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Auch als Vier-Tage-Woche-bekannt: 35 Stunden Wochenarbeitszeit

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35-Stunden-Woche: Zukunftsmodell oder Wohlstandsrisiko?

Weniger arbeiten fürs gleiche Geld – klingt aus Arbeitnehmersicht gut. Auch Unternehmen können etwas davon haben, allerdings nicht in allen Fällen. Und wie sieht es gesamtwirtschaftlich aus? Arbeitsforscher erläutern das Pro und Kontra.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

In der westdeutschen Metallindustrie gilt die 35-Stunden-Woche bei gleichbleibendem Lohn bereits seit 1996. Bei der Deutschen Bahn soll sie nach der Einigung mit der Lokführergewerkschaft GDL jetzt schrittweise als Wahlmöglichkeit bis 2029 eingeführt werden.

Angesichts des Fachkräftemangels fordern Arbeitgeber dagegen teilweise eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche. Auch Arbeitsforscher sind sich nicht einig: Ist die 35-Stunden-Woche ein Modell für die Zukunft oder ein Risiko für den Wohlstand?

Was für eine kürzere Arbeitszeit spricht

Der Arbeitssoziologe Eike Windscheid-Profeta von der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung verweist auf positive Effekte wie geringere Fehlzeiten und höhere Motivation von Beschäftigten. Die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie habe sich Analysen zufolge zudem positiv auf die Produktivität ausgewirkt. Weder Pilotprojekte "noch die Erfahrungen mit Arbeitszeitverkürzung in Deutschland in der Vergangenheit weisen darauf hin, dass hiermit Wohlstandsverluste einhergehen", fasst Windscheid-Profeta zusammen.

Der Arbeitszeitexperte Guido Zander sagte in Interviews, verkürzte Arbeitszeitmodelle wie die Vier-Tage-Woche könnten in einzelnen Unternehmen und Branchen durchaus funktionieren. Allerdings laufe eine Maschine nicht automatisch schneller, nur weil jemand weniger arbeite und deshalb vielleicht motivierter sei. "Es kommt darauf an, was ich an Gegenrechnungseffekten habe: Wenn ich eine sehr hohe Krankenquote habe und berechtigt glauben kann, dass die runtergeht, wenn ich eine Arbeitszeitverkürzung mache, dann ist das natürlich ein Gegenfinanzierungselement", sagte Zander im Januar im SWR.

Was gegen weniger Wochenarbeitszeit spricht

Für kollektive Arbeitszeitverkürzungen sieht Oliver Stettes, Arbeitsweltexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), keine Spielräume: "Um zum Beispiel eine Verkürzung von 40 auf 32 Wochenstunden wirtschaftlich tragfähig zu gestalten, benötigen wir eigentlich einen Produktivitätszuwachs von 25 Prozent pro Arbeitsstunde". Der habe in der Gesamtwirtschaft im vergangenen Jahrzehnt aber jährlich bei durchschnittlich weniger als einem Prozent gelegen.

Hinzu kommt: "Wir werden durch den Renteneintritt der Babyboomer in den Ruhestand in erheblichem Ausmaß Arbeitsstunden verlieren, weil die Anzahl der nachrückenden Jahrgänge schlicht kleiner ist", sagt Stettes. Eine kollektive Arbeitszeitverkürzung würde diesen Rückgang noch verstärken. Zugleich kämen auf die Sozialversicherungen und auf die öffentlichen Haushalte höhere Finanzierungsfordeurngen zu, argumentiert der IW-Forscher: "Kollektive Arbeitszeitverkürzungen würden uns schlicht ärmer machen."

Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut in München sagt, wenn einfach nur die Arbeitszeit pro Kopf verringert werde, koste dies im Endeffekt Wachstum. Deshalb sei entscheidend, dass eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit anderen Veränderungen einhergehe: etwa mit betrieblichen Maßnahmen, um die Produktivität pro Arbeitsstunde zu erhöhen.

Stefan Kooths vom Kieler IfW ergänzt, die derzeit aktive Generation könne sich keinen "ganz schlanken Fuß" machen, wenn es um das Abwägen zwischen Freizeit und Arbeit gehe – weil sonst die Abgabenquote immer weiter steigen müsse. Der Staat könne aber Anreize schaffen, dass sich Mehrarbeit stärker lohne. Damit könne er der Bewegung zu immer geringeren Arbeitszeiten entgegenwirken.

Forderung nach längeren Arbeitszeiten

Der Maschinenbauverband VDMA forderte angesichts des Fachkräftemangels unlängst eine schnelle Kurskorrektur. Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte der Deutschen Presse-Agentur zu Beginn des Jahres gesagt: "Eine Vier-Tage-Woche und dann noch bei vollem Lohnausgleich ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen in einer Zeit des massiven Fachkräftemangels. Wir spüren alle, dass wir die Aufgaben nicht mehr bewältigt bekommen."

Arbeitszeitexperte Zander wirbt grundsätzlich für Vielfalt der Arbeitszeitmodelle – in beide Richtungen: "Wir sind in einer so komplexen Umwelt, dass zunehmend diese einfachen 'One Size Fits All'-Modelle nicht mehr passen."

  • Zum Artikel: Warum junge Menschen anders als ihre Eltern arbeiten wollen

Mit Informationen von dpa.

Im Video: Wie hat sich die Vier-Tage-Woche bisher bewährt?

Ein Beispiel aus Schwaben: Bei der Firma Mörz herrscht bereits die Vier-Tage-Woche. Und, wie hat es sich bisher bewährt?
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Ein Beispiel aus Schwaben: Bei der Firma Mörz herrscht bereits die Vier-Tage-Woche. Und, wie hat es sich bisher bewährt?

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