missionar auf in den Kongo. Neun Jahre nach seiner Ankunft in der Missionsstation Bokungu wird er ermordet – ein ehemaliger Mitarbeiter sticht ihm mit einer Lanze in den Rücken. Es ist die Zeit der Aufstände und Rebellen im Kongo. Auch die Missionsstation steht unter Beschuss.
Gewaltsamer Tod – in den Märtyrer-Stand erhoben
Weber wird 1999 in das Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Neben ihm werden noch über hundert weitere Missionare in den Märtyrer-Stand erhoben – weil sie im Missionsgebiet als "Blutzeugen" einen gewaltsamen Tod gestorben sind und "den Willen Gottes" angenommen haben, so beschreibt es die katholische Kirche.
In Straubing erinnert nur eine Inschrift auf dem Familiengrab an den gewaltsamen Tod des Vorfahren. Der Leichnam selbst wurde irgendwo in der Nähe der Missionsstation "verscharrt", wie die Zeitungsberichte von damals schreiben.
Gott nach Afrika bringen wollen, "ist die alte Überheblichkeit"
Und nicht nur die Erinnerung an den einstigen "Straubinger Märtyrer" verblasst mehr und mehr. Auch der Orden, dem Weber einst angehörte, hat sich längst von seinem Missionsauftrag losgesagt. Damals habe man etwas ganz anderes unter Mission verstanden als heute, sagt Norbert Rutschmann, einer der letzten in Deutschland verbliebenen Herz-Jesu-Missionare: Mission habe bedeutet, Gott nach Afrika und in andere Winkel der Welt zu bringen. "Das ist die alte Überheblichkeit, die immer schon da war – ob staatlich oder kirchlich."
Mittlerweile sehen sich die Herz-Jesu-Missionare in einer Art Inneren Mission: Ihr Auftrag sei, den Glauben wieder hierzulande zurückzubringen. Das Wort "Mission" wollen sie dafür nicht mehr verwenden.
Wohin mit dem Elfenbein?
Und nicht nur die Perspektive auf die Mission hat sich gewandelt. In den Sachen ihres Großonkels findet Veronika Hindl auch einen ganzen Elfenbeinzahn, verziert mit geschnitzten Elefanten und Krokodilen. Auch Serviettenhalter aus Elfenbein befinden sich im Nachlass.
Seit 1989 ist der Handel mit Elfenbein weltweit verboten. Sie habe den Anspruch, die Sachen wieder gut irgendwo unterzubringen, sagt Hindl. "Aber es ist schwer, sie loszuwerden." Verkaufen ist verboten, Wegschmeißen zu schade: Was also tun mit den schwierigen Erbstücken?
Museum-Depots voll mit belasteten Gegenständen aus Kolonialzeit
In Deutschland gibt es insgesamt fünf Museen, die sich auf Gegenstände aus der Kolonial- und Missionszeit spezialisiert haben. Doch das Missionsmuseum Sankt Ottilien lässt auf Nachfrage wissen, dass man dort nichts annehme. Im Durchschnitt alle drei Wochen erreiche das Museum eine solche Nachfrage. Das Depot sei längst voll mit belasteten Gegenständen aus der Kolonialzeit.
Und der weitere Teil des Nachlasses von Pater Karl Maria Weber? All die Dokumente, die ein detailliertes Bild der Missionsgeschichte zeichnen?
Der Orden der Herz-Jesu-Missionare hat sich zwar längst vom früheren Missionsverständnis gelöst. Doch im Stammsitz in Salzburg gibt es ein kleines Missionsmuseum. Auf Nachfrage erklärt man sich dort bereit, den Nachlass des früheren Ordensbruders zu übernehmen – auch all die Serviettenhalter und Schmuckstücke aus Elfenbein. Allerdings: Ausgestellt werden nur diejenigen Gegenstände, die eindeutig als Geschenk an den Missionar erkennbar sind. Alles andere bleibt im Archiv.
Im Audio: Stücke aus Kolonialzeiten - was soll damit geschehen?
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