Gut vier Wochen nach der Europawahl sortieren sich die Parteien am rechten Rand im Europäischen Parlament neu. Einige von ihnen haben sich zu einer neuen Fraktion zusammengefunden. Sie wird nach Christdemokraten und Sozialdemokraten und vor den Liberalen drittstärkste Kraft im EU-Parlament. Den Startschuss dazu hat vor rund einer Woche der ungarische Regierungschef Viktor Orbán gegeben. Er hat mit seiner Fidesz-Partei sowie der österreichischen FPÖ und der tschechischen ANO angekündigt, die Gruppe "Patrioten für Europa" zu gründen. In ihrem Manifest spricht sie sich gegen einen europäischen Zentralstaat aus und lehnt es ab, nationale Souveränität auf europäische Institutionen zu übertragen. Stattdessen fordern die "Patrioten" ein Europa der Nationen, die ihre Bevölkerung vor – nicht näher bezeichneten – Bedrohungen politischer, wirtschaftlicher und kultureller Art schützen sollen.
Immer mehr Zulauf
Am Wochenende hat die Gruppierung weiteren Zulauf bekommen und damit die formellen Voraussetzungen erfüllt, um eine Fraktion bilden zu können. Denn auch die Dänische Volkspartei, der belgische Vlaams Belang und die Partei des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, PVV, schlossen sich an. Damit kam die Allianz zunächst auf rund 40 Mitglieder aus acht Ländern. Nötig sind mindestens 23 Abgeordnete aus sieben Staaten.
Die Mitgliedschaft in einer Fraktion bringt deutliche Vorteile, wenn im EU-Parlament Geld, Posten und Redezeiten verteilt werden. Heute haben zusätzlich der rechtsnationale Rassemblement National (RN) aus Frankreich und die an der italienischen Regierung beteiligte Lega ihren Beitritt erklärt. Der RN hatte zunächst die zweite Runde der französischen Parlamentswahlen abgewartet. Dabei wurde die Partei von Marine Le Pen gestern zwar nicht wie von ihr erhofft stärkste Kraft, gewann aber trotzdem deutlich Stimmen hinzu. RN-Chef Jordan Bardella, der smarte Jungstar der Partei, soll die neue Fraktion führen.
Gegen EU-Vorhaben
Sie verfügt nach eigener Zählung über 84 Abgeordnete aus zwölf Ländern. In ihr sind rechtspopulistische, nationalkonservative und rechtsextreme Parteien vertreten. Sie stehen allesamt der EU kritisch gegenüber. Brüssels "Green Deal" im Kampf gegen den Klimawandel lehnen sie ab – ebenso den gerade beschlossenen EU-Asylpakt und darin besonders die geplante solidarische Verteilung von Migranten auf die Mitgliedsstaaten. Einige der in den "Patrioten für Europa" vertretenen Parteien wie Orbáns Fidesz stehen Moskau nahe. Sie weigern sich, Russland wegen des Angriffskrieges in der Ukraine zu kritisieren. Stattdessen bemängeln sie die Militär- und Finanzhilfe für Kiew.
Erfolg für Orbán
Viktor Orbán war bei der Fraktionsgründung in Brüssel nicht dabei, er bereist gerade Hauptstädte in aller Welt auf einer Tour, die der Ungar selbst "Friedensmission" für die Ukraine nennt, die andere EU-Regierungen und Brüssel aber ausdrücklich als rein ungarisches Unterfangen bezeichnen. Ungarn hat vor einer Woche den EU-Ratsvorsitz übernommen und soll damit eigentlich als "ehrlicher Makler" zwischen den Mitgliedsstaaten vermitteln. Für Orban ist die neue Fraktion ein Erfolg nach langem Warten. Denn seine Fidesz-Partei war dreieinhalb Jahre lang fraktionslos, nachdem sie im Frühjahr 2021 einem Ausschluss aus der christdemokratischen EVP-Fraktion durch Austritt zuvorgekommen war. Anlass war der ständige Streit über die Missachtung demokratischer Grundwerte durch die Regierung in Budapest.
Was ändert sich?
Der französische RN und die italienische Lega waren bisher Mitglieder in der Fraktion "Identität und Demokratie" (ID). Sie und die Gruppe "Europäische Konservative und Reformer" (EKR) stellten bislang die beiden Rechtsaußen-Fraktion im Parlament. Stärkste Kraft in der EKR sind die "Fratelli d’Italia" der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, gefolgt von der rechtskonservativen PiS aus Polen. Beide unterscheiden sich von den "Patrioten" unter anderem durch ihren deutlich russlandkritischeren Kurs.
An den Voraussetzungen für die Wiederwahl von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ändern die Verschiebungen am rechten Rand nichts – sie hat von den "Patrioten"-Parteien um Viktor Orbán ohnehin keine Stimmen zu erwarten, die sucht sie bei den pro-europäischen Kräften im Parlament. Grundsätzlich ist in der neuen Legislaturperiode bei Abstimmungen zu Themen wie Klimaschutz und Migration mit vielen Nein-Stimmen vom rechten Rand zu rechnen – aber die gab es auch bisher schon.
AfD muss draußen bleiben – vorerst
Die AfD bleibt vorerst fraktionslos. Sie wurde kurz vor der Europawahl auf Betreiben von Marine Le Pens RN aus der ID-Fraktion ausgeschlossen, nach verharmlosenden Äußerungen des AfD-Politikers Maximilian Krah über die SS. Das passte nicht zu Le Pens Strategie, ihre Partei vom äußersten rechten Rand wegzurücken. Ein Beitritt der AfD zur neuen Rechts-Fraktion mit RN-Chef Bardella als Fraktionsvorsitzendem ist deshalb fraglich, obwohl die Deutschen zu einigen Mitgliedsparteien der "Patrioten" wie der FPÖ enge Kontakte unterhalten.
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