Sie gehört zu den politischen Großprojekten, über die in den vergangenen Jahren besonders lange und intensiv diskutiert wurde: die Krankenhausreform. In der Ampel-Koalition ist nach zweieinhalb Jahren Beratung und Verhandlung erst in der vergangenen Woche eine finale Einigung erzielt worden, obwohl das Bundeskabinett bereits im Mai grünes Licht gegeben hatte. Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) handelt es sich um die Reform schlechthin, um die Krankenhausversorgung zukunftsfest zu machen.
Was ist das Problem?
Dass sich etwas ändern muss, darin sind sich Bund, Länder, Krankenkassen, die Krankenhäuser und Gesundheitsexperten einig. Die finanzielle Lage vieler Kliniken ist schlecht: viele unbelegte Betten, hohe Kosten, ineffiziente Strukturen. Dazu kommt: Die Versorgungsqualität ist in einigen Krankenhäusern nicht so, wie sie sein müsste. "Daher ist auch die Lebenserwartung bei uns schlechter als in vielen Nachbarländern", erklärt Lauterbach. Das liegt vor allem daran, dass viele Kliniken bisher auf einen sogenannten "Gemischtwaren-Laden" setzen, statt sich auf bestimmte Fachbereiche zu spezialisieren. Dazu kommt, dass Ärzte und gut ausgebildete Pflegekräfte fehlen. Und: Deutschland hat zu viele Kliniken. Die Kosten explodieren. Einer der Gründe, warum im kommenden Jahr voraussichtlich die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen.
Was soll sich durch die Krankenhausreform ändern?
Mit der Reform will die Bundesregierung ein unkontrolliertes Kliniksterben verhindern. Klar ist aber: Es werden Krankenhäuser schließen müssen, weil es laut Experten hierzulande zu viele gibt. Insbesondere in den Ballungsräumen gibt es eine Überversorgung. Dort sollen Häuser schließen, um für die wirklich benötigen Kliniken eine auskömmliche wirtschaftliche Basis zu sichern.
Kern der Reform: Lauterbach will die Versorgungsqualität in den Kliniken verbessern. Dafür sollen sich die Krankenhäuser künftig mehr spezialisieren müssen. Nicht alle Kliniken sollen künftig alles anbieten. Sie werden in Leistungsgruppen mit jeweils strengen Qualitätsvorgaben eingeteilt.
Mit der Reform kommt ein neues Vergütungssystem. Bisher wurden Kliniken hauptsächlich nach der Zahl der behandelten Patienten bezahlt, nach sogenannten Fallpauschalen. Das führte zur einfachen Formel: Je mehr in einer Klinik operiert wurde, desto mehr hat sie verdient. Folge: Es wurden Operationen durchgeführt, die laut Studien nicht nötig gewesen wären. In Zukunft sollen die Krankenhäuser Geld bekommen, allein dafür, dass sie bestimmte Geräte und Leistungen vorhalten. Das soll die Häuser finanziell entlasten.
Eine Reihe von Regelungen soll kleinen Kliniken auf dem Land helfen: In solchen Häusern dürfen Fachärzte künftig auch ambulant behandeln. Der mancherorts weite Weg in eine Fachpraxis entfällt damit. Manche Häuser, die für die Grundversorgung in ländlichen Regionen wichtig sind, dürfen von den Qualitätsvorgaben abweichen – aber nur geringfügig.
Die gesamte Umsetzung der Reform wird vermutlich zehn Jahre dauern, schätzt der Gesundheitsminister. Mit einem Übergangsfonds in Höhe von rund 50 Milliarden Euro soll das Ganze finanziert werden.
Im Video: Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft zur Reform
Was wird kritisiert?
Anfangs saßen die Bundesländer noch engagiert mit im Reformboot. Mit der Zeit ist aus dem Miteinander zwischen Bund und Ländern eher ein Gegeneinander geworden. Insbesondere die CDU/CSU-geführten Bundesländer lehnen Lauterbachs Pläne ab. Sie befürchten, dass in Folge der Reform vor allem kleine Kliniken auf dem Land auf der Strecke bleiben und schließen müssen. Zudem sehen sich viele Länder in ihren Planungsrechten und Zuständigkeiten beschnitten. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte im Bundestag: "Ich will dieses Gesetz nicht stoppen." Aber es müsse geändert werden. So sieht das auch Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU). Sie forderte im Parlament: "Es geht um Ausnahmemöglichkeiten – gerade in ländlichen Regionen." Aufgrund der "starren Vorgaben" würden viele Häuser Schwierigkeiten bekommen, ihr bisheriges Leistungsportfolio aufrechtzuerhalten.
Viele Oppositionspolitiker im Bundestag schlossen sich der Kritik der Landesminister an. Sie fordern auch mehr Geld für die Übergangszeit, bis die Reform wirkt. Der 50-Milliarden-Übergangsfonds der Ampel-Regierung reiche nicht aus, heißt es. Das sehen die gesetzlichen Krankenkassen ganz anders. Sie kritisieren, dass die bisherigen Reformpläne schon "erhebliche Mehrkosten" zur Folge hätten – zu Lasten der beitragszahlenden Versicherten und Arbeitgeber.
SPD-Minister Lauterbach und die Gesundheitspolitiker der Ampel-Parteien können die Kritik der Länder nicht verstehen. Durch die Reform soll kein Krankenhaus auf dem Land, das gebraucht wird, schließen müssen. Im Gegenteil. Solche Kliniken sollen Zuschläge bekommen. Lauterbach spricht von "kostendeckenden Vorverträgen" – allerdings unter der Voraussetzung, dass sich die Kliniken von komplexen, bisher finanziell lukrativen Eingriffen verabschieden. Eingriffe, die dort kein Arzt für sich selbst in Anspruch nehmen würde, weil die Versorgungsqualität nicht stimmt, so Lauterbach. Für ihn ist es eines der zentralen Ziele, dass gerade kleine Häuser ihr bisheriges umfassendes Angebot zugunsten einer besseren Versorgungsqualität einschränken.
Wie geht es weiter?
Nachdem der Bundestag die Reform mehrheitlich beschlossen hat, wird sich Ende November der Bundesrat mit dem Gesetz beschäftigten. Zwar muss die Länderkammer der Reform nicht zustimmen, aber sie kann ihre Umsetzung verzögern. Eigentlich soll das Gesetz ab 2025 in Kraft treten. Mehrere Bundesländer haben schon angekündigt, den Vermittlungsausschuss einzuschalten, um dort noch Änderungen zu erzielen.
Im Video: Bundestag beschließt Klinikreform
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