Christine Lambrecht hat gerade den sechsten Monat ihrer Amtszeit erreicht, da haben manche in Berlin ihr Urteil schon gefällt: "Die Null-Bock-Ministerin" lautet eine "Spiegel"-Schlagzeile im Mai vergangenen Jahres. Ein Etikett, das an der damaligen Verteidigungsministerin kleben bleibt – bis zu ihrem Rücktritt.
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Vorgängerin Lambrecht mit schlechten Umfragewerten
Lambrechts Nachfolger bemüht sich von Anfang an, keinen Zweifel an seiner Motivation aufkommen zu lassen. "Demut und Respekt vor einer so gewaltigen Aufgabe" empfinde er, sagt Boris Pistorius nach seiner Ernennung im Januar. Das Verteidigungsministerium sei schon in Friedenszeiten eine große Herausforderung – und in Kriegszeiten erst recht. Deshalb werde er sich "vom ersten Tag an mit 150 Prozent in diese Aufgabe reinstürzen".
Auch wenn er es nicht ausspricht, ist offensichtlich: Pistorius will es anders machen als seine glücklose Vorgängerin. Lambrecht schien zeitweise mehr damit beschäftigt, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, als die Bundeswehr zu modernisieren. Aus Sicht von Kritikern vermittelte die SPD-Politikerin bis zuletzt den Eindruck, mit ihrem Amt zu hadern. Die Folge: Zum Jahresauftakt gaben im ARD-Deutschlandtrend 70 Prozent der Befragten an, unzufrieden mit der damaligen Chefin des Wehrressorts zu sein.
Pistorius auf Platz eins der Beliebtheitsliste
Ganz anders die Umfragewerte ihres Parteifreunds Pistorius: Mitte Februar schafft er es in einer ZDF-Umfrage aus dem Stand auf Platz eins der Beliebtheitsliste. Eine große Zahl von Menschen traut ihm offenbar zu, die Zeitenwende entschlossen anzugehen. Und natürlich bescheinigt auch Olaf Scholz dem 62-Jährigen die nötige Kraft dafür.
Allerdings wird nach der Personalentscheidung in Berlin zunächst darüber diskutiert, ob Pistorius wirklich die erste Wahl für den Kanzler war. In der Opposition reagieren manche zurückhaltend auf den Neuen – andere wie Johann Wadephul äußern sich eindeutig skeptisch. Der CDU-Abgeordnete nennt Pistorius eine "B-Lösung" und kritisiert, dass der neue Minister keine Verteidigungsexpertise habe.
Pistorius kommt aus Kommunal- und Landespolitik
Tatsächlich hat die äußere Sicherheit bisher nicht zu Pistorius' Schwerpunkten gehört. Nach sechseinhalb Jahren als Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück wird er 2013 niedersächsischer Innenminister. Zehn Jahre lang ist er in Hannover für innere Sicherheit zuständig.
Die Bundeswehr kennt der SPD-Politiker allerdings durchaus von innen: Als junger Mann leistet er Wehrdienst. Das dürfte ihm im neuen Amt nützen, viel Zeit für Einarbeitung bleibt Pistorius jedenfalls nicht: Nur Stunden nach seiner Vereidigung empfängt er den US-amerikanischen Verteidigungsminister in Berlin.
Erste Schritte auf internationalem Parkett
Am Tag darauf geht es nach Ramstein in Rheinland-Pfalz, zum Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe. Es sind Pistorius' erste Schritte auf internationalem Parkett. Doch er wirkt selbstsicher, auch wenn er inhaltlich in Ramstein nicht viel zu verkünden hat. Das ändert sich ein paar Tage später, als bekannt wird, dass Deutschland der Ukraine nun doch Kampfpanzer liefert. Eine so weitreichende Entscheidung wird im Kanzleramt getroffen, nicht im Verteidigungsministerium - daran ändert der Personalwechsel im Bendlerblock nichts. Wie Lambrecht gilt auch Pistorius als äußerst loyal. Und so vertritt er den Panzerbeschluss von Scholz ohne Wenn und Aber.
Wichtig ist dem neuen Minister aber auch, die Truppe zu überzeugen. Also fährt er dorthin, wo die Leopard-2-Panzer herkommen sollen – und in Zukunft fehlen werden: in eine Kaserne im nordrhein-westfälischen Augustdorf. Dort spricht er mit Soldatinnen und Soldaten. "Es blutet ihnen natürlich das Herz, dass diese Panzer jetzt abgegeben werden müssen", sagt der Minister. Doch gehen die Bundeswehrkräfte nach seinen Worten professionell mit der Situation um.
Lob von Grünen und CSU
Pistorius setzt auf eine klare Sprache und sucht den Kontakt zur Truppe. Das bringt ihm in der Koalition Anerkennung ein. Die Verteidigungspolitikerin Sara Nanni von den Grünen beispielsweise lobt ihn dafür, dass er "die Sachen anpacken will". Selbst von der Opposition kommt jetzt Lob für Pistorius. Zwar habe es der Minister angesichts der Bilanz seiner Vorgängerin leicht, findet Florian Hahn, der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion: "Aber ich will auch ganz deutlich sagen, dass sein Antritt bis jetzt unfallfrei ist und dass er offensichtlich die richtige Tonlage trifft."
Auf dem Zettel des Ministers steht eine lange Liste: die versprochenen Panzerlieferungen organisieren, die so entstehenden Lücken bei der Bundeswehr füllen, das Dickicht im Beschaffungswesen lichten – und in der Koalition durchsetzen, dass die Regierung mehr Geld für Verteidigung ausgibt. Für Pistorius hat die Arbeit gerade erst begonnen. Und nicht immer dürfte ihm der Applaus so sicher sein wie in den ersten Wochen seiner Amtszeit.
MSC 2023: Panel Discussion mit Boris Pistorius
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