Es ist eine Zeitreise zurück ins Jahr 2017, auf die uns ein junger Mann mitnimmt. Weil er anonym bleiben möchte, nennen wir ihn Martin. Martin ist Gymnasiallehrer. Er unterrichtet an einer Schule in Südbayern. Er arbeitet in seinem "Traumberuf". Lehrer zu werden, war lange sein Ziel. Deshalb ließ er sich auch nie davon abbringen. Auch nicht, als es zu Beginn seines Referendariates vor sechs Jahren hieß, er und sein Jahrgang hätten später keine Chance auf eine Stelle.
"Uns wurde eingetrichtert, an Alternativen zu denken, um später nicht arbeitslos dazustehen", sagt Martin. Tatsächlich habe es im Jahr 2019 düster ausgesehen mit Planstellen für seinen Jahrgang, erinnert er sich. Seine Fächerkombination? Damals war sie zumindest offiziell nicht gefragt.
180 Grad-Wende binnen vier Jahren?
Heute – nur vier Jahre nach Martins Referendariat – ist die Lage eine andere. Wer die entsprechende Ausbildung und das zweite Staatsexamen vorweisen kann, erhält ein Angebot auf eine Lebenszeitverbeamtung. Das verspricht Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) Bewerbern. Voraussetzung ist mindestens die Note 3,5. Dabei ist das nur ein Weg hinein in den Lehrerberuf. Im neuen Schuljahr kommt auch "Quereinsteigern" in Bayern eine wichtige Funktion zu.
Rund 600 von ihnen helfen nach Angaben des Kultusministeriums, den Unterrichtsbetrieb aufrechtzuerhalten. Es handelt sich um Universitätsabsolventen mit einem einschlägigen Studienfach, die durch eine begleitende Ausbildung für das Lehramt qualifiziert werden.
Rächen sich die Fehler der Vergangenheit?
In den Augen des Bayerischen Elternverbandes rächen sich die Fehler der Vergangenheit. Über Jahre hinweg habe der Freistaat "Lehrkräfte weggeschickt", kritisiert die stellvertretende Verbandsvorsitzende Henrike Paede.
Damit ist sie nicht allein. Beobachter bemängeln, dass in den "fetten Jahren" keine ausreichende Reserve aufgebaut wurde. Nun müsse der Berufseinstieg über kreative Notlösungen wie eine "Regionalprämie" kurzfristig attraktiver gemacht werden.
Wo sich der Lehrermangel bemerkbar macht
Laut Kultusminister Piazolo ist die Unterrichtsversorgung im neuen Schuljahr zwar sichergestellt. Den Lehrermangel benennt aber auch er als Problem – als "Herausforderung, die das ganze Jahrzehnt andauern wird".
Wie dünn die Personaldecke ist, zeigt sich nach Angaben des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV) an einigen konkreten Beispielen. Etwa wird an Mittelschulen in Oberfranken die Klassengröße von 30 Schülern überschritten. An einer Aschaffenburger Schule wird der Unterricht in "Werken und Gestalten" gestrichen. Der Stadt München fehlen an den städtischen Realschulen und den beiden früheren Gesamtschulen insgesamt über 80 befristete und unbefristete Lehrkräfte.
- Mehr zum Thema Schulstress gibt es im Podcast: "Immer diese Bayern - Ein Podcast über bayerische Extrawürste"
Die Vorsitzende des BLLV-Kreisverbands Dillingen in Nordschwaben, Patricia Laube, sieht im zunehmenden Wegfall von Arbeitsgemeinschaften und Angeboten wie Schulchören oder ähnlichem eine direkte Folge der Personalknappheit. Dabei sind die nächsten "Risikofaktoren" für den Unterricht bereits absehbar, wenn etwa die herbstliche Grippewelle hereinbricht: Reserven fehlten, so der Bayerische Philologenverband, der vor allem die Gymnasiallehrer vertritt.
Kultusministerium nennt Gründe für die Lage
In den Augen von Beobachtern wiederholt sich an den bayerischen Schulen derzeit eine bekannte Situation: Ein Mangel an Lehrkräften ist per se keine neue Situation.
Im Raum steht nach wie vor die Frage, warum der Bedarf nicht besser im Voraus berechnet werden kann. Kultusminister Piazolo verweist in diesem Zusammenhang auf viele Faktoren, die sich nur bedingt über Jahre hinweg vorhersagen lassen. Dazu zählt er im BR-Interview die steigende Geburtenrate. Parallel dazu gingen viele "Babyboomer" in Rente, sagt Piazolo. Dazu käme eine "erhöhte Teilzeitquote" sowie die hohe Zahl an Geflüchteten, die ebenfalls unterrichtet werden müssen. Der BLLV hat indes immer wieder auf drohende Engpässe hingewiesen. Im vergangenen Jahr errechnete der Verband 4.000 fehlende Lehrkräfte quer über alle Schularten hinweg.
Elternvertreterin Paede bringt als langfristige Lösung des Problems einen "Puffer" ins Gespräch. Sie fordert "zehn Prozent mehr Personal, um zusätzlichen Bedarf etwa bei starker Zuwanderung, bei Krankheitsausfällen oder Schwangerschaften kompensieren zu können". Ihr Wunsch lautet "unerwartetes Mitplanen". Das könne eine Lehre aus der Vergangenheit sein.
Mehr zu diesem Thema hören Sie am 13.09. um 12:17 Uhr in der Sendung Funkstreifzug im Radioprogramm von BR24. Den Funkstreifzug gibt es auch als Podcast. Zum Beispiel in der ARD-Audiothek.
- Zur ARD-Audiothek: Funkstreifzug – Schulbildung auf Kante genäht? Es mangelt an Lehrern
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