Im Senioren- und Pflegezentrum St. Elisabeth im Nürnberger Stadtteil Schweinau ist die Situation offenbar seit Monaten angespannt. Pflegekräfte berichten, eine ordentliche Pflege sei derzeit nicht möglich. Die Beschäftigten seien überlastet sowie physisch und psychisch am Ende. Der private Betreiber widerspricht, und auch nach Meinung der Heimaufsicht der Stadt Nürnberg liegt kein Mangel vor. Die Gewerkschaft Verdi wirft der Behörde vor, nicht kritisch genug zu kontrollieren – und haben am Donnerstag zu einer Demonstration vor dem Heim aufgerufen. Daran haben zahlreiche Pflegekräfte teilgenommen.
Beschäftigte beklagen Personalmangel
Ein anonymes Schreiben an BR24, das mit "Mitarbeiter/innen St. Elisabeth" unterzeichnet ist, schildert drastische Probleme. Die unbekannten Verfasser erklären, wegen des massiven Personalmangels sei es kaum möglich, die Bewohnerinnen und Bewohner angemessen zu versorgen. Die Folge seien mangelnde Hygiene und eine mangelhafte Versorgung mit Essen und Trinken: "Wir haben kein Personal (…) Es ist unmöglich, unsere Bewohner/innen zu versorgen. Zwei bis drei Pfleger in der Früh, spät ein bis zwei, nachts sind Stationen oft nicht besetzt", heißt es in dem Brief.
"Mangelhafte Körperpflege, zu selten gewechselte Windeln, nur vier Einlagen in 24 Stunden, Menschen liegen im nassen Bett. Schlechtes Essen, zwei kleine Flaschen Wasser pro Tag. (…) In dieser Einrichtung wird die Würde des Menschen sehr verletzt. Es will keine von uns so weitermachen, nicht mit dieser Führung." Mitarbeiter des Senioren- und Pflegezentrums St. Elisabeth
BR-Recherchen lassen die Aussagen in dem anonymen Brief glaubhaft erscheinen. Auch Beschäftigte, die namentlich nicht genannt werden wollen, dem BR aber bekannt sind, schildern eine seit Monaten andauernde angespannte Personalsituation. Der Träger plane konstant zu wenig Personal, heißt es.
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Heimaufsicht: Keine Einmischung bei Personalfragen
Auch bei der Heimaufsicht der Stadt Nürnberg sind in den vergangenen Monaten anonyme Briefe angekommen, die das Pflegeheim St. Elisabeth betreffen, bestätigt deren Leiter, Klaus Friedrich. Wie viel Post eingegangen ist, will Friedrich aus rechtlichen Gründen nicht sagen, auch nicht, ob bei anschließenden Kontrollen im Heim Mängel festgestellt wurden. Auf die Frage, welcher Art die festgestellten Missstände sind, antwortet der Leiter der Heimaufsicht ausweichend: "Diese Frage entfällt für mich" – was wohl heißen soll, dass keine Missstände festgestellt wurden. Eine ähnliche Antwort gibt Friedrich auf die Frage, ob die Heimaufsicht die Schließung des Heims erwogen hat. "Das Heim gibt es noch", sagt er. Zudem weist Friedrich darauf hin, dass die Heimaufsicht sich als Anwalt der Bewohner verstehe. In Personalangelegenheiten könne man sich nicht einmischen.
Verdi: Heimaufsicht soll nicht nur Akten kontrollieren
Wie aber kann es sein, dass Pflegekräfte von völliger Überlastung berichten, die Heimaufsicht aber keinen Grund zum Eingreifen sieht? Aussagen von Mitarbeitenden bestätigen den akuten Personalmangel. Nach Meinung der Gewerkschaft Verdi schaut die Heimaufsicht nicht gut genug hin. "Die kontrollieren nur die Akten und nicht die tatsächliche Lage", sagt Gewerkschaftssekretär Martin Schmalzbauer. In anderen Städten sei bei so vielen Hinweisen von Mitarbeitenden durch die Heimleitung schon längst ein Aufnahmestopp für das Heim verhängt worden, kritisiert er.
Zwischenzeitlich hat das Heim selbst entschieden, vorerst keine neuen Bewohner aufzunehmen. Auf BR-Anfrage erklärte die Alwo Altenwohn-und Krankenpflege-Betriebs-GmbH, man habe am 6. Februar "eigenständig und ohne behördliche Vorgaben" beschlossen, einen Aufnahmestopp zu verhängen. "Hinzukommend unterstützen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Zeitarbeitskräften, um der aktuellen Krankenquote entgegenzukommen", heißt es in einer schriftlichen Erklärung. Eine anschließende Prüfung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen habe "keine signifikanten Abweichungen" festgestellt.
"Kollegen weinen ins Telefon"
Tatjana Sambale ist Pflegekraft in einer anderen Einrichtung, engagiert sich bei Verdi Mittelfranken aber in der Arbeitsgruppe Altenpflege und ist deshalb für viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Heim St. Elisabeth Ansprechpartnerin. Seit Monaten lägen stapelweise Überlastungsanzeigen vor, berichtet sie. Auch der Heimbetreiber bestätigt das Vorliegen von Belastungsanzeigen. Wenn Pflegekräfte eine Überlastungsanzeige machen, heißt das: Eine adäquate Pflege war wegen Personalmangels nicht möglich. Immer wieder werde sie von Kollegen angerufen, die ins Telefon weinten, weil sie sich seit Monaten aufarbeiteten, berichtet Tatjana Sambale von Verdi. "Sie gehen an ihre körperlichen und psychischen Grenzen." Nur dadurch sei es möglich gewesen, dass noch keiner der Bewohner ernsthaft zu Schaden gekommen sei.
"Es kann doch einfach nicht sein, dass es erst zu Mängeln kommen muss, bis sich etwas tut. Jeder Mangel bedeutet doch: Ein Pflegebedürftiger wurde nicht so versorgt, wie er/sie sollte und es verdient hat. Soweit muss es doch nicht kommen. Es muss doch möglich sein, dass auf die KollegInnen gehört wird, wenn sie sagen: Wir können so nicht mehr. Helft uns." Tatjana Sambale, Pflegekraft und AG Altenpflege bei Verdi Mittelfranken
Dienstpläne spiegeln nicht tatsächliche Lage wider
Aus Sicht von Tatjana Sambale, die sich bei Verdi ehrenamtlich engagiert, spielt die Heimaufsicht keine rühmliche Rolle im Fall des Senioren- und Pflegezentrums St. Elisabeth. Seit Monaten klagten die Beschäftigten im Heim, sie seien überlastet – die Heimaufsicht aber stelle keinen Personalmangel fest. In den Dienstplänen, meint Sambale, werde der Pflegeschlüssel ja auch eingehalten.
Doch aus den Plänen lasse sich nicht herauslesen, ob eine Pflegekraft ihren Dienst auch wirklich angetreten habe. Aktuell etwa seien 18 Beschäftigte erkrankt. So komme es immer wieder dazu, dass laut Dienstplan zwar genügend Pflegekräfte anwesend, durch Krankmeldungen aber in Wirklichkeit zu wenige im Einsatz seien. "Die Heimaufsicht sollte viel öfter auf diejenigen hören, die am Bett arbeiten und den Personalmangel hautnah mitbekommen", fordert sie. Darüber hinaus hätten auch viele Pflegekräfte gekündigt. Im anonymen Brief, der BR24 vorliegt, ist von 20 die Rede.
Heimbetreiber: Pflegeschlüssel wird eingehalten
Die Alwo Altenwohn-und Krankenpflege-Betriebs-GmbH erklärte, das Heim erfülle "sämtliche Vorgaben bezogen auf den gesetzlichen Pflegeschlüssel." Die durch die Heimaufsicht durchgeführten Prüfungen sei deshalb ohne Auffälligkeiten geblieben – die letzte habe am 1. Dezember stattgefunden. Seit Januar werde zudem auf den Stationen ein Schulungsprogramm durchgeführt, "um die Arbeitsprozesse zu optimieren und die Qualität weiter zu steigern." Und: Mit dem Betriebsrat sei eine Vereinbarung zur Dienstplanerstellung getroffen worden, die am 1. April in Kraft treten werde. Darin enthalten seien auch Prämienzahlungen für die Beschäftigten.
Wer aber ist der private Heimbetreiber des Senioren- und Pflegezentrums St. Elisabeth? Der Verwaltungssitz des Familienunternehmens Alwo ist Bad Harzburg in Niedersachsen. Die Alwo betreibt drei Seniorenheime, alle im Großraum Nürnberg. Das Heim St. Elisabeth in Nürnberg gehört seit 2012 zum Unternehmen, bis dahin war es ein katholisches Haus. "Gemeinsam Geborgenheit leben" sei das Alwo-Leitbild, das Prinzip der ganzheitlichen und aktivierenden Pflege stehe im Zentrum, schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite. Geschäftsführerinnen sind Maria und Gina Fancello, die neben ihrem Engagement im Pflegesektor auch als Geschäftsführung eines Autohauses in Goslar fungieren.
Demo der Pflegekräfte von St. Elisabeth
Bei einer Kundgebung am Donnerstagnachmittag waren rund 50 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, darunter Heimbewohner und Beschäftigte des Senioren- und Pflegezentrums St. Elisabeth, die auf ihre schwierige Situation aufmerksam machen wollten. Unterstützt wurden sie dabei vom Betriebsrat des Heims, der Gewerkschaft Verdi, der Initiative "Gesundheit statt Profit" und dem katholischen Betriebsseelsorger Kurt Reinelt. Auch die Heimaufsicht war zur Demo eingeladen. In der Behörde, die beim Gesundheitsamt der Stadt Nürnberg angesiedelt ist, wird derzeit eine Stellungnahme für Oberbürgermeister Marcus König (CSU) erarbeitet. Im Mai soll die Lage in St. Elisabeth im Gesundheitsausschuss behandelt werden.
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