Neun rassistische Morde und ein Mord an einer Polizistin, drei Bombenanschläge mit Dutzenden teils schwer Verletzten – die meisten Opfer Menschen aus Einwandererfamilien. Die Neonazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund hat bis 2011 eine Blutspur durch ganz Deutschland gezogen, die allermeisten seiner rassistischen Taten verübte der NSU allerdings in Bayern: In Nürnberg und München.
"Es darf keinen Schlussstrich geben"
Am Donnerstag setzt der Bayerische Landtag in München nun den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss ein. Die Initiative für einen solchen Ausschuss ergriffen schon vor Monaten Grüne und SPD. "Es ist gut und wichtig, dass es keinen Schlussstrich bei der Aufklärung gibt", betont Toni Schuberl, rechtspolitischer Sprecher der Grünenfraktion.
Schuberl soll den Untersuchungsausschuss leiten und ist überzeugt, dass es auch heute enorme rechtsextreme Gefährdungspotenziale gibt. Dem stimmt sein Parteifreund Cemal Bozoğlu zu und fragte sich bereits im Vorfeld: "Was hat man bis jetzt eigentlich unternommen, dass das nicht wieder passieren kann? Sind wir in Bayern sicher?"
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Zivilgesellschaftliche Initiativen waren ausschlaggebend
Ausschlaggebend für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses seien aber vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen gewesen, heißt es aus dem Landtag. So forderten bereits im vergangenen Jahr Hinterbliebene wie die Kinder des getöteten Nürnberger Blumenhändlers Enver Şimşek, das erste NSU-Opfer Mehmet O., viele Anwälte im NSU-Prozess, Akteurinnen und Akteure aus der Zivilgesellschaft und Bürger aus Nürnberg, Erlangen und München einen Untersuchungsausschuss.
Dafür haben sie eine entsprechende Petition gestartet, die rund 2.300 Menschen unterzeichneten. Im Mai des vergangenen Jahres hat sich auch der Nürnberger und Münchner Stadtrat mit einer Resolution dieser Forderung angeschlossen.
Änderungsantrag im Vorfeld
Vor allem die Grünen fertigten in den vergangenen Wochen mit 238 Punkten einen umfangreichen Fragenkatalog an. Mittlerweile liegt allerdings ein Änderungsantrag von anderen Fraktionen vor. 41 Fragen seien gestrichen oder teilweise umformuliert worden, heißt es von damit betrauten Personen. Auf den nun vorliegenden Fragenkatalog aber habe man sich verständigen können. Vor allem Fragen zu den Aktivitäten von V-Leuten des Verfassungsschutzes waren im Vorfeld strittig.
Einig aber waren sich alle Fraktionen von CSU, Grünen, FDP, SPD und Freien Wählern aber über die Notwendigkeit eines zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Am Donnerstag befasst sich zunächst der Verfassungsausschuss mit der Materie. Um 14.30 Uhr ist die Behandlung im Plenum geplant, am späten Nachmittag soll die konstituierende Sitzung des Untersuchungsausschusses stattfinden.
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NSU-Bombenattentat von 1999 ist ein Schwerpunkt
Offene Fragen im NSU-Komplex gibt es derweil genug. In Nürnberg verübte die Terrorgruppe bereits 1999 ihren ersten rassistisch motivierten Sprengstoffanschlag in einer Bar. Und schon zum ersten Bombenanschlag wurde bislang wenig bis nichts aufgeklärt. So war der Anschlag auf die Kneipe des damals 18-jährigen Mehmet O. bislang weder Thema im NSU-Prozess noch im ersten Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags, weil die Tat erst nach dem Ende des Gremiums bekannt wurde.
In einer Zeugenvernehmung erkannte Mehmet O. 2013 eine damalige Neonazi-Aktivistin aus Sachsen auf einer Bilderstrecke, die ihm BKA-Beamten vorlegten. Die Frau war wohl die engste Freundin von NSU-Terroristin Beate Zschäpe im Untergrund. War diese Freundin von Zschäpe eine Helferin für den ersten Bombenanschlag? Dieser Spur ist bislang nach Ansicht der Parlamentarier nur ungenügend nachgegangen worden.
NSU in Bayern: Ausspähnotizen und Todeslisten
Nach dem Auffliegen der Terrorzelle 2011 fanden Ermittler in der konspirativen Wohnung des NSU-Kerntrios in Zwickau eine gewaltige Datensammlung zu rund 10.000 Anschriften in ganz Deutschland. Darunter auch viele Adressen in Bayern. Ermittler sehen diese teils als "Todeslisten". So steht etwa eine Nürnberger Asylunterkunft auf der Liste, versehen mit dem Zusatz: "Viele Häuser, sehr weit draußen, großes Gelände".
Da die Datensammlung so umfangreich ist, wird vermutet, dass es vor Ort Unterstützerinnen und Unterstützer gegeben haben muss, die Objekte und Personen recherchierten und observierten. Die Frage der lokalen Unterstützer vor allem in Nürnberg und München ist ein elementarer Bestandteil des zweiten Untersuchungsausschusses.
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Hoffnung von Hinterbliebenen und dem ersten NSU-Opfer
Die Hinterbliebenen sehen der Einsetzung der neuen Untersuchung nun mit gemischten Gefühlen entgegen. "Ich trage eher nicht mehr viel Hoffnung in mir, habe aufgrund dessen die Erwartungen gen Null zurückgeschraubt", sagte Yvonne Boulgarides dem Bayerischen Rundfunk. Ihr Mann, Theodoros Boulgarides, wurde im Juni 2005 in München von den Terroristen erschossen.
Mehmet O., der den ersten Bombenanschlag des NSU 1999 in Nürnberg überlebte, wünscht sich: "dass endlich mal alles aufgeklärt wird, wenn der zweite Untersuchungsausschuss beginnt. Es gibt so viele offene Fragen und so wenig Antworten".
Den insgesamt elf Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Untersuchungsausschuss steht in den kommenden Monaten eine große Aufgabe bevor. "Wir hoffen, dass wir mit dem Ausschuss zur weiteren Aufklärung beitragen können", teilte der Abgeordnete Cemal Bozoğlu schon im Vorfeld mit. Die Hinterbliebenen hoffen es auch.
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