Die an Auseinandersetzungen nicht arme Regierungszeit von SPD, Grünen und FDP ging mit persönlichen Attacken zu Ende. "Zu oft hat er kleinkariert, parteipolitisch taktiert, zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen", sagte Olaf Scholz über Finanzminister Christian Lindner. Der wiederum attestierte dem Kanzler, dass er "nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen".
"Es hat mich ein bisschen gewundert, dass der Kanzler so persönlich wurde", sagt Politikwissenschaftler Hans Vorländer im BR24-Interview. "Er hätte das ja auch etwas sachlicher auf die unterschiedlichen Vorstellungen beschränken können", so der Professor von der TU Dresden.
Ampel: Gezanke ohne Ende?
Für viele bleibt die Ampel hauptsächlich wegen internen Streits in Erinnerung, und so scheint auch die Art und Weise, wie die Koalition zerbrach, passend. Aber war die Zeit so von Dauerstreit geprägt, wie es häufig bei den meisten ankam?
Eine große Rolle dabei spielen die sozialen Medien. Die Ergebnisse von Verhandlungen, Koalitionsausschüssen gelangen "mittlerweile viel unmittelbarer an die Öffentlichkeit", erklärt der Kommunikationswissenschaftler Simon Lübke. "Bürgerinnen und Bürger bekommen viel schneller Informationen über unheimlich viele Kanäle, die diese Ereignisse aufgreifen." Das trage dazu bei, dass Streit viel intensiver wahrgenommen werde, so Lübke vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München.
Waren auch andere Parteien zu schrill?
Aber es waren nicht nur die Ampelparteien untereinander, die sich die vergangenen drei Jahre attackierten. CDU-Chef Merz erklärte die Grünen einst zum "Hauptgegner", CSU-Chef Markus Söder arbeitet sich ebenfalls immer wieder an ihnen ab und Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger nannte die Grünen indirekt "Extremisten".
Für Politikwissenschaftler Vorländer war das "sicherlich harte Rhetorik". Aber er gibt auch zu bedenken: "Die Opposition neigt grundsätzlich zur rhetorischen Zuspitzung, um gehört zu werden und um die Regierung in die Enge zu treiben." Er verweist auf die westdeutsche Geschichte: Die Debatten in den 60er- und 70er-Jahren verliefen "keineswegs immer glimpflich".
Vorländer blickt aber auch auf die anstehenden Wahlen: "Man muss als Opposition aufpassen, potenzielle Koalitionspartner nicht durch polemische Angriffe zu vergraulen." Der Politikwissenschaftler rechnet damit, dass sich Sondierungsgespräche hinziehen werden, dass es Entschuldigungen geben wird, aber auch, dass "sich aus staatspolitischer Verantwortung keiner solchen Gesprächen verweigern" wird.
Politikverdrossenheit steigt
Ein Prozess, den Ampel und Opposition nicht eingeleitet, aber womöglich befeuert haben dürften, ist die Zunahme der Politikverdrossenheit in Deutschland. "Wir sehen generell, dass Menschen den Politikerinnen und Politikern wie aber auch den politischen Parteien oder den Parlamenten zunehmend weniger Vertrauen gegenüber bringen", sagt Hans Vorländer. "In einer solch konfliktgeladenen politischen Situation verstärkt sich diese Skepsis zusätzlich."
Die Bevölkerung habe die Ampel zum Schluss nur noch als "Koalition des Abbruchs und der wechselseitigen Missbilligung von Politikvorschlägen" gesehen. Die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung habe "fast schon historische Ausmaße angenommen". Und von dieser Unzufriedenheit profitierten besonders die Populisten. Laut dem Deutschlandtrend vom Juli machen sich zwei Drittel der Deutschen Sorgen um die Demokratie.
Die Rolle der Medien
Wer ist dafür verantwortlich, dass so viele Streitereien im Fokus standen? Vorländer sieht eine Mitschuld bei den Medien: "Die Blase von Politik und Medien konzentriert sich häufig auf personalisierte Konflikte und weniger auf die politischen Inhalte." Der Politikwissenschaftler rät den Medien deshalb, "sich intensiver mit den politischen Konzepten und unterschiedlichen Ansätzen auseinanderzusetzen."
"Negativität erhöht die Wahrscheinlichkeit von Berichterstattung, das ist nichts Neues", sagt Simon Lübke von der LMU im Gespräch mit BR24. "Aber ich würde den Journalismus insofern ein bisschen freisprechen, da es der Ampelkoalition nicht gelungen ist, die eigene Politik besser zu verkaufen." Dass der Streit so präsent war, liege in erster Linie daran, wie sich die Regierungsparteien präsentiert hätten.
Lübke betont aber auch, dass Medien mehr auf "konstruktiven Journalismus" setzen könnten, also dass zur Berichterstattung über Konflikte und Kontroversen auch immer Lösungsvorschläge mitangeboten werden.
Was kann getan werden?
Von der Politik wünscht sich Politikwissenschaftler Vorländer, dass sie "sich sachlich mit den unterschiedlichen Ideen, Konzepten und den Gestaltungsoptionen auseinandersetzt". Angesichts der großen Probleme, vor denen Deutschland stehe, sei das sicherlich der bessere Weg.
Und wie lassen sich die negativen Folgen der sozialen Medien abmildern? Besonders bei jungen Menschen bestehe das "Risiko, dass sie auf lange Sicht Vertrauen und Glauben verlieren", so Kommunikationswissenschaftler Simon Lübke. Die Politik könne die Logiken, dass beispielsweise Polarisierung durch die Algorithmen belohnt wird, zwar kaum lösen, aber: "Man kann versuchen, dem positive, optimistischere Botschaften entgegenzusetzen."
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