Bilder von zerstückelten Babys, Plastik-Embryos oder Plakate mit Sprüchen wie "Abtreibung ist Mord": Seit Jahren gibt es vor der "Pro Familia"-Beratungsstelle in Passau Mahnwachen. Selbsternannte Lebensschützer protestieren auf dem Bürgersteig gegen Schwangerschaftsabbrüche. Denn Schwangere, die in Erwägung ziehen abzutreiben, sind in Deutschland verpflichtet, sich bei einer Beratungsstelle wie Pro Familia über alle Möglichkeiten aufklären zu lassen.
Die Proteste führten dazu, dass sich Mitarbeiterinnen und Frauen, die zur Beratung kommen, eingeschüchtert und bedroht fühlen, sagt Thoralf Fricke, Landesgeschäftsführer von Pro Familia. "Weil sie unter den Augen der Leute hierher müssen." Die Konsequenz: Viele Frauen erscheinen laut Fricke während des Protests nicht zur Beratung – obwohl sie einen Termin haben. Fricke hatte mehrfach versucht, die Mahnwachen zu verhindern. Ohne Erfolg. Das könnte sich jetzt ändern.
Gesetzesänderung: Strafen für Aktionen von Abtreibungsgegnern
Denn: Die sogenannten "Gehsteigbelästigungen" in Passau sind kein Einzelfall – bundesweit kommt es vor Beratungsstellen oder Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, immer wieder zu Aktionen von Abtreibungsgegnern. Zum Teil werden Frauen auf ihrem Weg dorthin bedrängt oder eingeschüchtert. Dagegen will die Regierung jetzt vorgehen und das Gesetz ändern. Das Ziel: Frauen sollen ungehindert in die Praxen oder Beratungsstellen gelangen.
Strafen von bis zu 5.000 Euro möglich
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Schwangere nicht mehr gegen ihren Willen angesprochen oder bedrängt werden dürfen. Auch Plakate oder Flyer mit falschen Behauptungen sollen verboten werden – ebenso Plakate, die darauf abzielen, Schwangere einzuschüchtern, ihnen Schuldgefühle zu machen oder Scham auszulösen. All das soll für einen Umkreis von 100 Metern rund um die Einrichtungen gelten. Wer dagegen verstößt, begeht in Zukunft eine Ordnungswidrigkeit: eine Geldstrafe bis zu 5.000 Euro ist möglich.
💡 Hintergrund zu Schwangerschaftsabbrüchen
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich – allerdings nur, wenn sich Frauen bei einer Beratungsstelle über alle Optionen aufklären lassen. Nach dem Gespräch bekommen die Frauen einen sogenannten "Beratungsschein". Er ist die Voraussetzung, um straffrei eine Schwangerschaft abbrechen zu können.
Bremen wurde selbst aktiv
Bremen gilt in diesem Zusammenhang als Vorreiter: Der Stadtstaat hatte bereits im Mai 2023 präventiv das Gesetz dahingehend geändert. Die Bundesregierung zieht nach: Mit den geplanten Gesetzesänderungen soll damit ein bundesweit einheitlicher Umgang zu "Gehsteigbelästigungen" festgelegt werden.
Bundesfamilienministerin Paus: "Meinungsfreiheit hat Grenzen"
Damit setzt die Ampel-Regierung ein Vorhaben des Koalitionsvertrags um. Das Bundesfamilien- und Justizministerium mussten dabei abwägen: Persönlichkeitsrecht der Schwangeren einerseits, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit Protestierender andererseits.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist zufrieden mit dem Gesetz, das jetzt vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll. Im Interview mit BR24 sagte sie: "Eine schwangere Frau, die möglicherweise auf dem Weg zu einer der schwersten Entscheidungen ihres Lebens ist, darf nicht bedrängt und eingeschüchtert oder mit unwahren Tatsachenbehauptungen konfrontiert werden. Hier hat die Meinungsfreiheit ihre Grenzen."
So sieht es auch die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für Familie. Das Gesetzesvorhaben schaffe es, das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung zu stärken: "Es ist unwürdig und unerträglich, dass schwangere Frauen in schwierigen Situationen belästigt und bedrängt werden."
Kritik aus Bayern: Gesetz zu vage
Auch der Freistaat begrüßt das Vorhaben: Bayerns Familienministerin und Vize-Ministerpräsidentin Ulrike Scharf (CSU) teilt das Ziel, schwangere Frauen in Konfliktsituationen zu schützen, Gehsteigbelästigungen seien nicht zu tolerieren. Aber Scharf kritisiert: "Die geplante Änderung ist zu ungenau und vage: Polizisten können jetzt schon Platzverweise erteilen – der Entwurf hilft nicht weiter und ist nicht umsetzbar." Sie befürchte mehr Aufwand in Form von Bürokratie als echten Nutzen für schwangere Frauen.
Pro Familia: "Frauen nicht unter Druck setzen"
Für Thoralf Fricke von Pro Familia in Passau jedenfalls geht ein Wunsch in Erfüllung, den er bereits vor vier Jahren im BR geäußert hatte: "Von mir aus sollen Menschen, die der Meinung sind, Frauen dürfen nicht über einen Abbruch entscheiden, irgendwo stehen. Aber nicht vor der Beratungsstelle." Fricke hofft, dass sich die Lage in Passau künftig entspannt. Und dass Frauen auf dem Weg in die Beratungsstelle bald nicht mehr eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden.
Im Video: Bericht zum Gesetzentwurf der Bundesregierung
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