Zwei Katzen, eine schwarz-weiß, die andere ganz schwarz, sitzen in einem Gehege eines Tierheims.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Federico Gambarini

Tierheime in Schwaben sind am Limit (Symbolbild)

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Zu wenige Hände für zu viele Pfoten: Tierheime am Limit

Die Tierheime in Schwaben sind am Limit. Gestiegene Kosten durch die Inflation, weniger Ehrenamtliche und nach der Corona-Pandemie voll belegte Plätze sind die Gründe. Die Betreiber fordern jetzt Unterstützung durch die Politik.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Die Tierheime in Schwaben sind randvoll, manche platzen aus allen Nähten. In Augsburg können keine neuen Tiere mehr aufgenommen werden. Das Tierheim in Rieden am Forggensee im Landkreis Ostallgäu läuft seit Ende vergangenen Jahres im Notbetrieb. Neue Tiere aufzunehmen, sei nicht möglich. Ähnlich sieht es im Tierheim Beckstetten bei Kaufbeuren aus. Dazu kommen noch die gestiegenen Kosten durch die hohen Energiepreise und weniger Ehrenamtliche, die sich engagieren. In einem Brandbrief haben sich Tierheime aus Schwaben und der gesamten Bundesrepublik an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gewandt.

Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. So sieht der Alltag im Tierheim in Rieden am Forggensee für die Leiterin Andrea Flügel und ihre einzige Mitarbeiterin seit Monaten aus. Neues Personal, das für den Mindestlohn und wenn möglich Vollzeit arbeite, finde man nicht. Wie lange sie diesen Zustand noch durchhalte, wisse sie selbst nicht, sagte sie im BR-Interview.

Dramatische Situation auch in Beckstetten

Auch im Tierheim Beckstetten bei Kaufbeuren spricht der erste Vorstand des hinter dem Tierheim stehenden Vereins, Harald Eberhard, von einer dramatischen Situation, die sich durch das Ende der Corona-Pandemie, aber auch schon mit Beginn des Ukraine-Krieges immer weiter zugespitzt habe. Auch sein Haus sei mehr als voll und überbelegt.

Menschen machen sich beim Hundekauf zu wenig Gedanken

Schuld daran seien mehrere Gründe, so Eberhard im BR-Gespräch: Zunächst würden sich die Menschen kaum im Vorfeld mit den Bedürfnissen der Tiere beschäftigen und seien dann überrascht, wenn zum Beispiel ihr Hund mehr Bewegung und Beschäftigung brauche, als ihnen lieb ist. Zweiter Grund: Viele holten sich Tiere aus Auffangstationen aus dem Ausland statt aus dem Tierheim ums Eck, weil es einfacher sei, es gebe unter anderem kaum eine Platzkontrolle. Dritter Grund: Nicht wenige kauften Welpen über Internetseiten oder bei ausländischen, meist osteuropäischen Händlern auf Parkplätzen aus dem Kofferraum heraus. Er rät dringend davon ab. Die Tiere, die über Tierheime vermittelt würden, seien erstens sicher gesund und zweitens würde man auch die neuen Besitzer beim Ein- und Aneinandergewöhnen unterstützen.

Brandbrief an den Landwirtschaftsminister

Beide Tierheime, das in Rieden und in Beckstetten, haben Ende Juli auch einen Brandbrief an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) unterzeichnet. Sie hoffen, dass sich endlich etwas ändert. In dem Schreiben beklagen Häuser aus ganz Deutschland einen nicht überwachten "Konsum" von Hunden und deren fehlende oder falsche Erziehung. Das Ergebnis sei, dass diese Tiere "oft jahre- oder lebenslang im Tierheim verbleiben, immer häufiger krank und/oder verhaltensauffällig sind".

Sie fordern unter anderem neue Finanzierungsmodelle für Tierheime sowie Konzepte und Maßnahmen, um den Hundehandel einzudämmen und zu überwachen. Eine Reaktion auf den Brandbrief habe es bislang nicht gegeben, so Harald Eberhard. Deshalb habe man jetzt (21.8.) noch einmal nachgelegt und sich direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt. In dem neuerlichen Schreiben erinnern die Tierheime an den Koalitionsvertrag der Bundesregierung und den Satz: "Tierheime werden wir durch eine Verbrauchsstiftung unterstützen." Diese Ankündigung sei bisher noch nicht in die Tat umgesetzt worden.

Viele kranke und trächtige Katzen in Augsburg

Auch das Tierheim Augsburg ist laut Sabina Gassner, Geschäftsführerin des Tierschutzvereins Augsburg, "rappelvoll". Es können derzeit keine Tiere mehr aufgenommen werden. Vor allem bei Katzen gebe es seit Aufhebung der Corona-Beschränkungen eine wahre "Flut". Es würden viele trächtige und kranke Tiere gebracht. Derzeit leben rund 100 Katzen im Tierheim, verteilt auf die zwei Augsburger Standorte Lechleite und Holzbachstraße. Auch bei den Hunden sei jeder Platz besetzt, insgesamt seien es ca. 55 Tiere. Viele von ihnen seien nur sehr schwer vermittelbar.

Listenhunde bereiten besonders viele Sorgen

Einige hätten Besitzer, die in schwierigen Lebenslagen seien, andere zählten zu den sogenannten Listenhunden, sind also Hunde, die man gemeinhin als Kampfhunde bezeichnet, die aufgrund ihrer Rasse als gefährlich eingestuft werden. Für diese Vierbeiner, darunter zum Beispiel amerikanische Bulldoggen, sei es fast unmöglich, einen neuen Besitzer zu finden, weil viele Auflagen zu ihrer Haltung erfüllt sein müssen. "Das sind die Nachwehen von Corona. Während der Pandemie war unser Tierheim fast leer und alle Welt schaffte sich Haustiere an. Die wollen jetzt viele leider wieder loswerden, weil der Alltag wieder da ist mit den vielen Anforderungen", so Sabina Gassners Einschätzung.

Hohe Energiekosten bringen die Tierheime an ihre Grenzen

Zu schaffen macht dem Tierheim auch die Teuerung: Die Energiekosten hätten sich um rund 40 Prozent erhöht. "Das Problem ist: Da können wir nicht sparen. Wir brauchen heißes Wasser, Heizung und Licht. Unsere Gebäude sind nicht gedämmt, die Türen vieler Gehege müssen offen bleiben, damit die Tiere auch raus können", sagt Sabina Gassner. Außerdem seien die Tierarztkosten drastisch gestiegen, manche Behandlungen kosteten das Dreifache wie noch vor wenigen Jahren.

Dazu komme, dass das Tierheim Lechleite renoviert werden müsse - all das gehe nur in kleinen Schritten aufgrund der ebenfalls gestiegenen Baukosten. Ohne Spenden gehe gar nichts, meint Gassner. Die Kommunen beteiligen sich zwar an den Kosten und steuern pro Jahr und Einwohner 90 Cent zum Unterhalt der Fundtiere bei, das sei eine Pflichtaufgabe. Damit komme man aber längst nicht über die Runden.

Situation führt zu Stress bei Mitarbeitern und Helfern

"Es ist ein Drama. Ich bin jetzt 12 Jahre dabei, so eine zugespitzte Situation hab ich noch nie erlebt", sagt Sabina Gassner. Sie stünden seit einem dreiviertel Jahr unter Dauerdruck. Auch im Tierheim spüre man deutlich, dass die Menschen derzeit gestresst seien - finanziell und psychisch. Der Umgang mit den Ehrenamtlichen sei auch schwieriger geworden. "Viele Tiere, eine gereizte Gesellschaft, ein volatiles Ehrenamt", so bringt sie die Lage im Tierheim Augsburg auf den Punkt.

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