Frisch geschlüpfte Küken sitzen auf einer Papierunterlage.
Bildrechte: BR/Rainer Kitz

Frisch geschlüpftes männliches Küken einer Legerasse (rechts, gelb) zwischen mehreren weiblichen Küken in einer Brüterei in Nordrhein-Westfalen.

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Ein Jahr Kükentöten-Verbot: Ein Fortschritt für den Tierschutz?

Das Kükentöten-Verbot sollte ein Meilenstein im Tierschutz sein. Ein Jahr später kritisieren Verbraucherschützer: Das Problem hat sich nur verlagert, teils wird im Ausland getötet. Dazu kommt: Teile der deutschen Geflügelbranche sind weggebrochen.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Seit einem Jahr ist es in Deutschland verboten: Das Kükentöten. Davor wurden jahrelang männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen vergast und dann zum Beispiel in Zoos an andere Tiere verfüttert. Der Grund: Hühner sind heutzutage auf Hochleistung gezüchtet. Entweder als Masthähnchen, die schnell Gewicht zunehmen sollen, oder aber sie sollen als Legehennen viele Eier legen.

Das Problem mit der spezialisierten Hochleistungszucht

Die männlichen Küken dieser "Lege-Hühnerrassen" wachsen aber nicht schnell und setzen auch nicht besonders viel Fleisch an. Sie sind deshalb für Landwirte nicht rentabel und wurden aus wirtschaftlichen Gründen getötet. Doch das ist seit Anfang 2022 in Deutschland verboten.

Andere Länder wie Österreich oder Frankreich haben in der Zwischenzeit nachgezogen, allerdings mit teils differenzierteren Regelungen. So gibt es in Österreich zum Beispiel weiter Ausnahmen, wenn die toten Küken im Anschluss in Zoos als Tierfutter verwendet und nicht einfach entsorgt werden. Eine einheitliche europäische Regelung ist noch in weiter Ferne.

Foodwatch: In vielen Fällen unklar, was mit den Küken passiert

Dazu kommt: Der deutsche Alleingang, vorangetrieben von der ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), hat große Teile der Produktion ins Ausland verlagert. Für den Tierschutz hat sich noch gar nicht so viel gebessert, kritisieren jetzt Verbraucherschützer.

So hat etwa die Organisation Foodwatch nachgeforscht und mehrere Behörden und Ministerien in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen abgefragt. Das Ergebnis nennt Annemarie Botzki von Foodwatch "erschreckend". Denn die meisten offiziellen Stellen wüssten gar nicht, wo die männlichen Küken aus den Brütereien geblieben seien. Viele Hähne würden aber nach dem Schlüpfen ins Ausland exportiert.

Was passiert im Ausland: Aufzucht oder Kükentöten?

Das kann unterschiedliche Gründe haben. Option eins: Sie sollen dort gemästet werden – als sogenannte Bruderhähne. Laut Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft ist die Bruderhahnmast derzeit noch das Mittel der Wahl für den Großteil der anfallenden männlichen Küken aus Legerassen. Etwa 60 bis 70 Prozent von ihnen werden – anstatt sie als Küken zu töten – etwa drei Monate lang gemästet und dann geschlachtet.

Doch weil die Tiere nicht so viel Gewicht haben wie Masthähnchenrassen und dafür im Verhältnis deutlich mehr Futter brauchen, lohnt sich das für viele Erzeuger nicht besonders. Abgesehen von einzelnen erfolgreichen regionalen Initiativen im höheren Preissegment ist die Nachfrage nach dem Bruderhahn-Fleisch in der breiten Masse eher gering.

  • Zum Artikel: Zukunft der Geflügelzucht: Was mit dem "Bruderhahn" passiert

Zu wenig Platz für Bruderhähne in Deutschland?

Die Aufzucht im Ausland kann da Kosten sparen. In der Branche wird aber meistens eine andere Motovation genannt. So sagt Robert Schmack vom Landesverband der Bayerischen Geflügelwirtschaft (LVBGW): "Es war von vornherein klar, dass diese gesamten Küken nicht in Bayern oder Deutschland aufgezogen werden können, weil die Stallkapazitäten schlichtweg nicht da waren. Von daher war es keine Überraschung, dass Bruderhähne dann auch ins Ausland exportiert und eben dort aufgezogen wurden." Solche Stallkapazitäten hatte die Branche unter anderem in Polen gefunden.

Wird das Kükentöten selbst exportiert?

Der zweite Grund für den Export der frisch geschlüpften Küken könnte sein: Das Kükentöten wird ins Ausland verlagert. Dorthin, wo das Kükentöten weiter erlaubt ist, zum Beispiel in den osteuropäischen Nachbarländern.

Auch dafür hat Foodwatch Belege gefunden: "Eine der Brütereien hat angegeben, dass die Tiere nicht für die Aufzucht ins Ausland transportiert werden, sondern um dort getötet zu werden. Das ist natürlich eigentlich nicht Sinn dieses Gesetzes gewesen", berichtet Verbraucherschützerin Botzki. Sie fordert die Behörden auf, zu kontrollieren, was mit den männlichen Küken passiert.

Wo können Eier "mit Kükentöten" noch verkauft werden?

Werden sie zum Töten exportiert, wäre das im europäischen Binnenmarkt trotzdem ein legales Vorgehen. Die Eier von Legehennen, deren Brüder als Küken im Ausland getötet wurden, kommen allerdings nur noch für bestimmte Abnehmer in Frage. Die deutschen Supermärkte verkaufen in der Regel nur noch Eier "ohne Kükentöten".

Der Großteil des Sortiments wird sowieso durch das sogenannte KAT-System kontrolliert. Der Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (KAT) hat unter anderem die bekannten Prüfnummern auf frischen Eiern geschaffen, durch die sich zurückverfolgen lässt, von welchem Betrieb und aus welcher Haltungsform ein Ei stammt. KAT hat "ohne Kükentöten" als Kriterium übernommen. Eier, die durch KAT kontrolliert werden, sind also frei von Kükentöten.

Weiter Eier mit Kükentöten in Deutschland im Umlauf

In der Direktvermarktung, also in Hofläden, auf Wochenmärkten oder bei Mobilställen sieht das möglicherweise anders aus. Die Produzenten können weiterhin Legehennen einsetzen, deren Brüder als Küken getötet wurden. Und offenbar tun sie das aus Kostengründen häufig auch.

Ähnlich ist es bei Eiern, die etwa in Kantinen für verarbeitete Produkte verwendet werden. Hier wird weniger genau hingeschaut. Entweder die Eier kommen direkt aus dem Ausland oder die Legehennen wurden im Ausland ausgebrütet, inklusive Kükentöten.

Folge des Verbots: Brütereien-Sterben und gestiegener Import

Laut Zentralverband der Geflügelwirtschaft ist der Import von Legehennenküken nach Deutschland zwischen Herbst 2021 und dem vergangenen Herbst um 47 Prozent gestiegen. Robert Schmack, Vorsitzender des Verbands der bayerischen Geflügelwirtschaft hat diese Entwicklungen kommen sehen: "Die Wirtschaft hat im Vorfeld auf die Probleme hingewiesen, die da auf uns zukommen. Und leider sind alle diese Probleme eingetreten."

Es werden laut Zahlen des Zentralverbandes auch 45 Prozent weniger Legehennen in Deutschland ausgebrütet. Und: Die Brütereien schließen. 2021 haben noch 17 Betriebe in Deutschland Legehennen ausgebrütet. Im Herbst 2022 waren nur noch neun übrig.

Ungelöste Probleme bei der "Geschlechtsbestimmung im Ei"

Bei etwa einem Drittel der Eier von Legehennenrassen werden die Männchen gar nicht erst ausgebrütet. Sondern schon im Ei mit technischen Verfahren aussortiert. Die Hühnerembryonen sollen davon möglichst nichts mitbekommen – so will es das Gesetz. Darum darf die Geschlechtsbestimmung im Ei ab 2024 spätestens an Tag sechs von 21 Bruttagen stattfinden. Doch keines der bisher eingesetzten Verfahren kann das bisher. In der Geflügelbranche hofft man daher auf eine Verschiebung der Frist. Die Bundesregierung muss dazu im Frühjahr einen Sachstandsbericht vorlegen.

Foodwatch fordert Abkehr von Hochleistungszucht

Für Annemarie Botzki von Foodwatch wäre aber etwas anderes viel wichtiger. Sie fordert einen Systemwechsel: "Wir fordern die Einführung einer robusteren Hühnerrasse, einem Zweinutzungshuhn. Dieses Huhn legt also genügend Eier und kann Fleisch ansetzen." Außerdem fordern die Verbraucherschützer, dass generell weniger Tiere gehalten werden.

Tatsächlich ist auch die Anzahl der Legehennen in Deutschland um ein Viertel zurückgegangen. Das ist allerdings bisher keine Folge einer politischen Strategie. Die Gründe sind laut Geflügelbranche eher die Vogelgrippe, die hohen Energie- und Futterkosten und, dass die Tiere wegen des Kostendrucks länger zum Eierlegen gehalten werden.

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