Das nukleare Gleichgewicht zwischen Washington und Moskau hat die beiden Supermächte nach Expertenmeinung bislang vom direkten Krieg abgehalten. Und auch Deutschland konnte sich jahrzehntelang sicher fühlen, weil die USA stets betonten, mit ihrem Arsenal auch Europa zu schützen. Doch unter Trump ist dieser Schutz nicht mehr gewiss – mit fatalen Folgen. Thomas Jäger, Politik-Professor an der Universität Köln, sieht ohne die USA die "reale Gefahr der Erpressung" durch Russlands militärische Macht.
Deutsche Atomraketen: Theoretisch machbar
Deshalb wird in Deutschland über eigene Atomwaffen diskutiert. "Wir sind mittlerweile in der Situation, wo man es nicht mehr pauschal ausschließen kann und sollte", sagt Fabian Hoffmann, Atomwaffenexperte von der Uni Oslo im BR24-Interview für "Possoch klärt" (Video oben, Link unten).
Theoretisch könne Deutschland in relativ kurzer Zeit eigene Atomraketen entwickeln. Die Mittel und das Know-How habe man laut Hoffmann bereits im Land. Deutschland verfüge über hochangereichertes Uran für Forschungszwecke, das für bis zu 15 nukleare Gefechtsköpfe reichen könne. Im Vergleich zu den hohen Kosten für konventionelle Panzer und Flugzeuge würden diese Atomraketen weitaus günstiger herzustellen sein.
Die Risiken und Kosten atomarer Aufrüstung
Doch heimlich könne man das nicht tun, die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) würde einen Umbau der nuklearen Infrastruktur sofort registrieren. Und der politische Preis wäre immens: Deutschland hat sich im Zwei-plus-Vier-Vertrag und Atomwaffensperrvertrag dazu verpflichtet, niemals Atomraketen zu besitzen. Dagegen zu verstoßen wäre ein fatales Signal an die Weltgemeinschaft – in der Deutschland eigentlich Vorbild sein möchte.
Die Folgen wären wahrscheinlich wirtschaftliche oder politische Sanktionen. Auch besteht laut Hoffmann das Risiko eines präventiven russischen Angriffs: "Russland würde eventuell nicht darauf warten, bis Deutschland eine gesicherte nukleare Zweitschlagsfähigkeit hätte", sagt der Experte.
Nuklearer Schutzschirm: Kann Frankreich einspringen?
Insofern scheint eine andere Lösung naheliegender: Deutschlands Nachbar Frankreich besitzt bereits Atomwaffen – könnte Paris die USA ersetzen und seinen nuklearen Schirm auf Deutschland ausweiten? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bereits signalisiert, für Vorschläge in diese Richtung grundsätzlich offen zu sein.
Im Video: Braucht Deutschland eigene Atomwaffen? Possoch klärt!
Allerdings ist das französische Arsenal mit wenigen hundert Sprengköpfen deutlich kleiner als das der USA mit rund 5.000. Frankreich fehlt im Vergleich auch die Bandbreite an unterschiedlich starken nuklearen Sprengköpfen, die es den USA erlauben, je nach Szenario zu reagieren – was die Abschreckung der USA insgesamt effektiver und glaubwürdiger macht.
Abschreckung bedeutet nicht automatisch glaubwürdige Abschreckung
Denn für Experte Fabian Hoffmann ist eine Sache entscheidend: Der Besitz von Nuklearwaffen alleine bedeute noch keine glaubwürdige Abschreckung. Dass Atomwaffen extrem gefährlich sind, das wüssten alle. "Das eigentliche Problem bei der nuklearen Abschreckung ist es, dem Gegner zu vermitteln, dass man tatsächlich bereit ist, diese Gefechtsköpfe auch einzusetzen", sagt Hoffmann.
Es stelle sich die Frage: Würde Frankreich wirklich andere Länder mit Nuklearwaffen verteidigen, in dem Bewusstsein, dass darauf mit hoher Wahrscheinlichkeit ein nuklearer Gegenschlag auf Paris folgt? Für Deutschland sei das eher noch denkbar, da eine existenzielle Bedrohung für Deutschland wahrscheinlich auch eine existenzielle Bedrohung für Frankreich bedeute. Östliche EU-Länder und die Nato-Außengrenze im Baltikum könnten dagegen kaum glaubwürdig durch französische Atomraketen geschützt werden.
Auch stelle sich die Frage, welche Folgen ein möglicher Regierungswechsel in Frankreich für das nukleare Schutzversprechen hätte. Macrons Herausforderin Marine Le Pen hat bereits angekündigt, Frankreichs Atomwaffen nicht teilen zu wollen.
Atomwaffen-Programm für Europa?
Wäre ein gemeinsames europäisches Atomwaffen-Programm die Lösung? Sicherheitsexperte Nico Lange ist da skeptisch. Die Verantwortung, Zuständigkeit und der Entscheidungsablauf im Krisenfall seien kaum sinnvoll zu koordinieren. "Die Idee einer europäischen Atombombe führt ähnlich in die Irre wie die Idee einer europäischen Armee", sagt Lange. Beides klinge zwar gut, aber sei nicht umsetzbar und am Ende nicht wünschenswert: Militärische Einsätze seien nationale Fragen, über die national entschieden werden müsse.
Lange und Hoffmann weisen darauf hin, dass eine Nuklearmacht wie Russland auch ohne eigene Atomwaffen abgeschreckt werden kann. Deswegen sei es vor allem wichtig, dass die EU-Staaten schnell und effektiv konventionell aufrüsten.
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