Anfang Januar, auf der Glaubenskonferenz "Mehr" in der Augsburger Messe: Eine Frau steht an einem Stand in Halle drei und will mit Menschen ins Gespräch kommen. Keine leichte Aufgabe. Die meisten der rund 11.000 Besucherinnen und Besucher der Konferenz sind gläubige Christen. Die Frau will mit ihnen über ein Thema sprechen, zu dem in der Kirche oft geschwiegen wurde: Sex.
Die Frau ist die Vereinsvorsitzende von "Teenstar Deutschland", einem Sexualpädagogik-Verein mit etwa 350 Mitgliedern. Der gemeinnützige Verein wurde in den 1980ern in den USA von einer österreichischen Gynäkologin und christlichen Missionarin gegründet. Nach eigenen Angaben gibt es Teenstar heute in fast 30 Ländern, in Deutschland wurde der Verein 2007 gegründet. Teenstar bietet Aufklärungskurse für Kinder und Jugendliche auch an Schulen an – das ist nicht unumstritten.
Fragwürdige Darstellung von Homosexualität
Es gab in der Vergangenheit immer wieder Vorwürfe gegen Teenstar: 2018 veröffentlichte das Magazin "Falter" in Österreich interne Schulungsunterlagen des Vereins, in denen Homosexualität als therapierbar und Masturbation als Leiden dargestellt wurden. Das österreichische Bildungsministerium empfahl Schulen daraufhin vorübergehend, nicht mehr mit Teenstar zusammenzuarbeiten. Danach legte Teenstar offenbar aktualisierte Unterlagen vor. In Deutschland bekam die Kontroverse damals kaum Aufmerksamkeit.
Zu den aktuellen Materialien in Deutschland, die auch auf der Messe in Augsburg ausliegen, gehört eine Broschüre mit dem Titel "Be a star of love and life". Sie richtet sich an Jugendliche. In einem Kapitel zu Homosexualität heißt es unter anderem: Wegen der "Anatomie der Geschlechtsorgane" würden Mann und Frau zusammenpassen wie "Schloss und Schlüssel". Zwei Männer oder zwei Frauen würden nicht auf diese Art und Weise zusammenpassen.
Außerdem heißt es: Bei den meisten Jugendlichen würden homoerotische Gefühle von selbst vorbeigehen. Man solle sich deswegen nicht zu viele Gedanken machen. "Vor allem sollte man sich nicht darauf festlegen oder meinen, man sei jetzt schwul oder lesbisch", steht in der Teenstar-Broschüre.
Teenstar befürwortet Coming-out Jugendlicher nicht
Auf der Glaubenskonferenz in Augsburg sagt die Teenstar-Vereinsvorsitzende im BR-Interview, der Verein befürworte ein Coming-out von Jugendlichen nicht. Sie begründet das mit der sexuellen Fluidität in der Jugendzeit, die "wissenschaftlich schon längst erklärt" sei. Am Tag nach dem Interview möchte die Vorsitzende dieses zurückziehen. Ab jetzt antwortet eine Anwaltskanzlei auf weitere Fragen und erklärt unter anderem, dass die Frau nicht namentlich genannt werden möchte.
Der Psychologe Christopher Knoll warnt vor Teenstar. Dessen Inhalte würden Homosexualität bei Jugendlichen "unsichtbar" machen. Knoll berät queere Menschen beim Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum "Sub" in München: "Wir erleben das als Therapeuten täglich in den Erzählungen von Erwachsenen, die sich ihr ganzes Leben mit einer schwierigen Sexualität herumschlagen und die immer in sexualfeindlichem Boden wurzelt."
Bistum Augsburg kooperiert mit Teenstar
BR-Recherchen zeigen, dass das Bistum Augsburg seit über 15 Jahren mit Teenstar zusammenarbeitet. Bis 2019 hat der Verein an zwei kirchlichen Schulen Workshops gehalten. Außerdem durfte der Verein seine Arbeit bei einem Thementag für angehende Religionslehrer zur Prävention sexueller Gewalt vorstellen. Bis heute wirbt das Bischöfliche Jugendamt für außerschulische Teenstar-Workshops, die von der Diözese bezuschusst werden. Auch im Februar finden wieder Wochenend-Kurse für Kinder statt.
Ulrich Hoffmann, Präsident des Familienbunds der Katholiken (FDK) und Ehe- und Familienberater im Bistum Augsburg, kritisiert die Zusammenarbeit. "Unterkomplex", nennt er den sexualpädagogischen Ansatz von Teenstar. Der Verein verbreite mehr Angst und Vorsicht, anstatt Jugendliche zu ermutigen. Hoffmann sagt: "Die Sichtweise von Teenstar auf Sexualität schließt im Grunde Homosexualität aus." Deswegen könne man den Homophobie-Vorwurf gegen Teenstar durchaus gelten lassen.
Das Bistum Augsburg begründet die Zusammenarbeit in einer schriftlichen Antwort: "Wir setzen uns dafür ein, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, sich in einem wertschätzenden Umfeld mit Entwicklungsbedürfnissen persönlich und ergebnisoffen auseinanderzusetzen." Insofern das Bistum diesen Ansatz im Teenstar-Programm verwirklicht sehe, werde es genutzt. Eine Umfrage von BR Recherche unter den anderen sechs bayerischen Bistümern ergibt, dass diese nicht mit Teenstar zusammenarbeiten.
Teenstar-Inhalte verstoßen gegen staatliche Richtlinien
Im Sommer 2022 hat das zuständige Schulamt einen Teenstar-Kurs an einer staatlichen Grundschule im Landkreis Regensburg abgebrochen. Eine Mutter hatte zuvor auf Twitter auf den Kurs aufmerksam gemacht. Das bayerische Kultusministerium begründete den Abbruch mit Verweis auf die Richtlinien zur Familien- und Sexualerziehung: Die Richtlinien sehen an staatlichen Grundschulen keinen Einsatz externer Anbieter beim Thema Sexualpädagogik vor.
Im Jahr 2023 hat Teenstar nach Aussage der Vereinsvorsitzenden insgesamt etwa 30 Kurse an Grundschulen und weiterführenden Schulen in Bayern veranstaltet. 2022 und 2023 sollen es bundesweit circa 70 Kurse für Kinder im Grundschulalter gewesen sein. "Ein Großteil davon außerschulisch", wie Teenstar über eine Kanzlei mitteilen lässt. An welchen Schulen die Kurse stattgefunden haben, teilt Teenstar nicht mit. "Aus Datenschutzgründen", heißt es in dem Anwaltsschreiben.
Eine Anfrage beim bayerischen Kultusministerium ergibt, dass den Schulämtern keine Informationen über Teenstar-Kurse vorliegen. Weiter heißt es in der Antwort des Ministeriums, die Passagen über Homosexualität in der Teenstar-Broschüre würden den verbindlichen Richtlinien zur Familien- und Sexualerziehung für staatliche Schulen widersprechen.
Der Teenstar-Anwalt dagegen betont: Eine Prüfung durch das Kultusministerium "würde ergeben, dass die Kursinhalte völlig im Einklang mit den Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung stehen".
Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband: Brauchen klare Ansage
Im Landtag sorgte der Abbruch des Grundschulkurses bei Regensburg dafür, dass Oppositionsabgeordnete auf Teenstar aufmerksam wurden. Auf schriftliche Anfragen von FDP und Grünen teilte die Staatsregierung damals mit, weder Kenntnis von dem Verein, noch von der Kontroverse in Österreich um Homophobie-Vorwürfe zu haben. Die Grünen hatten daraufhin eine Whitelist vorgeschlagen, also eine Liste mit Positivbeispielen externer Anbieter von Sexualpädagogik. AfD, Freie Wähler und CSU lehnten den Antrag im Bildungsausschuss des Landtags ab.
Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, fordert Transparenz und genaues Hinschauen bei externen Sexualpädagogik-Anbietern: "Wir können nicht irgendjemanden, von dem wir nicht wissen, welche Haltung er verfolgt, welches Material er verwendet, in die Schulen lassen." Im Fall von Teenstar sagt Fleischmann: "Wir brauchen eine klare Ansage unseres Dienstherrn. Wir können viel selbst lösen – aber das bitte nicht."
Das Kultusministerium teilt auf BR-Anfrage mit, es werde auch in Zukunft beim Thema Sexualpädagogik auf die Einhaltung der staatlichen Richtlinien achten und gegebenenfalls intervenieren.
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