Im Publikum des Sitzungssaals, in der ersten Reihe gleich hinter den Stadtratsmitgliedern sitzt ein junges Mädchen. In der Hand hält sie ein Plakat aus Pappe: "Schulwege blockieren ohne vorher zu sinnieren bedeutet Kinderleben riskieren", steht darauf, ein weinender Smiley soll wohl die Dringlichkeit der Lage unterstreichen. Als die Stadt Starnberg Anfang November 52 kleine Gehwege sperrte, war der Ärger unter den Starnbergern groß: "Die Kinder konnten nicht mehr auf ihrem gewohnten Weg zur Schule“, erzählt die Mutter der jungen Schülerin und Rektorin der Starnberger Grundschule, Nicole Bannert. Die Grundschüler hätten Umwege von mehr als zehn Minuten nehmen müssen – teils über gefährlichere Straßenabschnitte.
Wegesperrungen: "ein Fehler", gibt Bürgermeister zu
Mittlerweile sind die Absperrungen an den meisten Wegen schon wieder zur Seite geräumt, die Schilder liegen auf dem Boden – so als hätten sie dem Ärger der Starnberger einfach ergeben. Mit der Sperrung der Wege habe man „schlicht und ergreifend einen Fehler“ begangen, gab Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik (Unabhängige Wählergruppe, UWG) gleich zu Beginn der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses in der Starnberger Schlossberghalle zu. Die Reaktion der Bürger habe gezeigt, dass die Stadt die falsche Lösung gewählt habe, so Janik. Im Gepäck hatte der Bürgermeister aber nicht nur reumütige Worte, sondern auch gleich eine Beschlussempfehlung, die die Entscheidung aus dem Februar rückgängig machen soll: Darin wird dem Stadtrat vorgeschlagen, die Sperrungen der an den Wegen zu entfernen und sie wieder für den Verkehr freizugeben. Außerdem würde die Stadt demnach die Räum- und Streupflicht auf den betroffenen Wegen in diesem Winter selbst übernehmen und in der Zukunft ein neues Räum- und Streukonzept für die 52 kleinen Wege und Treppchen in Starnberg ausarbeiten. Der Haupt- und Finanzausschuss segnete die Beschlussempfehlung ohne Gegenstimme ab. Am Montag (25.11.) muss dann noch der Stadtrat darüber abstimmen.
Auch dem reichen Starnberg mangelt es an Geld
Im Februar diesen Jahres hatte der Stadtrat beschlossen, 52 sogenannte „beschränkt-öffentliche Wege“ – also Fußgänger- und Radwege ohne Autostraße daneben – im Winter zu sperren und die Verträge mit Dienstleistern, die den Winterdienst übernommen hatten, nicht mehr zu verlängern. Deshalb brachte die Verwaltung Anfang November Absperrungen und Schilder an, die Fußgänger daran hinderten, die Wege zu nutzen. Der Grund für die ungewöhnliche Maßnahme: Wenn die Wege im Winter nicht geräumt und gestreut werden müssen, entlastet das die Kassen. Denn auch wenn Starnberg als teures Pflaster für die Reichen bekannt ist, fehlt es der Stadt – wie vielen anderen bayerischen Kommunen auch – an Geld. 60.000 Euro pro Wintersaison hätte hätte die Wegesperrung gespart, so die Kalkulation.
Winterdienst an allen oder nur einigen Wegen?
An Kritik wurde dagegen nicht gespart: Bürgermeister Janik habe unzählige Zuschriften bekommen, in denen die Starnberger ihre Sorgen und ihren Ärger über die plötzliche Sperrung der Wege loswurden: „Ich habe zu jedem gesperrten Weg einen Brief bekommen, der beschreibt, dass der Weg in der persönlichen Lebensgestaltung des Verfassers eine wichtige Rolle spielt“, berichtete der Bürgermeister in der Sitzung. Um das Thema nicht noch weiter aufzuheizen, plädierte Janik deswegen dafür, alle 52 Wege erstmal zu entsperren und von der Stadt räumen zu lassen. Einige Stadtratsmitglieder forderten hingegen, die Wege bei der Vergabe des Winterdiensts zu priorisieren. Zehn Stadtratsmitglieder hatten im Vorfeld zur Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses einen Antrag eingereicht, der die 52 Wege in verschiedene Kategorien einteilt: Solche, die weiterhin der städtische Bauhof räumen und streuen soll; solche, die von externen Dienstleistern geräumt und gestreut werden sollen; und solche, die während des Winters tatsächlich gesperrt werden könnten, weil sie „keine besondere Verkehrsbedeutung“ hätten. Das sind nach Ansicht der Stadtratsmitglieder aber nur vier der ursprünglichen 52 Wege.
Allein die Absperrungen kosteten 25.000 Euro
Damit wäre den leeren Kassen der Kommune schlussendlich wenig geholfen. Doch am Ende sei auch die Sperrung der Wege nicht billig gewesen, kritisiert die Stadträtin und ehemalige Bürgermeisterin Eva Pfister (ehemals John, Bündnis Mitte Starnberg, BMS): 25.000 Euro habe allein das Material zum Absperren gekostet. Außerdem rechnet Pfister mit rund 10.000 Euro Kosten für die Mitarbeiter des Bauhofs, die die Absperrungen aufstellen mussten. Etwa 10.000 Euro könnten nun nochmal beim Abbau entstehen. Jährlich stehe der Stadt Starnberg ein Budget von rund 700.000 Euro für den Winterdienst zur Verfügung.
Langfristig schlägt Pfister vor, an anderer Stelle zu sparen: „Ich denke, man kann viel durch Umschichtungen erreichen – dass der Bauhof also nicht jede kleinste Nebenstraße räumt, sondern Rad- und Gehwege in der Stadt zuerst“, so Pfister. Es gehe darum, einen gesunden Mittelweg zu finden und nicht alles Geld für die Autofahrer auszugeben, sondern die Fußgänger und Radfahrer genauso mit zu bedenken.
Neues Konzept im März 2025 erwartet
Wie es mit den kleinen Wegen, Pfaden und Treppchen in Starnberg nach diesem Winter weitergehen könnte, ist noch unklar. Denn viele Fragen sind da noch offen: Soll die Stadt die Wege räumen, oder die Anwohner? Sollen die Kosten über die allgemeinen Steuereinnahmen gezahlt werden, oder werden sie auf die Anwohner übertragen? Das soll sich die Stadtverwaltung nun genauer ansehen. Ein neues Räum- und Streukonzept soll die Verwaltung laut dem Beschlussvorschlag frühestens im März 2025 vorlegen.
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