"Bei der Bundeswehr zu sein, war immer mein Traum. Und jetzt? Jetzt muss ich mich mit Plan B beschäftigen. Ich habe nur noch ein paar Monate."
Den Mann, der uns das erzählt hat, nennen wir hier Marcel M. Er ist Offizier der Bundeswehr. Seinen Namen haben wir geändert, viele Details seiner Geschichte fehlen hier. Wir kennen sie, müssen sie aber weglassen, damit er anonym bleiben kann. Denn M. ist in einer schwierigen Situation: Er ist Soldat aus Überzeugung. Dennoch muss er die Bundeswehr verlassen, auch wenn er gern weiter dabei sein würde und sich nichts zuschulden hat kommen lassen.
"Kameraden fassen sich angesichts der Lage an den Kopf"
Marcel M. ist wie der größte Teil aller Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr "Soldat auf Zeit". Bei solchen Verträgen ist es zwar von vorneherein klar, wann die Dienstzeit endet, Verlängerungen sind aber grundsätzlich möglich. Wegen des öffentlich betonten Personalbedarfs hatte er zunächst fest damit gerechnet, bleiben zu können, schildert M. In Gesprächen sei er jedoch bereits auf das Ende seiner Träume vorbereitet worden. "Viele Kameraden fassen sich da angesichts der Lage an den Kopf", erzählt er.
Absehbar mehr Soldaten vonnöten
Mit der "Lage" meint M. die Personalsituation der Bundeswehr: In Zahlen ausgedrückt fehlen der Truppe aktuell rund 20.000 Soldatinnen und Soldaten. Der Grund: Der Armee gehören derzeit etwa 181.000 Männer und Frauen an, doch es sollten 203.000 sein. Dieses Ziel wurde schon vor Jahren ausgegeben.
Recherche zeigt: kein Einzelfall
Ist es da drin, Personal gehen zu lassen? M. sagt: "Nein". Und damit ist er nicht allein. Der Bayerische Rundfunk hatte bundesweit Kontakt mit mehreren Offizieren, die Vergleichbares erlebt haben. Ihnen geht es um Aufmerksamkeit für das Problem. Schaden wollen sie der Bundeswehr nicht. Die Anonymität soll sie aber vor etwaigen Nachteilen schützen.
Spezialist: Es droht ein Wissensverlust
Alle Soldaten, mit denen wir für diese Recherche gesprochen haben, verfügen über Dokumente, aus denen hervorgeht, dass sie eigentlich gebraucht werden. Auch, weil es mitunter keinen direkten Nachfolger für sie gibt und weil ihre Pension in weiter Ferne liegt.
Toni R., ein Spezialist, empört sich: "Für die Bundeswehr ist die Situation in meinen Augen katastrophal. Über unsere Dienstposten wird Wissen gehalten und weitergegeben. Und wenn die Baby-Boomer in Rente gehen, entstehen überall Lücken und wir brauchen qualifiziertes Personal, das erst über Jahre ausgebildet werden muss!"
Wie groß ist das Problem?
Wie groß die Lücke durch nicht-verlängerte Zeitsoldaten ist, ist schwer zu sagen. Das Verteidigungsministerium schreibt auf BR-Anfrage, der Personalführung seien Einzelfälle bekannt. Eine Statistik werde nicht geführt. Eine Sprecherin betont: "Für den weiteren personellen Aufwuchs ist es unverzichtbar, die Zahl der Abgänge zu reduzieren und gerade hoch qualifizierte militärische Fachkräfte in den Streitkräften zu halten." Die Bundeswehr unternehme vielfältige Anstrengungen, um Personal zu binden, sofern es der Bedarf erfordere, schreibt die Sprecherin und verweist auf Ergebnisse: 2024 hätten rund 24.000 Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehr geplant verlassen. Circa 8.000 davon habe man halten können – zwanzig Prozent mehr als 2023. Die Zahl orientiere sich am Bedarf der Truppe. Auch gebe es inzwischen Überbrückungsmöglichkeiten.
Stellen nicht im Verteidigungshaushalt hinterlegt
Tatsache ist: Im Verteidigungshaushalt ist nicht die Sollgröße von 203.000 eingespeist, sondern lediglich der mehr oder weniger aktuelle Umfang der Truppe. Es gibt also nur rund 182.000 Stellen, für die auch Geld da ist. Die restlichen 20.000 sind zwar gewünscht, aber bisher nicht finanziert. Will manch einer länger bleiben als vertraglich geplant, so kann das mitunter schwierig werden, konkret bei den Offizieren. Für Beobachter ist das angesichts der Sicherheitslage fahrlässig. Auch die Wehrbeauftrage des Bundestages, Eva Högl, machte bei der Vorstellung des Wehrberichts in Berlin deutlich, dass sie hier dringenden Handlungsbedarf sieht.
Eine Lockerung der Schuldenregeln für Verteidigungsausgaben könnte aus Sicht ihrer Befürworter Abhilfe schaffen.
Die ganze Recherche hören Sie heute um 12:15 Uhr in der Sendung "Funkstreifzug" im Radioprogramm von BR24 oder schon jetzt als Podcast in der ARD Audiothek.
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