Lagebesprechung mit Präsident Wolodymyr Selenskyj am 29. Dezember 2023 in der Frontstadt Awdijiwka.
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Präsident Wolodymyr Selenskyj am 29.12.2023 in der Frontstadt Awdijiwka im Gebiet Donezk.

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Der Ukraine fehlen weiter Waffen: Wer kann noch liefern?

Die Appelle aus Kiew werden immer eindringlicher: Es fehle zunehmend an Munition und Waffen, um dem russischen Angriffskrieg standhalten zu können. Doch die EU bleibt weit hinter ihren Zusagen zurück. Washington kann derzeit auch nicht liefern.

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"Wir haben keinen Plan B. Wir vertrauen auf Plan A.“ Dieses Eingeständnis des ukrainischen Außenministers Dmitro Kuleba gegenüber dem US-Fernsehsender CNN charakterisiert die äußerst angespannte Lage des Landes zu Jahresbeginn. Es gebe keine Alternative zu den Hilfslieferungen Amerikas, räumt Kuleba ein. Hilfslieferungen, die von den Republikanern im US-Kongress aus innenpolitischen Gründen derzeit blockiert werden. Kurz vor Jahresende hatte das Pentagon noch die letzte Lieferung auf den Weg bringen können: Rüstungsgüter im Wert von bis zu 250 Millionen Dollar, vor allem Raketen, Artillerie, Panzerabwehrwaffen und Munition.

US-Gelder derzeit blockiert

Seit Jahresbeginn kann das US-Verteidigungsministerium kein Geld mehr für die Ukraine ausgeben. Weder die Mittel für die sogenannte "Sicherheitsunterstützungsinitiative“, mit der langfristige Waffenverträge abgeschlossen werden können, noch Geld für Waffen und Munition.

Seit Wochen drängt US-Präsident Joe Biden die Republikaner im Kongress vergeblich dazu, das 110 Milliarden Dollar Hilfspaket für die Ukraine, Israel und andere nationale Sicherheitserfordernisse zu verabschieden. Davon sind 61,4 Milliarden Dollar für die Ukraine vorgesehen. Die Hälfte der Ukraine-Gelder soll allerdings für die Auffüllung der eigenen Pentagon-Bestände verwendet werden. Wann mit einer Einigung zwischen Biden und den Republikanern zu rechnen ist, und damit mit einer Freigabe der Milliardenbeträge für Kiew, ist momentan nicht absehbar.

Die EU bleibt weit hinter ihren Zusagen zurück

Die EU hatte im März 2023 der Ukraine ein großes Versprechen gegeben: Innerhalb eines Jahres würde die Europäische Union eine Million Artilleriegranaten liefern. Stand jetzt: 300.000 wurden geliefert. Ein Blick zurück macht die Auswirkungen der unzureichenden Munitionslieferungen der EU auf die ukrainische Armee deutlich. Im Sommer 2023 feuerten die ukrainischen Streitkräfte nach Angaben des britischen "Royal United Services Institute“ bis zu 7.000 Artilleriegranaten pro Tag auf russische Stellungen ab. Damit konnte Kiew militärische Infrastruktur und Artilleriegeschütze der Invasionstruppen deutlich schwächen. Die russische Armee habe damals, im Sommer 2023, bis zu 5.000 Artilleriegranaten abfeuern können.

Heute sieht es genau umgekehrt aus: Während die ukrainischen Einheiten mit rund 2.000 Granaten täglich die russischen Angreifer beschießen, feuern Moskaus Truppen bis zu 10.000 Artilleriegranaten pro Tag auf die Verteidiger ab.

Russlands Aufrüstung

Russlands neue Waffenlieferanten Iran und Nordkorea haben die Verluste an Waffen und Munition ausgleichen können. Zudem produziert die russische Rüstungsindustrie derzeit mehr Artilleriegranaten, als alle NATO-Staaten zusammengenommen.

Jack Watling vom britischen "Royal United Services Institute“ kommt in einer Analyse für den "Guardian“ zu dem Ergebnis: Die Ukraine werde zumindest bis Mitte dieses Jahres nicht mehr mit einer nennenswerten Erhöhung der Munitionslieferungen rechnen können. Und weiter: "Damit wird die Initiative an die Russen abgetreten. Der Kreml glaubt, dass er bis 2026 gewinnen kann, und Putin ist daher nicht in der Stimmung, zu verhandeln oder nachzugeben.“ Dies müsse nicht so kommen, schreibt der britische Militärexperte Watling. Es müsse den westlichen Unterstützerstaaten der Ukraine gelingen, die eigene Rüstungsindustrie deutlich hochzufahren und die militärische Ausbildung ukrainischer Soldaten erheblich auszuweiten.

Berlins Ukraine-Hilfe: Mehr humanitäre als militärische Unterstützung

Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die Bundesregierung ein 26-seitiges Dokument mit dem umständlichen Titel "Bilaterale Unterstützungsleistungen der Bundesregierung für die Ukraine und Menschen aus der Ukraine.“ Detailliert wurden dort die Ausgaben aller Bundesministerien aufgeführt, die Berlin seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 aufgewendet hat.

Das Dokument relativiert die gängigen Aussagen führender deutscher Regierungsmitglieder, wonach Deutschland nach den USA die Ukraine der wichtigste Unterstützerstaat der Ukraine ist. Denn die Bundesregierung gibt nur ein Fünftel der Ukraine-Hilfe für die militärische Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte aus. Den überwiegenden Teil der 27,8 Milliarden Euro gab die Bundesregierung seit Kriegsbeginn für humanitäre Hilfen aus, vor allem für die Unterbringung und Versorgung ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland.

Nur rund 20 Prozent für Militärhilfe

Den größten Etatposten hatte das Bundesfinanzministerium mit 9,4 Milliarden Euro zu erbringen. Damit wurden den Ländern und Kommunen die Mittel zur Verfügung gestellt, um die ukrainischen Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales leistete mit 8,9 Milliarden Euro den zweitgrößten Beitrag. Diese Gelder wurden für die sogenannten Mindestsicherungsleistungen verwendet, im Wesentlichen für die Auszahlung des Bürgergeldes an ukrainische Flüchtlinge.

Erst an dritter Stelle rangiert das Bundesverteidigungsministerium, das die Ukraine seit der Invasion Russlands mit knapp 5,7 Milliarden Euro unterstützt hat. Dementsprechend gingen nur rund 20 Prozent der gesamten deutschen Ukraine-Hilfen in die Lieferung von Waffen, Munition, Ausrüstung und anderen Rüstungsgütern.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ analysierte diese Ausgabenpolitik der Bundesregierung mit den Worten: „Deutschland gibt also nur einen vergleichsweise geringen Teil seiner Ukraine-Unterstützung für das aus, was das überfallene Land am dringendsten braucht: Waffen und Munition.“

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