Nach gut zwei Jahrzehnten ohne größere Sorgen um den Frieden sieht eine deutliche Mehrheit (67 Prozent) aktuell Frieden und Sicherheit in Europa sehr stark oder stark bedroht. Zugleich hat sich die Zahl der Unbesorgten in den vergangenen fünf Jahren halbiert: 2019 waren es noch 60 Prozent. Jetzt, gut zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine, sind es nur noch 30 Prozent. Dementsprechend große Zustimmung finden die internationalen Bündnisse, in die Deutschland eingebettet ist. Die Nato, die an diesem Donnerstag ihren 75. Geburtstag feiert, erachten 82 Prozent der Menschen als wichtig, um den Frieden in Europa zu sichern. Das hat eine repräsentative Umfrage von infratest dimap für den ARD-DeutschlandTrend von Dienstag bis Mittwoch dieser Woche ergeben.
Seit 15 Jahren wird im ARD-Deutschlandtrend nach der Zustimmung zur Nato gefragt. In all den Jahren lag sie immer oberhalb der 80-Prozent-Marke – und sie ist breit in der Gesellschaft verankert, sowohl im Westen als auch im Osten, über alle Parteianhänger, Alters- und Einkommensgruppen hinweg. Für 69 Prozent der Befragten ist es im europäischen Interesse, ein gemeinsames Bündnis mit den USA zu bewahren. Aktuell halten lediglich neun Prozent die Nato für überflüssig und plädieren dafür, sie aufzulösen. Am skeptischsten gegenüber dem Militärbündnis äußern sich die Parteianhänger des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) und der AfD: Jeweils 23 Prozent dieser Anhängerschaft wollen eine Auflösung der Nato, die für überflüssig erachtet wird.
EU sorgt für Sicherheit
Auch der Europäischen Union schreibt die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einen Anteil an der Friedenssicherung zu: Durch die EU leben wir in Europa sicherer, meinen 69 Prozent. Die Anhänger der Grünen (93 Prozent), SPD (87) und Union (78) sehen die EU dabei am ehesten als Friedensgarant, während Anhänger von AfD (42) und BSW (41) die Rolle der EU zurückhaltender bewerten.
Braucht es eine EU-Armee?
Sollten die EU-Staaten auch in der Verteidigungspolitik enger zusammenarbeiten, gar eine gemeinsame Armee stellen? Diese Frage wird schon seit einigen Jahren in Brüssel und den Mitgliedsstaaten diskutiert. Durch den Krieg in der Ukraine hat sie eine neue Dringlichkeit bekommen. Weiter befeuert wird sie durch die Aussicht auf eine mögliche weitere Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident. Dieser hatte im Vorwahlkampf behauptet, in einem Gespräch angekündigt zu haben, diejenigen Nato-Staaten vor einem russischen Angriff nicht zu schützen, die weniger als die vereinbarten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben. Für eine gemeinsame Armee der EU-Staaten sprechen sich in der aktuellen Situation 59 Prozent aus – ein Plus von 6 Prozentpunkten im Vergleich zu Juni 2023, als auch eine mögliche Wiederwahl Trumps noch in weiterer Ferne war.
EU-Mitgliedschaft: positiveres Bild als 2023, negativer als 2019
Der Blick der Deutschen auf die Europäische Union insgesamt ist differenzierter: 35 Prozent sehen aktuell eher Vorteile in der Mitgliedschaft (+9 im Vergleich zu Juni 2023), 23 Prozent sehen eher Nachteile (-4) und 36 Prozent meinen, dass sich Vor- und Nachteile die Waage halten (-5). Damit blicken die Deutschen aktuell zwar positiver auf eine Mitgliedschaft in der EU als noch im Juni 2023, aber deutlich kritischer als etwa im Vorfeld der Europawahl 2019. Damals sah die Hälfte der Befragten eher Vorteile in einer EU-Mitgliedschaft Deutschlands und nur 12 Prozent sahen eher Nachteile. In dieser Zeit machte der damalige US-Präsident beinahe täglich Schlagzeilen und trug zu Verunsicherung auch in Deutschland bei; die Briten standen kurz vor ihrem Austritt aus der EU – eine Phase, in der die Deutschen eine vergleichsweise stabile EU offenbar besonders schätzten. Und auch die konjunkturelle Lage war vor fünf Jahren in Deutschland besser als heute, was sich ebenfalls im Stimmungsbild niederschlägt. Im Mai 2019 waren 78 Prozent der Deutschen der Meinung, die EU-Mitgliedschaft sorge dafür, dass es uns wirtschaftlich gut geht. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend geben das immerhin noch 60 Prozent an.
Wichtigste Probleme: Flucht, Krieg in der Ukraine, Wirtschaft
In der Problemwahrnehmung der Deutschen spielen internationale Konflikte weiter eine große Rolle. Auf die Frage nach den wichtigsten politischen Problemen, um die sich die deutsche Politik vordringlich kümmern müsse, wird der Ukraine-Krieg an zweiter Stelle genannt – wieder deutlich häufiger als bei der bislang letzten Abfrage im September 2023. Ganz oben aber steht der Themenbereich Flucht und Migration – für jeden Vierten eines der wichtigsten Probleme. Die Wirtschaft – im September noch an erster Stelle genannt – hat in der Problemwahrnehmung der Deutschen etwas an Bedeutung verloren und rangiert an dritter Stelle. Dahinter ist auch das Thema soziale Ungerechtigkeit den Deutschen wichtig, der Bereich Klimaschutz ist in der Prioritätenliste auf Platz fünf abgerutscht.
Rente: Frauen, Ostdeutsche und Jüngere fühlen sich schlechter abgesichert
Bei der Absicherung für das Alter zeigen sich große Unterschiede in der Bevölkerung. Je jünger die Befragten, desto größer die Sorgen: Bei den 18- bis 34-Jährigen fühlen sich drei Viertel (74 Prozent) nicht ausreichend abgesichert, bei den Über-65-Jährigen hingegen halten sich zwei Drittel (67 Prozent) für ausreichend abgesichert. Und: Während sich jeder zweite Mann (50 Prozent) als ausreichend abgesichert für das Rentenalter bezeichnet, sagen das unter den Frauen nur 38 Prozent über sich. Im Westen sehen sich 46 Prozent ausreichend abgesichert, während dies im Osten nur 36 Prozent von sich sagen.
Zur Finanzierung der gesetzlichen Rente in der Zukunft werden aktuell verschiedene Maßnahmen diskutiert. Jeder Zweite (50 Prozent) würde es unterstützen, wenn staatliche Gelder für die Finanzierung der Rente an den Kapitalmärkten angelegt werden, wie es ein Konzept der Bundesregierung vorsieht. 30 Prozent lehnen das ab. Eine schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters bei steigender Lebenserwartung, wie es unter anderem die CDU zuletzt in die Diskussion gebracht hatte, wird hingegen mehrheitlich abgelehnt (69 Prozent).
Union in der Sonntagsfrage klar vor der AfD
Wenn schon am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die SPD aktuell auf 15 Prozent (-1 im Vergleich zu März). Die Union klettert gegenüber dem Vormonat um einen Prozentpunkt und wäre mit 30 Prozent weiterhin klar stärkste Kraft. Die Grünen verbessern sich um einen Punkt auf 15 Prozent, die FDP käme auf 4 Prozent (-1) und flöge damit aus dem Bundestag. Die AfD verschlechtert sich leicht auf 18 Prozent (-1), wäre damit aber weiterhin zweitstärkste Partei. Die Linke würde unverändert auf 3 Prozent kommen und wäre damit nicht mehr im Bundestag vertreten. Die neu gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht käme derzeit auf 5 Prozent (-1). Alle übrigen Parteien kämen zusammen derzeit auf 10 Prozent, darunter auch die Freien Wähler mit 3 Prozent.
Hinweis: Uns ist bei der Grafik zur Sonntagsfrage leider ein Zahlenfehler unterlaufen. Wir haben das korrigiert.
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