Für viele vernachlässigte oder traumatisierte Kinder und Jugendliche ist es in den vergangenen fünf Jahrzehnten zu einem Hort geworden, einem Ort, der Sicherheit bietet: Das Erich Kästner Kinderdorf in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt. Vor genau 50 Jahren, am 1.7.1974, wurde die Einrichtung gegründet. Inzwischen gibt es weitere Standorte in Düttingsfeld, Mainbernheim, Markt Einersheim und Kaltensondheim. Die Häuser bieten Platz für insgesamt 40 Kinder und Jugendliche im Alter von zwei bis 21 Jahren. "Dazu kommen 20 Kinder in den heilpädagogischen Tagesgruppen, insgesamt also 60 Kinder", sagt der Vorsitzende Gerold Möhrlein Bayern1. Die Kinder könnten in ihre eigentlichen Familie nicht mehr so erzogen werden, wie es für eine normale Entwicklung notwendig sei. "Da springen wir ein, geben eine neue Heimat, in der sie das ganze Jahr leben, in Urlaub fahren, zu Schule gehen, essen, trinken, Spaß haben", sagt der Pädagoge.
Erich Kästner per Telegramm: "Bin einverstanden"
Kurz vor der offiziellen Gründung des Kinderhauses am 13.5.1974 hatte der Schriftsteller Erich Kästner nach einer Anfrage in einem Telegramm seiner Namensnennung mit nur fünf Worten zugestimmt. Er schrieb wörtlich: "Bin mit Kinderdorf Benennung einverstanden“. Kurz darauf, am 29.7., starb Erich Kästner in München. Der Schriftsteller hatte unter anderem mit seinen Kinderbüchern wie "Emil und die Detektive" oder "Das fliegende Klassenzimmer" ganze Generationen gefesselt. Während der NS-Zeit waren seine Werke verboten. Seine Bücher wurden am 10.5.1933 von den Nazis verbrannt.
Erich Kästners kompletter Nachlass in Oberschwarzach
Nach dem Tod seiner Erbin, Erich Kästners Lebensgefährtin Luiselotte Enderle, erhielt das Kinderdorf 1991 den gesamten Nachlass des Schriftstellers. Neben hunderten seiner Bücher steht im Dachgeschoss vor einem Fenster mit Blick in die Natur unter anderem die Triumph-Schreibmaschine, auf der Erich Kästner seine Manuskripte verfasste. Daneben liegen seine Brille und eine Zigarre – und dann sind hier unter anderem sein Hut, seine Reisekoffer oder Tennisschläger zu sehen. Mit der Erich Kästner Bibliothek versucht die Einrichtung, das Erbe des Autors lebendig zu halten. "Die Bibliothek kann man auch nach Voranmeldung mal anschauen, da kann man sich hinsetzen, und das ist für uns eine Ehre, dass wir dieses Erbe von Erich Kästner verwalten dürfen", sagt Vorstand Gerhard Möhrlein.
Erich Kästner als Vorbild im pädagogischen Alltag
Auch sonst gilt Kästner im Kinderdorf als Vorbild: "Seine Haltung den Kindern gegenüber, die bestimmt wird von Liebe, Wertschätzung und Mitgefühl, ist ein tragendes Element unseres pädagogischen Alltags." Denn noch immer gibt es Kinder, die nicht in ihrer Familie leben können. Gründe dafür gibt es viele: akute psychiatrische Probleme, familiäre Schwierigkeiten oder schwere körperliche und geistige Behinderungen. In den sechs Kinderdorffamilien finden diese Kinder ein neues Heim, die Betreuerinnen und Betreuer versuchen, die besonderen Schwierigkeiten der jungen Menschen wahrzunehmen und auf sie einzugehen. Auf dem Wege in ihre Selbständigkeit erhalten die Kinder ein hohes Maß an heilpädagogischer und therapeutischer Förderung, heißt es auf der Homepage der Einrichtung.
Aktion Sternstunden unterstützt Kinderdorf
Neben den sechs Kinderfamilien-Häusern gibt es auch 18 Plätze in zwei Heilpädagogischen Tagesstätten sowie das "SchulCHEN", eine heiminterne Förderschule in Bimbach. Der Bayerische Rundfunk hat im Rahmen der Benefizaktion Sternstunden vor Jahren geholfen, das "SchulCHEN" entstehen zu lassen. Es ist die bis heute einzige pädagogische Einrichtung für unbeschulbar geltende Kinder in Deutschland.
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