Die Haushaltskrise der Bundesregierung wandelt sich augenscheinlich zunehmend in eine Vertrauenskrise. Diese Sorgen ernst zu nehmen und darüber nachzudenken, ist für die Wirtschaftsweise Prof. Ulrike Malmendier sehr wichtig, wie sie im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers sagt:
"Ich glaube, dass die Unsicherheit, die sich in der Bevölkerung ausbreitet, auch langfristig ein ganz wichtiger Faktor für unsere Wirtschaft und für unsere Demokratie ist." Prof. Ulrike Malmendier, Sachverständigenrat für Wirtschaft
Spätestens seitdem das Bundesverfassungsgericht den zweiten Nachtragshaushalt 2021 der Regierung für grundgesetzwidrig erklärt hat, macht sich auch in der Bevölkerung Unsicherheit breit: Welche in Aussicht gestellten Subventionen können gewährt werden, welche fallen weg?
Aktuelle Kritik an Regierung zu "platt"
"Etwas billig" sei hingegen die an der Regierung geübte Kritik – "gerade, wenn wir Sicherheit schaffen wollen und Zuversicht". Nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag wurde der Vorwurf laut, Scholz habe noch keine konkreten Lösungen nennen können. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) etwa sprach Scholz gar die Kanzlerkompetenz ab.
Wirtschaftsweise: Deutscher Haushalt "gar nicht so schlecht"
Im europäischen und internationalen Vergleich steht der deutsche Staatshaushalt laut Malmendier trotz aller gegenwärtigen Probleme nicht schlecht da.
Für 2024 hingegen sieht sie derzeit die Schwierigkeit, vorab einschätzen zu können, wo es Notlagen geben wird und welche Teile der Bevölkerung von ihnen betroffen sein werden. Für die Wirtschaftsweise hat sich das in der jüngsten Vergangenheit etwa am Beispiel der Energiekrise gezeigt: "Wir wussten nie: Wen treffen denn jetzt die höheren Ausgaben besonders?"
Aus diesem Problem lässt sich laut Malmendier jedoch lernen: Sie appelliert, Deutschland sollte "ein effizienterer Staat werden, ein digitalisierter Staat, ein Staat, der gute Daten hat".
Schuldenbremse 2024 aussetzen: Ökonomisch sinnvoll, rechtlich nicht möglich
Wenngleich derzeit gerade erst der Antrag zum Aussetzen der Schuldenbremse 2023 vorbereitet wird, flammt bereits die Diskussion über das Folgejahr auf: Sollte die Schuldenbremse auch dort ausgesetzt werden? Die Wirtschaftsweise mahnt im Interview mit Kontrovers zwischen der rechtlichen und der ökonomischen Perspektive zu unterscheiden.
So, wie die Schuldenbremse in Artikel 115 im Grundgesetz derzeit formuliert ist, sei es schwer zu rechtfertigen, sie jetzt schon auch für 2024 auszusetzen. Denn neben der Schuldenbremse selbst sind auch die Umstände definiert, die ein Aussetzen ermöglichen. Dazu gehören etwa Naturkatastrophen.
"Das Verrückte an der Sache ist, dass es ökonomisch gesehen durchaus Sinn machen könnte [die Schuldenbremse auch 2024 auszusetzen, Anm. d. Red.]. Denn die Folgen, die wir jetzt wirtschaftlich noch spüren, haben durchaus mit der Energiekrise und sogar noch Corona zu tun. Die sind nicht so schnell gestoppt – siehe Lieferketten-Störungen, zum Beispiel." Prof. Ulrike Malmendier, Sachverständigenrat für Wirtschaft
Bereits zurückliegende Katastrophen, die eine Notlage und somit ein Aussetzen der Schuldenbremse erlaubten, wirken ökonomisch also bis heute nach. Jedoch erlaubt die derzeit verankerte Formulierung des Gesetzes eine solche Begründung nicht, so die Wirtschaftsweise: "Es wäre meines Erachtens ein weiterer Versuch, die Schuldenbremse zu umgehen, entweder durch Ausrufen der Notlage, wenn es eigentlich mit dem Grundgesetz nicht passt, oder durch diese Schattenhaushalte, die jetzt nun nicht mehr funktionieren werden."
Langfristige Stabilität durch private Investitionen möglich
Trotz der Haushaltskrise: Die viel wichtigere und langfristige Kraft, die auf die deutsche Wirtschaft einwirke, ist laut Malmendier die der privaten Investitionen. Deshalb ist es wichtig, dass dafür Sorge getragen werde, dass etwa Unternehmen ein Interesse hätten, in Deutschland zu investieren und dass man sich um Fachkräfte kümmere.
Deshalb gelte es laut der Wirtschaftsweisen weiterhin an bekannten Themen wie etwa Entbürokratisierung und Zukunftsorientierung zu arbeiten.
Im Video: 60-Milliarden-Loch – Deutschland in der Krise
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