Italien rückt nach rechts: Der deutliche Sieg des rechten Lagers bei der Parlamentswahl hat bei den meisten Parteien in Deutschland Besorgnis über den künftigen Kurs des Landes in Europa ausgelöst. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Achim Post, sprach von einem "bitteren Tag für alle, die ein starkes und demokratisches Europa wollen".
Grünen-Chef Omid Nouripour schloss eine Schwächung der EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland nicht aus. Das Ausschwitz-Komitee zeigte sich "schockiert" über den Wahlausgang. Einzig die AfD begrüßte den Wahlsieg der Rechten.
Nouripour: "Enge Verwebungen mit dem Kreml"
Nouripour nannte den Ausgang der Wahl "besorgniserregend". Gerade bei Menschen innerhalb des rechtsnationalen Bündnisses gebe es "sehr enge Verwebungen mit dem Kreml", sagte der Grünen-Chef im "Frühstart" von RTL und ntv. "Deshalb ist es tatsächlich so, dass man nicht ausschließen kann, dass auch in Moskau gestern Abend Leute die Korken haben knallen lassen." Hintergrund: Auf EU-Ebene müssen Sanktionen immer einstimmig beschlossen und verlängert werden.
Der FDP-Europaexperte Alexander Graf Lambsdorff geht davon aus, dass die Zusammenarbeit mit Italien in der Europäischen Union mühsamer wird. Allerdings habe Wahlsiegerin Giorgia Meloni sich zuletzt konstruktiver zu den gemeinsamen Sanktionen gegen Russland geäußert, sagte Lambsdorff im ARD-"Morgenmagazin". Der frühere italienische Innenminister Matteo Salvini habe mit seiner Lega versuchen wollen, "Löcher in dieses Sanktionspaket zu bohren". Meloni habe ihm aber "sehr klar widersprochen".
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"Schwere Hypothek für Europas Zusammenhalt"
Dass Italien als europäisches Gründungsland "nun absehbar von einer Allianz aus Neofaschisten, Rechtsnationalen und Rechtspopulisten regiert werden dürfte, ist eine schwere Hypothek für Europas Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit", erklärte SPD-Fraktionsvize Achim Post. Insbesondere Deutschland sei nun gefordert, "praktische und solidarische Lösungen für die aktuellen europäischen Krisenaufgaben zu entwickeln, politische Brücken zu bauen und realistische Zukunftsperspektiven für Europa zu entwickeln".
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, zeigte sich zuversichtlich, dass es durch den Wahlsieg des rechten Lagers nicht zu einem Bruch mit Europa kommen werde. "Ich setze darauf, dass die neue Regierung weiß, was für Italien auf dem Spiel steht", sagte er im rbb24 Inforadio. "Italien hängt ganz stark ab von guten Beziehungen zur Europäischen Union, nicht nur wirtschaftlich und finanziell, sondern auch politisch."
Linken-Chef Martin Schirdewan forderte als Konsequenz eine sozialer ausgerichtete Politik in Europa. Der Rechtsruck in Italien sei "auch Ergebnis jahrelanger Kürzungspolitik durch technokratische Elite und Parteien der Mitte", erklärte er. Wer Europa wolle, müsse "es Reichen und Konzernen nehmen. Ein Weiter so zerstört unsere Demokratie".
Grünen-Politiker: "Europa darf nicht wegsehen"
Auch die Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne), zeigte sich besorgt über den Erfolg der Fratelli d'Italia (FDI). "Umso mehr müssen die anderen europäischen Länder darauf dringen, dass in Italien europäische Werte wie die Achtung der Menschenwürde, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit gewährleistet bleiben und werden", sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das gelte insbesondere für Menschen in Not auf dem Mittelmeer. "Europa darf nicht wegsehen, wenn Menschlichkeit verhindert und die notwendige Seenotrettung sabotiert wird."
Ihr Parteikollege und Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, hofft, dass die künftige italienische Regierung über die Finanztöpfe der EU gezügelt werden kann. "Italien ist dringend angewiesen auf die Gelder aus Europa, und deswegen muss man klarmachen: In dem Moment, wo sie sich nicht an Recht und Gesetz halten, werden diese Gelder gesperrt", sagte Hofreiter dem Fernsehsender Phoenix.
Berlin will amtliches Ergebnis abwarten
Die Bundesregierung äußerte sich am Montag zunächst nicht zur Wahl in Italien. Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner sagte, die Regierung werde das amtliche Ergebnis abwarten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würde zum jetzigen Zeitpunkt sagen: "Italien ist ein sehr europafreundliches Land mit sehr europafreundlichen Bürgerinnen und Bürgern und wir gehen davon aus, dass sich das nicht ändern wird."
Es sei bekannt, welchen Stellenwert für die Bundesregierung die Zusammenarbeit in Europa und ein einiges Europa habe. "Daran hat sich natürlich auch mit dieser Wahl nichts geändert", betonte der Vize-Regierungssprecher.
EU-Abgeordnete besorgt über Melonis Wahlsieg
Auch führende EU-Abgeordnete warnten vor einer Regierung, die von der rechtsnationalen Partei Melonis angeführt wird. "Giorgia Meloni wird eine Ministerpräsidentin sein, deren politische Vorbilder Viktor Orban und Donald Trump heißen", sagte Katarina Barley (SPD), Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, der "Welt".
Für den Co-Chef der europäischen Grünen, Thomas Waitz, sind das Fundament und die gemeinsamen Werte der EU in Gefahr, "wenn Italien als drittgrößte EU-Volkswirtschaft von einer Koalition aus Postfaschisten und Rechtsaußen-Parteien regiert werden sollte". Die EU könne nur funktionieren, wenn sie zusammenhalte, beispielsweise bei der Kooperation auf den Energiemärkten, bei Beschlüssen über Russland-Sanktionen oder bei der Bewältigung der Corona-Krise, sagte der Grünen-Politiker der "Welt".
Meloni würde hingegen "auf nationale Alleingänge setzen, sie kann eine Katastrophe für Europa werden", warnte der Politiker aus Österreich. Zudem sei unter einer Regierungschefin Meloni "die Gefahr groß, dass Italien wieder in eine Schuldenkrise schlittert". Dann könne der gesamte Euroraum unter Druck geraten, befürchtet er.
EU-Kommission hofft auf "konstruktive Zusammenarbeit"
Die EU-Kommission hofft nach dem Sieg der euroskeptischen Rechten dennoch auf eine "konstruktive Zusammenarbeit" mit der neuen Führung in Rom. Die Kommission arbeite grundsätzlich mit jeder Regierung in der EU zusammen, die aus Wahlen hervorgehe, sagte der Kommissionssprecher Eric Mamer. "Das ist dieses Mal auch nicht anders. Wir hoffen natürlich auf eine konstruktive Zusammenarbeit", fügte er hinzu.
Auschwitz-Komitee "schockiert" über Wahlausgang
Das Internationale Auschwitz-Komitee zeigt sich unterdessen "schockiert" über den Wahlsieg des rechten Lagers. "Für alle Überlebenden des Holocaust und die Erben der italienischen Resistenza, einer der bedeutendsten Widerstandsbewegungen gegen den Faschismus in Europa, ist dieser Wahlausgang ein schockierender und trauriger Vorgang", erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner.
"Dass die Bürgerinnen und Bürger in Italien Versprechungen rechtsextremer Populisten Glauben schenken und Mussolinis selbsternannte Erben an den Tisch der Republik bitten, ist auch ein alarmierendes Zeichen dafür, dass die europäische Idee zunehmend unter Druck gerät", fügte er hinzu. Nationalistische und populistische Regierungen in Europa bejubelten einander und erteilten den europäischen Werten der Vielfalt, Offenheit und Toleranz eine "immer rüdere Abfuhr".
AfD: "Wir jubeln mit Italien"
AfD-Parteichefin Alice Weidel gratulierte dagegen der Vorsitzenden der Rechtsaußen-Partei Fratelli d'Italia. Bundestags-Fraktionsvize Beatrix von Storch schrieb: "Wir jubeln mit Italien! Herzliche Glückwünsche an das gesamte Mitte-Rechts-Bündnis." Weidel und von Storch verwiesen zudem auf den Sieg des rechten Lagers Mitte September bei der Parlamentswahl in Schweden.
Melonis Partei FDI wurde bei den Wahlen am Sonntag stärkste Kraft; ein Rechtsbündnis mit der rechtsnationalen Lega und der Forza Italia (FI) kommt Hochrechnungen zufolge auf gut 43 Prozent der Stimmen. Aufgrund des italienischen Wahlsystems dürfte das für eine absolute Mehrheit der Sitze im Abgeordnetenhaus und im Senat reichen.
Mit Material von AFP, dpa und KNA
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